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Kolossale Poesie. Bernar Venets Skulpturen füllen ganze Hallen, in Tempelhof den Hangar 2 und 3. Foto: Daniel Biskup

© Daniel Biskup/VG Bildkunst Bon 2022

Ausstellung im Flughafen Tempelhof löst Streit aus: Wenn öffentliche Ausstellungsorte und private Interessen kollidieren

Die Retrospektive des französischen Bildhauers Bernar Venet ist fabelhaft. Aber die Stiftung dahinter lässt Zweifel an ihren Absichten aufkommen.

Da war dieser Haufen Teer, der einen Abhang hinunterfloss. Ausgekippt, weil er nicht mehr gebraucht wurde. Bernar Venet hat diese Szene als junger Soldat während des Wehrdienstes gesehen und in eine große, überwältigende, alles verschlingende Dunkelheit geschaut. Seine Zukunft, denn in dieser Finsternis verbarg sich Venets künstlerisches Lebenswerk. So rekapituliert es der inzwischen 80-jährige Franzose auf dem Weg durch die Hangars des einstigen Flughafens Tempelhof und seine monumentale Retrospektive. Venet erzählt das nicht zum ersten Mal, aber er tut es überzeugend lebendig, ohne jede hörbare Ermüdungserscheinung.

Für ihn ist die Ausstellung eine wichtige biografische Station. Bernar Venet, in Frankreich lange schon ein Star, hat mit der insolventen Galerie Blain Southern vor zwei Jahren seine Berliner Vertretung verloren; er hat auch eine neue Galerie, aber dazu später. Sichtbarstes Zeugnis seines Werkes hier ist seither jener „Arc de 124,5°“, der in der Vergangenheit für Ärger sorgte: Venets eleganter Bogen aus Cortenstahl, der parallel zur Urania auf einem Stück Grün zwischen den Fahrbahnen liegt.

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Ein komplett ungeeigneter Ort für eine Skulptur. Doch statt Ausschau nach einer Alternative zu halten, plädierte ein Teil der Schöneberger Bezirksverordneten 2019 für die Fällung der Bäume auf dem Areal, um der Arbeit auf Wunsch von Venet mehr Raum zu geben. Kunst contra Natur, das ist infam, half dem „Arc de 124,5°“ wenig und heizte eher die Stimmung wider Skulptur im öffentlichen Raum an.

Etwas mehr Wissen über den Künstler und seinen weitläufigen Skulpturengarten in Südfrankreich hätte eine Idee davon gegeben, wie gekonnt das Werk beides miteinander zu verbinden versteht. Hier ruhen die Bögen auf freien Rasenflächen, gesäumt von Buschwerk und Bäumen. Auch ein Blick ins Internet vermittelt nachhaltige Eindrücke: 2019 etwa wurde der „Arc Majeur“ an der belgischen Autobahn bei Lavaux-Sainte-Anne installiert – ein kolossales Objekt, das sich links und rechts des Asphalts in die Luft erhebt.

Die Retrospektive umfasst sechs Jahrzehnte Lebenswerk

Die dritte Möglichkeit, sich mit Venets umfänglichem Werk vertraut zu machen, ergibt sich nun in Hangar 2 und 3 in Tempelhof. „Bernar Venet, 1961–2021. 60 Years of Sculpture, Painting and Performance“ heißt die Ausstellung, die sechs Jahrzehnte umspannt und mit den frühen Zeichnungen beginnt, in denen er seine Begegnung mit der fließenden Schwärze des Teers verarbeitet. Der Künstler griff ebenfalls zu der zähen Masse, verteilte sie 1961 über das Blatt.

Das Ergebnis kam ihm zu malerisch vor, erinnerte ihn an die informelle Gestik seiner Zeit, meint Venet. Er weist auf die nächsten Blätter hin, auf denen sich der Teer nahezu gleichmäßig über die Oberfläche verteilt. Schon besser. Weg mit der künstlerischen Handschrift, an ihre Stelle tritt die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Material ebenso wie Venets Faszination für tiefschwarze Kohle, aus der er en passant ebenfalls eine Plastik ohne Eigenschaften macht: Die kleinen, glitzernden Kohlestücke ergießen sich über den Boden, ihre Zahl ist egal, ihre Anordnung auch. Einzig die Dimension der Ausstellungshalle gibt den Maßstab des länglichen Haufens vor, der auch in den Hangars eine kleine Erhebung darstellt.

Die Künstler Zero hatte großen Einfluss auf sein Schaffen

Konzeptkunst vor der Konzeptkunst, der Venet mit Richard Serra oder Donald Judd erst 1966 in New York begegnete. Davor setzte er sich mit der europäischen Avantgarde auseinander, ließ sich von der Künstlergruppe Zero um Günther Uecker und Heinz Mack beeinflussen oder reagierte auf die legendäre Performance „Sprung in die Leere“ von Yves Klein, indem er sich selbst auf die Straße zwischen volle Mülleimer bettete. Statt mit der Luft verbindet sich Venet also erneut mit dem Asphalt, spürt dessen Materialität mit dem gesamten Körper und lässt sich dennoch nicht zu sinnlicher Ausdruckskunst verführen. Im Gegenteil: Sein Ansatz wird zunehmend strenger, schließlich überträgt er ganze Seiten aus wissenschaftlichen Büchern auf die Leinwand. Ohne zu wissen, was genau dort steht, so Venet. Vielmehr will er die Malerei objektivieren.

Wie er von dort zu den schwarzen Silhouetten aus Holz und Grafit gelangt, die sich zeichenhaft von der weißen Wand abheben, schließlich zur freistehenden Skulptur, deren Elemente frisch aus dem Stahlwerk zu kommen scheinen und ebenfalls keine individuellen Merkmale aufweisen – außer dass der Künstler die Bögen ordnet und in der „Collapse“-Serie ineinanderkrachen lässt –, macht die Ausstellung anschaulich.

Es wird laut um die Ausstellung, nicht nur bei Vernets Performance

Sie ist tatsächlich großartig und trägt keine Schuld an dem Getöse, das sich inzwischen mindestens so sehr mit den Tempelhofer Hallen verbindet wie Venets dröhnende Performance vor ein paar Tagen, als zur Eröffnung wieder ein paar stählerne Rippen unter der Regie des Künstlers umfielen.

Der Ärger, der sich immer lauter äußert und im Netz zu ersten Boykottaufrufen führt, hängt mit den Organisatoren des Projekts zusammen. Walter Smerling, Gründer der privaten Stiftung für Kunst und Kultur und Direktor des ebenfalls privaten Museums Küppersmühle in Duisburg, hat die Hangars für zwei Jahre gemietet. Auf der Suche nach einem Namen für sein jüngstes Projekt verfiel der Kulturmanager ausgerechnet auf die Idee, es „Kunsthalle Berlin“ zu nennen. Wobei man annehmen darf, dass auch Smerling mitbekommen hat, wie in Berlin nach 2005 am heutigen Ort des Humboldt Forums um einen adäquaten Ausstellungsort gerungen wurde, der ebenfalls Kunsthalle heißen sollte.

Der Name Kunsthalle weckt falsche Erwartungen

Nun ist der Begriff nicht geschützt, weckt allerdings Assoziationen. Wer nach Hamburg, Bonn oder Düsseldorf blickt, sieht institutionelle Häuser desselben Namens mit programmatischen Inhalten. Ihre Etats wie Finanzierungsmodelle mögen sich voneinander unterscheiden, immer aber geht es in solchen Hallen um die Kunst. Und genau hier beschleicht einen der Zweifel, sobald man sich das „Berliner Modell“ genauer ansieht.

Wenn Smerling in seiner vielfachen Funktion – nicht zuletzt als Vertreter einer mächtigen Privatsammlung, die die Bestände des Museums Küppersmühle bildet – nun auch als Kurator der Ausstellung von Venet auftritt; eines Künstlers, den die Mega-Galerie König in St. Agnes inzwischen unter Vertrag hat, die bald ebenfalls eine Soloschau eröffnet.

Das Gerede von „Kunst als Türöffner“ lässt nichts Gutes ahnen

Wenn Immobilienentwickler Christoph Gröner als Hauptsponsor der Veranstaltung auftritt, den Neujahrsempfang seines Unternehmens noch vor der offiziellen Eröffnung in der Ausstellung stattfinden lässt und dem ZDF vor der Kulisse der maroden Hangars ein Interview gibt, in dem er von der „Kunst als Türöffner“ spricht – dann bekommt man eine leise Vorstellung von der Dimension, in der sich die Retrospektive als Instrument für alles Mögliche erweist. Als eine Melange aus privaten, wirtschaftlichen und repräsentativen Interessen, an der sich zu Recht Kritik entzündet.

[Kunsthalle Berlin. Flughafen Tempelhof, Hangar 2 und 3, Columbiadamm. Bis 30. Mai, Mo 11–18 Uhr, Mi 11–20 Uhr, Do–So 11–18 Uhr]

Mäzenatentum sieht anders aus. Für die Realisierung der Temporären Kunsthalle auf dem Schlossplatz 2008 sorgte der inzwischen verstorbene Berliner Sammler Dieter Rosenkranz. Er finanzierte das Projekt im Wesentlichen, hielt sich ansonsten zurück. Weder wollte er kuratieren noch Inhalte mitbestimmen. Ihm war der Diskurs wichtig. Doch der scheint heute am wenigsten zu interessieren.

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