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Unter die Haut. Der Soundtüftler Lawrence Abu Hamdan.

© Daad/Lawrence Abu Hamdan

Ausstellung in der Daadgalerie: Schall und Verbrechen

Essayistische Soundanalyse: Lawrence Abu Hamdans Installation „Walled Unwalled“ in der Daadgalerie.

Wie viel Schall schluckt eine Mauer? Und welche Geräusche lässt sie durch? Um solche Fragen zu stellen hat sich Lawrence Abu Hamdan in die ehemaligen Tonstudios im Funkhaus in der Nalepastraße begeben. Dort hat er den perfekten Ort für seine audiovisuelle Performance gefunden. Dicke Glasscheiben geben die Sicht auf Musiker und Akteure frei, die Wände sind beweglich, mit unterschiedlichen Oberflächenstrukturen bespannt. Die Klangeffektstudios des Rundfunks der DDR galten lange als das Beste, was die Radioszene hergibt. Die ganze Welt ließ sich hier akustisch nachbilden.

Hamdan, 1985 in Jordanien geboren, beschäftigt sich mit Sound und arbeitet gleichzeitig sehr recherchelastig. Seine Themen sind politisch. Wie klingt staatliche, strukturelle oder industrielle Gewalt, ist eine seiner zentralen Fragen, die er anhand realer Vorfälle analysiert – auch als Mitglied der für den Turner-Preis nominierten Londoner Gruppe Forensic Architecture. In seiner Arbeit in der Daadgalerie lenkt Hamdan die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die akustische Beschaffenheit von Mauern, Wänden und Grenzen; Architekturen, die in Zeiten von Transparenzgesellschaft und Überwachung zunehmend interessieren.

Schwer zu sagen, was genau Hamdans Performance so markerschütternd macht. Vielleicht sind es die Geschichten, die er erzählt, schließlich geht es um schreckliche Taten: um Mord, Folter, Willkür. Aber sicher liegt es auch am Sound. Nicht die Augen sind hier gefordert, sondern die Ohren. Das Gehirn kann sich Geräuschen und Musik viel weniger entziehen als visuellen Reizen. Der dumpfe Aufprall eines Schlagstocks oder der entsetzte Schrei einer Frau in Todesangst, das geht unter die Haut, selbst wenn Hamdan mit Aufnahmen arbeitet, bei denen Zeugen das Gehörte nur nachahmen. Dem Künstler geht es auch darum, wie akustische Information erinnert wird.

Hamdan zitiert aus Gerichtsprotokollen und Interviews

Hamdan verbindet in seiner essayistischen Soundanalyse mehrere Geschichten miteinander. Vom kleinen Grasdealer Danny Lee Kyllo, dessen Haus die amerikanische Polizei unrechtmäßig mit einem Wärmesichtgerät überwachte, kommt er zu physischen Barrieren, die in den vergangenen Jahren in großer Zahl zwischen benachbarten Staaten errichtet worden sind, und von dort schwenkt er in das Haus des südafrikanischen Sprinters Oskar Pistorius, der 2013 seine Freundin durch die Badezimmertür erschoss. Außerdem untersucht Hamdan die Vorkommnisse im syrischen Foltergefängnis Saydnaya, indem er Überlebende von ihren Hörerlebnissen in den Zellen berichten lässt. Es ist eine mäandernde, frei fließende audiovisuelle Erzählung, die deutlich macht, wie politisch jede Mauer ist, selbst die eigenen vier Wände.

Hamdan setzt auf Kontraste. Mit nüchterner Stimme liest er Fakten vor, zitiert aus Gerichtsprotokollen und Interviews. Alles vor einem mondänen Radiosprecher-Mikrofon, locker in Jeans und Hemd gekleidet, während im benachbarten Studio ein Schlagzeuger spielt. Es herrscht die konzentrierte Atmosphäre eines Aufnahmestudios, in dem eine eigene Welt erschaffen wird, während die Realität draußen für einen Moment auf stumm geschaltet ist. Manchmal bewegt Hamdan sich von einer Klangkabine in die nächste, wechselt die Szenerie, wechselt die Geschichte, geht durch Wände, als ob er deren Durchlässigkeit immer wieder aufs Neue überprüfen wollte. Dazu gesellen sich visuelle Effekte. Ein Schrei, den eine Zeugin im Fall Pistorius vor Gericht nachahmte, wird als spitze Kurve auf die Fensterscheibe des Studios projiziert und überlagert sich mit den Worten des Künstlers und dem Schlagzeugsound. Hamdans Arbeit wird hier zu einem eindrücklichen künstlerischen Hörstück.

Daadgalerie, Oranienstr. 161, Kreuzberg, bis 9. 12.

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