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„Usagi“ nennen sich die Häsinnengeschöpfe von Leiko Ikemura. „Usagi“ heißt Hase.

© Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst Bonn, 2022,Georg Kolbe Museum, Foto: Enric Duch / Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst Bonn, 2022,Georg Kolbe Museum, Foto: Enric Duch

Ausstellung im Georg Kolbe Museum: Gewitztes Hexenwerk von Leiko Ikemura

Zwiespältig und vielschichtig: Leiko Ikemuras Skulpturen-Ausstellung „Witty witches“ im Atelierhaus von Georg Kolbe.

Ihr eigenes Atelier nistet seit langem schon in einem eigens errichteten, schmalen Haus in Kreuzberg. Jetzt sind Leiko Ikemuras sanfte Wesenheiten ins historische Künstlerhaus des Bildhauers Georg Kolbe eingezogen. Still ist es um sie her. Zum Glück.

Wer allein in einem Raum mit diesen eigentümlichen Schöpfungen verweilen darf, spürt Besänftigendes und Beunruhigendes. Mal aus glasierter Keramik ganz offenkundig mit der Hand geknetet, mal auf die Leinwand mit heftiger Gestik hingeschleudert sind diese unverwechselbaren Arbeiten. Andere wurden in Bronze gegossen, in jüngster Zeit sogar massiv aus Glas gebildet. Was sie alle eint, unter dem Ausstellungstitel „Witty witches“, ist ihre vieldeutige Lebendigkeit. Gewitztes Hexenwerk!

Die Häsin trägt doppeldeutige Botschaften unterm Rock

Nicht selten meint man ein sympathisches Augenzwinkern, ein verstohlenes Lächeln wahrzunehmen. Etwa bei „Cat Woman“ und „Cat Man“: in Form von klassischen Porträtbüsten stehen sie sich Aug in Auge gegenüber. Mit ihren stupsnasigen Schnäbelchen im Gesicht gleichen sie Mensch, Vogel und Katze gleichermaßen.

Aber auch Grauen und Angst, Trost und Vergänglichkeitsgewissheit sind in Leiko Ikemuras Arbeiten zugegen. Viele dieser Plastiken sind innen hohl, nicht nur aus materialtechnischen Gründen. Das macht sie fragil und zu Gefäßen für ambivalente Botschaften und Gefühle.

Dominierend ragt im großen Atelierraum die stehende weibliche Figur „Usagi Kannon“ mit aufgestellten Hasenohren auf. Ihren weiten Glockenrock breitet sie aus wie eine Schutzmantelmadonna. Tatsächlich darf man hier Schutz suchen und sich hineinhocken in die Höhle aus Bronzeguss. Durch winzige Löcher blitzt rundum sternengleich helles Licht herein.

Ikemura kreierte die Gestalt nach der Atomkatastrophe von Fukushima. Seither gastierte sie in Varianten schon vielerorts rund um die Welt. „Usagi“ heißt Hase. Der Doppeltitel spielt aber auch auf eine buddhistische Wesenheit für universales Mitgefühl an. Die jüngeren, kleineren Geschöpfe dieser Serie blicken mit zwei Gesichtern janusköpfig nach vorne und zurück. Verschiedene Kulturtraditionen verschränken sich in Ikemuras Arbeiten.

„Usagi Kannon“ mit aufgestellten Hasenohren breitet ihren weiten Glockenrock aus wie eine Schutzmantelmadonna.

© Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst Bonn, 2022,Georg Kolbe Museum, Foto: Enric Duch / Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst Bonn, 2022,Georg Kolbe Museum, Foto: Enric Duch

Die international renommierte Künstlerin kam 1951 in Japan zur Welt. Malerei studierte sie in Spanien, dem Land Goyas. Seit 1990 hat sie sich in Berlin niedergelassen. Die Idee, einmal in Kolbes klassisch-modernem Atelierhaus der 20er Jahre auszustellen, reizte Leiko Ikemura schon seit längerem.

Als die junge Kuratorin Elisabeth Heymer auf sie zukam, stimmte die Künstlerin sofort zu. Ihre aktuellen Leinwandarbeiten „Kuro Ame“ grundiert Düsternis und Grauen. Der hochkonzentrierte, spontane Pinselduktus erinnert an die Tradition asiatischer Tuschemalereien, aber auch an den abstrakten Expressionismus der Nachkriegsära. In einem Gedicht, das während der Ausstellungsvorbereitung entstand, heißt es: „nichts ist lustig zur zeit“.

Kindliche Figuren, aber alles andere als niedlich

Einen ganzen Raum bespielen die mädchenhaften Liegenden aus den 1990er Jahren. Diese Übergangswesen zwischen Kindheit und Erwachsensein sind alles andere als niedlich, trotz zierlichen Körperbaus. Ein Girl lümmelt bäuchlings am Boden, bekleidet mit einem steifen, rosa Tütü-Röckchen, und stützt ihre Armstümpfe direkt in die Augenhöhlen. Pubertät ist kein Spaß. Der Oberkörper einer anderen hat sich abgelöst und schmiegt sich nun seitlich kopfüber an das kornblumenblaue Kleid. Die kirschrote „Liegende“ ähnelt einer sich öffnenden Blüte, aber gänzlich kitschfrei.

nichts ist lustig zur zeit

So heißt es in einem aktuellen Gedicht von Leiko Ikemura.

Die nahtlosen Übergänge zwischen Pflanzenhaftem und Menschlichen, zwischen tierähnlichen und abstrakten Formen sind charakteristisch für Ikemura. Das silbrige „Memento Mori“ zeigt ein insektengleiches Wesen im Todesschlaf, der schon halb zerfallene, fragile Körper lässt an ein aufgebrochenes Samenkorn denken. Ein Film aus Aquarellen fügt sphärische Landschaften und herzschlagartige Klänge hinzu. „Nichts ist zum lachen. Aber summen.“

Ikemura hat zum ersten Mal mit massivem Glas gearbeitet

Im Untergeschoss wird es überraschend licht und weit. Im großen Bogen reihen sich die neuen Glasarbeiten. Leiko Ikemura war, wie Kuratorin Heymer erzählt, eigentlich eingeladen, in Murano das traditionsreiche Medium zu erproben. Corona verhinderte den Werkstattaufenthalt. Ikemura beschloss, es im eigenen Atelier mittels ihres Keramikbrennofens zu versuchen. Heikel ist der alchemistische Prozess des Schmelzens, wenn Quarzsand und andere Stoffe sich verbinden.

Unendlich langsam kühlt alles wieder ab, jeden Tag ein Grad. Das Resultat wirkt, als sei noch gar nichts endgültig erstarrt. Erst das Licht erweckt die massiven Volumen zum Leben. Ein dunkelgrünes Tier-Mensch-Wesen schlingt nach Löwenart seinen Schwanz um sich.

Ein schlummernder Kopf öffnet wie atmend den Mund. Und ganz am Ende der Reihe kauert ein durchscheinender Hase, fast naturalistisch geformt wie auf Dürers berühmtem Aquarell. Er duckt sich, legt die langen Ohren nach hinten und macht sich fast unsichtbar. Aber er ist da.

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