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Die Schauspielerin Tilla Durieux kletterte für die Serie "Große Alte im Wald!

© Stefan Moses

Ausstellung Stefan Moses: Auf der grauen Insel

Menschenbilder des 20. Jahrhunderts: Eine Ausstellung in der Berliner Galerie Johanna Breede zeigt die großen Serien des Fotografen Stefan Moses.

Leicht verdutzt schaut Hans Richter aus einem Kohlblatt hervor. Dabei korrespondiert das barocke Gekräusel des Gemüses mit den Stirnfalten des Dada-Künstlers. Stefan Moses hat das Foto 1963 im Rahmen seiner Serie „Künstler machen Masken“ aufgenommen, als Teil einer Langzeitserie für das Magazin „Stern“. Den Künstlern gewährte Moses fünf Minuten Bedenkzeit für ihre Maskerade. Loriot schob sich eine Pappbüste des legendären Herrn Dr. Müller-Lüdenscheidt vors Gesicht, Otto Dix lugt aus den runden Griffen einer Papierschere. Der Komponist Boris Blacher hält sich die Bronzemaske von Bernhard Heiliger vors Gesicht – unheimlich vorausschauend, gestaltete doch Heiliger später Blachers Grab auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof. Im März 1976 besuchte der Fotograf Hannah Höch in ihrem „Knusperhäuschen“ (Moses) in Heiligensee und hielt die 87-jährige Künstlerin dabei fest, wie sie ihre Dada-Marionetten Ying & Yang bewegt. Kurios und bewährt selbstironisch lässt sich Peggy Guggenheim durch venezianische Kanäle rudern, die legendäre Nachtfalterbrille auf der Nase und begleitet von ihren Lahasaterriern Max (Ernst) und Sir Herbert (Read), mit denen sie sich später gemeinsam beisetzen ließ. Formal schafft Moses subtile Korrespondenzen: So wiederholt die zerklüftete Stirn des greisen Ernst Jünger die Naht- und Verzahnungsmuster des Knochenpanzers seiner Schildkröte, mit der er einen Dialog führt.

Moses lieh sich bei C&A einen Spiegel für Adorno

Zu sehen sind die Fotografien in der Galerie Johanna Breede. Selbst wenn sich die Porträtierten an die Grenze der Lächerlichkeit wagen wie Peggy Guggenheim, gewährt ihnen Moses eine nachdrückliche Würde und schafft es zugleich, das Charakteristische der Persönlichkeit einzufangen. Moses arbeitet zumeist in Serien, die er mitunter über Jahrzehnte anlegt. Eine besonders ergiebige nennt er „Große Alte im Wald“. Der Fotograf sieht den „Baum als Sinnbild des Lebens“. Wie eine Nymphe schlängelt sich die 83-jährige Tilla Durieux zwischen die Stämme und führt Zwiesprache mit dem Geäst. Der 70-jährige Willy Brandt schreitet im Anzug durch das zugewucherte Siebengebirge. Für die deutschen Denker des 20. Jahrhunderts ersann Moses eine andere Inszenierung: Er lieh sich bei C & A einen Anprobierspiegel aus und besuchte Theodor W. Adorno, Ernst Bloch oder Hans Mayer. Der Pfeife haltende Bloch und Philosophenkollege Mayer schauen erstaunt über das eigene Spiegelbild und drücken dabei selbst den Auslöser der Kamera: ein köstliches Doppelselfie von 1963. Christoph Stölzl rühmt Moses als den „Meister taktvoller Freundschaftssignale“, dem selbst schwierigste Charaktere nicht widerstehen konnten. Damit sei Moses zum „Photographen der intellektuellen Bundesrepublik“ avanciert.

Fast alle lächeln auf seinen Fotos, manche prusten sogar

Doch er widmete sich mit der gleichen Passion den sogenannten kleinen Leuten. So passt es, wenn die aktuelle Schau den Titel „Ein Welttheater“ (Preise: 1500–2500 Euro) trägt. „Überall wo ein Gesicht oder eine Arbeitskleidung mich fesselte, spannte ich ein graues Tuch auf und bat die Menschen vor die Kamera“, erinnert sich der 1928 im schlesischen Liegnitz geborene Moses. Das Bemerkenswerte an der Inszenierung: Fast jeder der Dargestellten empfand den neutralen Tuchhintergrund als etwas Natürliches. Alle fühlten sich offensichtlich wohl auf dieser Insel und wurden umgehend zu bedeutsamen Individuen – sei es ein Bundestagsdiener oder ein Krupp-Arbeiter. Auffallend darüber hinaus ist, dass sich bei Moses beinahe sämtliche Porträtierten lächelnd zeigten. Ja, mitunter ist es geradezu prustendes Lachen wie bei den Kölner Straßenbahnschaffnerinnen von 1963. Nach der Wende ergänzt er seine in den sechziger Jahren begonnene Serie „Deutsche West“ um Pendants aus dem Osten. Damit erhält der in seinem Kessel fischende West-Berliner „Wurstmaxe“ ein Gegenüber – die sich entspannt durchs Haar streichende Schäferin mit Lamm und Hund. Und die vier „Köchinnen LPG“ aus Neukirchen-Whyra müssen sich 1990 genauso den Bauch vor lauter Lachen halten wie das Kölner Quartett drei Jahre zuvor.
Galerie Johanna Breede, Fasanenstr. 69; bis 26. 11., Di–Fr 11–18, Sa 11–16 Uhr

Von Martina Jammers

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