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Ein Werk der Künstlerin Delia Jürgens in der Ausstellung von frontviews im Projektraum Haunt in Schöneberg.

© Delia Jürgens, untitled, 2023, courtesy of the artist, Foto: Martin Albrecht Fulton

Ausstellung im Schöneberger Projektraum HAUNT: Leinwand leer, Geist voll

Besuch im Off-Space: In der Ausstellung „Garden of Delete“ beschäftigen sich sieben Künstler mit der Frage nach dem Verschwinden.

Es ist, als würde der Projektraum Haunt Verstecken spielen. Von außen deutet nichts darauf hin: ein sozialer Wohnblock aus den 70er-Jahren mit weiß gekachelten Pfeilern, unscheinbarer Hauseingang, ein Gittertor, ein Hinterhof und ein Gemeinschaftspavillon.

Einst war im Pavillon das Gartenbauamt Tiergarten beheimatet, seit 2020 ist er das Ausstellungszentrum des Kunstkollektivs frontviews. Bestehend aus derzeit 30 Künstler:innen organisiert das Kollektiv seit zehn Jahren mit staatlichen Fördermitteln und leider oft auch aus eigener Tasche hochwertige Ausstellungen. Momentan ist die Ausstellung „Garden of Delete“ im HAUNT zu sehen, kuratiert von Alice Dittmar und Stephan Klee.

Abwesenheit von Farbe bei Haunt

Und ums „Delete“, also ums Löschen und Verschwinden geht es in dieser Gruppenschau. Das Erste, was sofort ins Auge fällt, wenn man durch die Räume über zwei Etagen geht, ist die Abwesenheit von Farbe. Alle Werke der sieben beteiligten Künstler:innen sind scheinbar schwarz, anthrazit oder hellgrau, weiß, meliert, metallisch glänzend oder transparent. Nicht nur die Farbe, auch die Form und die Linie sind aus den Arbeiten verschwunden. Wie vielseitig Abstraktion dennoch darstellbar ist, beweisen die sieben Künstler:innen.

Alles in Schwarz, Weiß, Grau: Die Bilder von Marie Rief im Projektraum Haunt.
Alles in Schwarz, Weiß, Grau: Die Bilder von Marie Rief im Projektraum Haunt.

© Marie Rief, exhausting 9, coutesy of the artist, Foto: Martin Albrecht Fulton

Der prominenteste in der Ausstellung ist der chinesische Künstler Qiu Shihua, der hier einen Gastauftritt hat. Sonst stellt er im Hamburger Bahnhof, in St. Moritz oder Luzern aus. Die hier gezeigten zwei kleinformatigen Ölgemälde sind Leihgaben der Galerie Urs Meile.

Qiu ist bekannt für seine scheinbar monochrom weißen Gemälde, die sich erst im längeren Betrachten und auf Distanz als Landschaften offenbaren. Seine Gemälde vermögen es, den Betrachter zur Ruhe kommen und alles um ihn herum vergessen zu lassen. Durch die vielen weißen Lasuren verschwindet die Zentralperspektive der Landschaft, kein Vorder- und Hintergrund mehr, alles Dargestellte ist gleichwertig. Indem die Leinwand geleert wird, kann sich der Geist füllen. In diesem Sinne können die Gemälde von Qiu als Inspiration für die gesamte Ausstellung verstanden werden.

Kugelschreibern auf Fotopapier

In jedem Fall sind sie Vorbilder für Alice Dittmar, die hier neben der Kuration auch als Künstlerin an der Schau teilnimmt. Ihre beiden dunklen, großen Werke kommunizieren mit den kleinen Gemälden von Qiu. Weiß und schwarz, groß und klein halten die Spannung im ersten Raum des Erdgeschosses. Wie bei Qiu bestehen Dittmars Arbeiten aus mehreren Schichten.

Doch anstatt mit Farblasuren arbeitet Dittmar mit Kugelschreibern auf Fotopapier. Dicht an dicht zeichnet sie kurze Kulistriche akribisch nebeneinander, bis sie die komplette Oberfläche des Fotopapiers bedeckt hat. Dann fängt sie von vorn an und zeichnet über die erste eine zweite Schicht an Strichen, nun mit einem anderen Duktus. Und dann eine dritte Schicht.

Nur noch eine Andeutung eines Fotomotivs

„Zeit“, sagt Dittmar, „spielt bei mir keine Rolle. Genauso wenig die Anzahl der benötigten Kugelschreiber.“ Sie habe sie nie gezählt. Die Marke Staedler muss es sein, dokumentenecht und in Schwarz. Denn die Schwärze des Kugelschreibers erzeugt eine glänzende, reflektierende Oberfläche, die je nach Lichteinfall dunkel-kirschrot changiert.

Die drei Schichten Kulistriche reduzieren das Fotomotiv – oft ein Raum oder eine Landschaft – zu einer Ahnung. Der Betrachter muss genau hinsehen, sich bewegen, um das Angedeutete festhalten zu können. Aber immer wieder sieht er sich selbst in den Bildern gespiegelt.

Spiegelungen des eigenen Körpers

Die Selbstreflexion spielt auch bei Leon Manoloudakis und Dimitris Tampakis eine große Rolle. Tampakis setzt die Selbstreflexion im wörtlichen Sinne um. Seine über drei Meter lange Aluminiumstange ist an beiden Enden spitz zulaufend und blank poliert. Wie ein Damoklesschwert hängt es von der Decke. Gleichzeitig spiegelt sich die Umgebung in dem Gegenstand und sie erscheint leicht, nahezu nicht da. Von einer bestimmten Position aus ist sie tatsächlich optisch nicht mehr wahrnehmbar – einfach verschwunden.

Manoloudakis versteht die Selbstreflexion im Begreifen von Dingen. Er kommt aus der Bildhauerei, doch seine Werke muten nicht sofort wie Skulpturen an. Graphit ist sein Material. Er pulverisiert es zu sehr feinem Pigment. Trocken trägt er das Graphitpulver mit den Händen auf das Papier auf, so lange bis die ganze Fläche gleichmäßig bedeckt ist und eine gewisse Oberflächenspannung auf dem Papier entsteht.

Die Spiegelung auf der anthrazitfarbenen, matt-glänzenden Oberfläche nennt der Künstler „Inflektion“. Durch repetitives Falten und wieder Auffalten entstehen auf dem Papier Muster, Strukturen und Risse. Im Schattenspiel mit dem Licht bilden sich darauf eigene Landschaften.

Die Ausstellung „Garden of Delete“ ist eine Einladung auf eine innere Reise durch imaginäre Räume. Durch Reflektion und Selbstreflektion können wir am Ende vielleicht unsere eigenen Grenzen überwinden. Das Ich löst sich auf.

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