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Ausstellung in Leipzig: Maschinenraum des Sozialismus

Längst überfällig: Die Leipziger Ausstellung „Point of No Return“ bewertet die Kunst der späten DDR neu.

„Geschichte wird gemacht“, das wusste die Band Fehlfarben mit dem Maler Markus Oehlen am Schlagzeug schon 1980. Neun Jahre später wurde für jeden anschaulich, welche Macht von dem ausgeht, der die Deutungshoheit über die kulturelle Historie besitzt: Nach den politischen Umbrüchen in der DDR bekam die Kunst der sozialistischen Republik null Chance, sich im Westen zu profilieren.

Wer nicht schon dort gewesen – und erfolgreich – war, wie Gerhard Richter, A.R. Penck oder Georg Baselitz, an dem klebte das Etikett des Staatskonformisten. Ein Maler wie Baselitz befeuerte die Debatte noch, indem er 1990 in einem Interview behauptete, es gäbe „keine Künstler in der DDR“ – und wenn doch, dann seien das „Arschlöcher“. Anderswo ging man mit mehr Differenzierungswillen an die Sache, sah aber ebenfalls bloß Kunst, die nach dem berüchtigten Formalismusstreit vor allem ein Attribut auszeichnete: falsche Themen, falscher Stil, falsche Seite. Die Kunst verschwand, aus den Dauerpräsentationen der Museen ebenso wie vom Markt, der neben Bernhard Heisig oder Wolfgang Mattheuer nur wenige ostdeutsche Namen kennt.

Maler, wie der umstrittene Willi Sitte tauchen auf

Drei Jahrzehnte später ist das Museum der Bildenden Künste am „Point of No Return“ angelangt. So heißt die Ausstellung, die noch vor den ersten Feierlichkeiten zum Mauerfall-Jubiläum ihre eigenen Schlüsse aus der Vergangenheit zieht. An die 300 Werke von 106 Künstlerinnen und Künstlern haben die Kuratoren – Christoph Tannert, Paul Kaiser und der Leipziger Museumsdirektor Alfred Wedinger – zusammengeholt. Sie zeigen, wie ungeheuer vielstimmig die Kunst aus der DDR und wie komplex ihre Geschichte ist. Da tauchen Maler wie der umstrittene Willi Sitte auf, dessen Biografie eine erstaunliche Kurve fährt: Vom staatlich überwachten Picasso-Anhänger wandelte er sich zum offiziellen Staatskünstler, der 1977 an der Documenta in Kassel teilnahm und gleichzeitig Präsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR war. Sein berühmtes Bildnis „Chemiearbeiter am Schaltpult“ hängt statt in Leipzig auf der Moritzburg in Halle. Doch dafür ist Moritz Götze mit einer poppigen Interpretation des Gemäldes vertreten, das 2003 und damit über drei Jahrzehnte nach dem Original entstand.

Der 1964 geborene Götze wiederum symbolisiert jene Generation, die in der DDR nicht als Künstler anerkannt und deshalb vom staatlichen Kunsthandel ausgeschlossen war. Götze arbeitete dennoch in seiner Werkstatt – und gehörte nach dem Mauerfall zu jenen, die im Westen und bald darauf international Karriere machten. Ein Maler wie Albrecht Gehse, 1955 nahe Leipzig geboren und Schüler von Bernhard Heisig, zeigt in der Ausstellung sein „Gesicht aus der Vergangenheit“: ein zerfließendes Antlitz von 1989, lesbar als Abbild einer verunsicherten Existenz. Vier Jahre später entstand Gehses offizielles Kanzlerbild von Helmut Kohl. Im Westen herrschte also sehr wohl ein Bewusstsein für die Qualitäten einzelner Künstler, wenn ihnen wie bei Gehse der Ruf eines herausragenden Porträtisten vorauseilte.

Andere wurden abgedrängt. Die Malerin Doris Ziegler unterrichtete ab den frühen Neunzigern bis zu ihrer Emeritierung 2014 zwar an der Leipziger Kunsthochschule und sicherte so ihre Existenz. Zieglers expressiver, an Bilder von Max Beckmann erinnernder Zyklus „Große Passage“ aus der Wendezeit aber bekam man in den vergangenen Jahrzehnten nicht zu sehen. Nun füllen die grauen Figuren, vorsichtig über eine Brücke in eine unbekannte Zukunft stolpernd, einen ganzen Saal. Auch Ziegler taucht als Figur auf, sie steht in der Menschenmenge, schaut etwas skeptisch und melancholisch auf einen Mann im gelben Shirt, in dessen Händen eine Kerze brennt.

Alles lässt sich als Reflex auf die politische Lage lesen

Skepsis war angebracht, in den Jahren vor 1989 wie auch danach. Vor allem auf diese Umbruchs- und Übergangszeit konzentrieren sich die Kuratoren. Da erweist sich die Kunst der DDR mit ihren überwiegend figurativen Sujets als außerordentlich dankbar. „Spaziergang im Regen“ nannte Peter Graf ein Bild von 1989, das eine dunkle Gestalt vor nächtlicher Kulisse zeigt – und vor einer Mauer aus vermummten Polizisten, die in jenem Oktober tatsächlich vor dem Dresdner Hauptbahnhof standen. Und wer würde im „Titanic“-Triptychon eines Lutz Friedel mit seinen verzweifelt sich aneinander klammernden Gestalten nicht jenen „ungeschönten Blick in den Maschinenraum des Sozialismus“ um 1982 erkennen, den ihm Kurator Peter Kaiser attestiert? Schließlich assoziiert man auch Sighard Gilles’ „Fähre“ mit schwankendem Liebespaar auf gefährlichem Kurs von 1977 sofort mit einer Flucht aus der DDR.

Doch gibt es unter diesem Blickwinkel kaum ein Werk, das sich nicht als Reflex auf die politische Lage lesen ließe. Die fotografischen Körperfragmente von Thomas Florschuetz? Eine Identitätskrise des Künstlers vor seiner Übersiedlung nach West-Berlin 1988. Der sich im Schlamm wälzende Frank Herrmann auf den sechs Bildern seiner Serie „ER-Schöpfung“: eine Antwort auf die Agonie der späten DDR? Ja sicher, aber vielleicht auch eine Auseinandersetzung mit dem radikalen Werk der Wiener Aktionisten.

Endlich auf ästhetische Kriterien schauen

Es entwertet die Werke, wenn sie nun wieder den inneren Zustand und Fall eines Systems nachzeichnen sollen. Diese Deutung kommt auffallend oft zur Sprache, ist am Ende jedoch das Einzige, was einem in dieser sonst so wichtigen, sehenswerten Ausstellung aufstößt. Dabei steht dreißig Jahre nach dem Mauerfall nichts weniger als die Aufarbeitung einer Ära unter ästhetischen Kriterien an – eine Revision der Kunstgeschichte, die längst überfällig war. Allein die Herkunft der Bilder, Skulpturen und Installationen spricht Bände. Die Leihgaben aus Museen sind deutlich in der Minderheit, und hätte das Kölner Sammlerpaar Peter und Irene Ludwig nicht nach dem legendären Ludwig-Staubsaugerprinzip auch ostdeutsche Kunst ab 1977 in ganzer Breite für die eigene Stiftung angekauft, fiele die Bilanz noch ärmer aus.

[„Point of No Return“, Museum der Bildenden Künste Leipzig, Katharinenstr. 10, bis 3. November. Katalog: 35 Euro]

Rund zwei Drittel der Exponate stammen aus den Ateliers ihrer Schöpfer, Freunde und Nachlassverwalter halfen bei der Ergänzung. So gewinnt der Titel „Point of No Return“ am Ende durchaus mehrere Bedeutungen. Zum einen war die DDR in den späten Achtzigern ein zerfallender Staat ohne Aussicht auf Restrukturierung. Zum anderen kann auch die Kunst nicht zurück auf Wendezeit: Selbst wenn das Recht jener DDR-Künstler auf Teilhabe am Kanon endlich eingelöst wird, fehlen vielen von ihnen nun Jahrzehnte in der biografischen Karriere. Schließlich behauptet die Ausstellung selbstbewusst ihren eigenen „Point of No Return“. Nach der Schau in Leipzig, der 2019 noch diverse Projekte wie etwa im Düsseldorfer Kunstpalast folgen, kann die ostdeutsche Kunst nun nicht wieder in den Depots und Ateliers verschwinden.

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