zum Hauptinhalt
07.06.2023, Hamburg: Ein Mann springt vom Zehnmeter Turm in das Becken im Sommerfreibad Kaifu-Bad. Foto: Georg Wendt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Georg Wendt

Arno Franks Roman „Seemann vom Siebener“: Showdown im Freibad

Viel mehr als ein Sommeroman, nämlich gute Literatur: Der Kulturjournalist Arno Frank erzählt die Geschichte mehrerer Menschen an einem Tag in einem Schwimmbad in der pfälzischen Provinz.

So ein „Seemann“ ist kein leichter Sprung, vom Sieben-Meterbrett erst recht nicht. Die Arme liegen seitlich am Körper an oder gleich hinter dem Rücken, und dann geht es mit dem Kopf voran ins Becken. Die Ich-Erzählerin von Arno Franks Roman „Seemann vom Siebener“, ein junges Mädchen von 16 oder 17 Jahren, sieht das etwas anders. Für sie ist der Seemann „der schönste aller Sprünge“, „ein simpler Kopfsprung“, bei dem man vor allem eins beachten muss: „Der Absprung ist alles. Im Absprung liegt schon der ganze Sprung vom Anfang bis zum Ende.“

Auf diesen Sprung läuft in Franks Roman alles hinaus, an einem Tag im Sommer, dem letzten der Sommerferien, in einem Freibad irgendwo in der Pfalz, gelegen im fiktiven Örtchen Ottersweiler. Das Freibad ist der einzige Schauplatz dieses erstaunlich guten, schönen Romans über eine Gruppe von Menschen, deren Wege sich hier zufällig kreuzen, die aber alle irgendwie miteinander verbunden sind.

Zum Beispiel Kiontke, der Bademeister, der früher LKW gefahren ist, dann im Schwimmbad den Job übernahm und nun die Last eines tödlichen Unfalls zu tragen hat; Renate, früher Sparkassenangestellte, jetzt Kassenwärterin; Josefine, Schwiegertochter des örtlichen LKW-Großunternehmers Brinkmann, die gerade ihren Mann Max bei einem Autounfall verloren hat. Oder die alte Frau Trautheimer, eine pensionierte Lateinlehrerin, die der Kassenwärterin mal fix beim Kreuzworträtsel hilft und ihr den französischen Schriftstellernamen mit sechs Buchstaben nennt: Proust, nicht „Flober“, wie Renate denkt.

Mit Frau Trautheimer, der vielleicht stärksten Figur dieses Romans, demonstriert Frank früh, dass „Seemann vom Siebener“ mehr ist als ein schneller Sommerroman: Sie liest nicht nur unermüdlich Proust, nein, sie verliert sich im Verlauf immer mal wieder in Traum- und Erinnerungssequenzen. Darin ist etwa ihr verstorbener Mann plötzlich an ihrer Seite: Er, ein Architekt, konzipierte das Schwimmbad einst.

Und was eignet sich besser als ein Schwimmbad, mit dem viele Menschen von ihrer Kindheit an Erlebnisse verbinden, um sich in Erinnerungen zu ergehen oder über das Verstreichen der Zeit zu reflektieren? Zumal es sich um ein älteres Modell handelt, das zwar hie und da auch renoviert wurde, aber weit davon entfernt ist, der modernen Spaßbad- und Eventkultur zu genügen. Also beobachtet Josefine sich und ihren Körper genau, überlegt, was aus ihr geworden ist. Oder der Fotograf Lennart, der ebenfalls wegen der Beerdigung angereist ist: Er will seine Sujets wechseln und womöglich überhaupt sein Leben ändern.

Frank, hauptberuflich Kulturjournalist unter anderem bei „Spiegel“ und „taz“, ist nahe dran an seinen Figuren. Er versteht sich auf ihre Eigenarten, unterschiedlichen Charaktere und Stimmungen, hat ein Gespür für neue gesellschaftliche Unterströmungen.

Bis auf das junge Mädchen lässt er einen personalen Erzähler agieren, und so wird man im schnellen Wechsel der Träume und Wünsche der Figuren gewahr, ihrem Versagen oder Scheitern, ihren psychischen Deformierungen: von Kiontke, der das Trauma des Unglücks mit sich herumschleppt („Weil, in Therapie wollte der ja nicht“), über das Mädchen, das seinen Seemann vom Ein-Meterbrett zum Siebener langsam steigert (will sie sich womöglich was antun?) bis zu den Mittvierzigern Josefine und Lennart.

Arno Frank hatte 2017 für Aufsehen gesorgt, als er mit dem autobiografischen Roman „So, und jetzt kommst du“ die Geschichte seiner Kindheit und Jugend schrieb; das Aufsehen verdankte sich seinerzeit nicht zuletzt dem Stoff, ging es in den Roman doch um seinen kriminellen Vater und ein zeitweiliges Familienleben auf der Flucht durch Südfrankreich und Portugal.

Mit „Seemann vom Siebener“ zeigt Frank nun, was für ein versierter, umsichtiger Erzähler er ist – und dass er aus einem scheinbar unspektakulären Stoff sehr gute Literatur zu produzieren vermag.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false