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Die Künstlerin Leiko Ikemura und der Architekt Philipp von Matt wollten Arbeit und Lebensgemeinschaft unter einem Dach vereinen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Architekturpreis 2016 - Berlins beste Bauten: Ein Haus mit Eigenarten

Im Atelierhaus der Malerin Leiko Ikemura mischen sich Arbeit und Wohnen auf ungewöhnliche Weise.

Von außen fällt das Künstler-Atelierhaus mit der grauen Fassade kaum auf. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man die Fenster, die so ganz eigene Proportionen haben, eines länglich und schmal, andere klein und rechteckig, keines gleicht dem anderen. Und wer durch die Tür mit ihrem japanischen Sprossengitter tritt, dem wird klar, dass dieses Haus im besten Sinne eigenartig ist.

Die hohe Eingangshalle lenkt den Blick direkt auf eine geschlossene Flügeltür. Wie ein behütetes Geheimnis liegt dahinter das Reich der Künstlerin, für die dieses Haus konzipiert wurde: Leiko Ikemura. „Leben und Arbeiten sollten eins sein. Wir wollten etwas Fließendes“, sagt sie. Mit „wir“ sind Ikemura und ihr Mann, der Architekt Philipp von Matt gemeint. Sie war die Bauherrin, er der Architekt, gleichzeitig sind sie ein Paar.

Während die Nähe von Arbeits- und Wohnraum von vielen Menschen als störend, ja belastend empfunden wird, haben Von Matt und Ikemura eine Symbiose bewusst gesucht. „Die Architektur ermöglicht eine räumliche Trennung, die gleichzeitig Distanz und Nähe bieten kann“, sagt die Malerin. Früher habe sie dagegen oft in Ateliers gleichzeitig gewohnt und gearbeitet.

Die Ruhe und Beschränkung hat fast etwas Klösterliches

Heute dienen ihr die Atelierräume hinter der Flügeltür als Ort des Rückzugs. Sie nehmen das gesamte Erdgeschoss ein und überraschen durch Stille und Helligkeit. Sicher und geborgen soll sie sich hier fühlen, frei über Raum und Zeit verfügen, schreibt ihr Mann in einem Katalog über das Haus. Auch deshalb liegt das Atelier, nach hinten verlagert, in Richtung des Hinterhofes. Inmitten karger Wände und rauem Beton ist es durch intelligent geplante Fenster so hell, dass Ikemura bis spät in den Nachmittag ohne künstliches Licht auskommt.

Die Ruhe und Beschränkung hat fast etwas Klösterliches, ein tief gelegenes Fenster gibt den Blick frei auf einen kleinen, Zen-östlichen Innenhof mit Bambusstauden. Bei dessen Gestaltung hat sich von Matt an dem Teezeremonien-Haus in Kyoto orientiert. Ikemura sagt: „Wenn ich darauf schaue, ist das Zuhause.“

Nähe und Distanz – künstlerische Verwirklichung und Privatleben. Das Atelierhaus von Leiko Ikemura und Philipp von Matt.
Nähe und Distanz – künstlerische Verwirklichung und Privatleben. Das Atelierhaus von Leiko Ikemura und Philipp von Matt.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Und auch wenn man hier im Haus das Gefühl hat, ganz weit weg zu sein von Berlin, dringt doch auch immer wieder die Stadt durch. „Ich höre oft Musiker, die nebenan proben, oder typische Kreuzberger Straßengeräusche. Dann weiß ich ganz genau, wo ich bin“, sagt Ikemura.

Verlässt man das Atelier in Richtung Eingangshalle, kommt man zu einer Betontreppe, die fast eine Skulptur ist. Als elliptische Betonspirale windet sie sich durch das ganze Haus und verbindet die verschiedenen Stufen von Privatheit und Gemeinschaft miteinander. Vorbei geht es am Büro im ersten Stock, in dem Ikemuras Mitarbeiterinnen sitzen, nebenan ein Gästeapartment, das sich in Richtung Innenhof öffnet, hinauf in den zweiten Stock, wo von Matts Arbeitsräume liegen, bis ganz oben zum Wohndeck. Dort geben die großen, holzgerahmten Fenster das Gefühl, dass Drinnen und Draußen miteinander verschmelzen.

"Architektur verändert sich im Tageslicht, im Jahreslicht"

Dort oben fühlt es sich ganz anders an, viel intimer als im Atelier. Das hat verschiedene Gründe, einer ist die Höhe der Decken, die in diesem Haus stark variieren. In den „Denkräumen“, also dem Atelier und von Matts Büro, gibt es den meisten Platz nach oben, im Wohnbereich weniger. Auch das lässt das Haus so dynamisch wirken. Bewegt man sich hindurch, wechseln nicht nur Licht und Schatten, Stille und Lebhaftigkeit, sondern auch Raumhöhe und -fläche.

Das Arbeitsreich der Künstlerin.
Das Arbeitsreich der Künstlerin.

© Doris Spiekermann Klaas

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist der Umgang mit dem Licht. Von Matt sagt: „Architektur verändert sich im Tageslicht, im Jahreslicht und indem man sich durch die Räume bewegt.“ Im Haus wurden Licht und Schatten nicht dem Zufall überlassen, sondern folgen einer Dramaturgie. Das lichtdurchflutete Wohndeck wirkt durch den angrenzenden, im Halbschatten liegenden Garderobenraum noch viel heller.

Auch der Entstehungsprozess dieses Hauses ist ein besonderer. Leiko Ikemura war die Auftraggeberin, von Matt der Architekt, beide haben ihre eigene künstlerische Vision, sind zudem noch Partner. Wie konnte das gut gehen? „Alle Freunde haben uns gewarnt. Aber wir haben uns auch viel Zeit gelassen. Fünf bis sechs Jahre hat es gedauert“, sagt von Matt. Am Ende waren beide zufrieden. Das Schwierigste sei dann auch nicht gewesen, gemeinsam mit dem Partner ein Haus zu denken, sondern den eigenen Anforderungen gerecht zu werden. „Sich selbst zu überzeugen, ist furchtbar schwierig“, sagt von Matt.

Seine Frau sagt: „Ich war unglaublich erstaunt, dass das Haus funktionierte.“ Es gab nur wenige Korrekturen. Statt Ideen am Computer zu entwerfen, hat von Matt kleine Modelle gebaut, von denen noch alle in seinem Büro stehen. „Damit konnte man ein greifbares Gefühl für den Raum entstehen lassen, schauen, wie etwa der Lichteinfall ist“, sagt er. Seiner Frau war es wichtig, dass auch er sich architektonisch verwirklichen konnte. „Ich wollte, dass der schöpferische Teil seiner Architektur zum Tragen kommt. Dass sie nicht nur dem Zweck dient.“

Doch nicht nur über Ästhetik und Funktionalität haben sich die beiden Gedanken gemacht. „Wir haben versucht, materialbewusst zu bauen, nichts Schädliches zu verwenden“, sagt Ikemura. Viel wurde offen oder porös gelassen. Kaum eine der Oberflächen ist lackiert. Dadurch wirkt das Haus sehr ursprünglich.

Außerdem war es ihnen ein Anliegen, sich in das soziale Gefüge vor Ort zu integrieren. „Ich finde es wichtig, soziale Gegebenheiten zu respektieren“, sagt Ikemura. Andersartigkeit müsse auf etwas anderes gründen als nur Geld. Auch daher rührt die bescheidene Fassade und das schlichte Innenleben des Hauses. „Der Reichtum unseres Hauses besteht im Weglassen“, sagt sie.

Weitere Kandidaten für den Architekturpreis Berlin 2016 finden Sie hier.

STIMMEN SIE AB!

Der Architekturpreis Berlin 2016 prämiert Bauten, die kürzlich in Berlin fertiggestellt wurden. Der Preis ist deshalb eine Leistungsschau des guten Bauens. In Kooperation mit dem Verein „Architekturpreis Berlin“ präsentiert der Tagesspiegel in einer Serie zahlreiche Bewerbungen. Wir zeigen, welche architektonische Vielfalt möglich ist und was Bauherren mit Anspruch leisten können.

Sie sind gefragt – bei der Vergabe des Publikumspreises. Unter www.tagesspiegel.de/Architekturpreis können Sie sich in der interaktiven Landkarte bei jedem Projekt einklicken und dann alle Bewerbungen mit weiteren Informationen und Fotos anschauen. Abstimmen können Sie bis 16. Mai. Eine Anmeldung ist nur für die Stimmabgabe nötig.

Pascale Müller

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