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Historische Ereignisse geben den Rahmen von „Through the Darkest of Times“ vor.

© Paintbucket Games

Antifaschismus im Computerspiel: Wie man in „Through the Darkest of Times“ gegen Nazis kämpft

Das Berliner Studio Paintbucket Games versetzt einen in die Rolle des innerdeutschen Widerstandes. Und stellt Fragen, die viele Games ausblenden. Ein Porträt.

Hört man Geschichten vom Widerstand gegen die Nationalsozialisten, stellt sich unwillkürlich die Frage: „Was hätte ich gemacht?“ Hätte man verbotene Bücher geschmuggelt? Oder wäre man zu radikalen Mitteln wie einem Bombenanschlag auf das Olympiastadion bereit gewesen? Das Computerspiel „Through the Darkest of Times“ vom Berliner Entwicklerstudio Paintbucket Games behandelt genau diese Fragen.

Spielende übernehmen – anders als in den meisten Videospielen, deren Handlung im Zweiten Krieg angesiedelt ist – nicht die Rolle von heldenhaften Soldaten, sie nehmen die Perspektive des innerdeutschen Widerstandes ein. Sie kämpfen als Zivilisten gegen das NS-Regime und versuchen im Berlin während des „Dritten Reichs“ zu überleben.

Kleine Studios produzieren betont politische Spiele

„Wenn die Erinnerung an die Schrecken dieser Zeit verblasst, sehe ich die Gefahr, dass alles an unserer Gesellschaft Schützenswerte verfällt“, sagt Jörg Friedrich, einer der beiden Gründer von Paintbucket Games. Der 43-Jährige lernte Mitgründer Sebastian St. Schulz bei der Arbeit an dem Spiel „Spec Ops: The Line“ kennen.

In dem 2012 erschienen Shooter-Blockbuster des Berliner Studios Yager sahen viele Kritiker das erste echte Antikriegsspiel, weil es den Krieg durch die Augen eines zutiefst traumatisierten Soldaten zeigte. Mit „Through the Darkest of Times“ gehen St. Schulz und Friedrich einen Schritt weiter und verlassen endgültig den Mainstream.

„Wir wollten keinen Anschlags-Simulator machen“

Es sind kleine Indiestudios wie Paintbucket Games, die seit einigen Jahren betont politische Werke auf den Markt bringen und die Kriegsromantik des Mediums infrage stellen. Titel wie „This War Of Mine“ oder „11-11: Memories Retold“ versetzen Spieler in die Rolle von Zivilisten in Kriegsgebieten. Sie erzählen leise und berührende Geschichten, ohne das übliche Spektakel oder Heldenpathos.

Jörg Friedrich (l.) und Sebastian St. Schulz haben Paintbucket Games gegründet.
Jörg Friedrich (l.) und Sebastian St. Schulz haben Paintbucket Games gegründet.

© Paintbucket Games

Denn mit der historischen Realität haben die meisten Spiele trotz detailgetreu gestalteter Wehrmachtsuniformen wenig zu tun. Faschismus und Holocaust werden zugunsten des Spaßes ausgeblendet. Hitler ist nur eine Art Endboss, die Geschichte lässt sich meist – wie auch in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ – nur mit Gewalt zum Guten umschreiben.

„Wir wollten keinen Anschlags-Simulator machen“ sagt Friedrich. Für ihn grenzt diese Machtfantasie an Größenwahn. „Es kommt darauf an, was man im Kleinen tut.“ Jeder versteckte Flüchtling, jedes geschmuggelte Buch, jede Überlebende ist am Ende von „Through the Darkest of Times“ ein Sieg. Für Friedrich ist das Thema des Spiels deshalb Hoffnung, auch wenn man das Grauen nie ungeschehen machen kann.

Schlagzeilen fassen die historische Entwicklung zusammen

Die Arbeit an „Through the Darkest of Times“ begann Ende 2016, zwischen Brexit-Referendum, Parlamentseinzügen der AfD und der Wahl von Donald Trump. Friedrich fiel es angesichts des weltweit erstarkenden Autoritarismus leichter, sich in die Situation eines Widerstandskämpfers zu versetzen.

Wie in einem Brettspiel verteilen sich die Figuren über den Stadtplan von Berlin, um sich der politischen Entwicklung entgegenzustellen. Dennoch gibt die echte Geschichte immer wieder den Rahmen vor. „Through the Darkest of Times“ zwingt dabei zuzusehen, wie die gerade erst errungenen Freiheiten der Weimarer Republik unaufhaltsam abgebaut werden. Nach jeder Runde fassen Schlagzeilen die jüngsten Ereignisse zusammen: „Hitler wird Reichskanzler“, titelt eine der ersten, wenige Spielwochen später heißt es: „Gesetz gegen entartete Kunst erlassen.“

Was tun gegen die Übermacht des NS-Regimes? Szene aus dem Spiel.
Was tun gegen die Übermacht des NS-Regimes? Szene aus dem Spiel.

© Paintbucket

Genau diese Kunst wird hier wieder aufgegriffen und gegen die NS-Ideologie gewendet. „Through the Darkest of Times“ darf als erstes Spiel in Deutschland Hakenkreuze darstellen. Es kontrastiert die Propaganda mit seinem expressionistischen Stil, der an Käthe Kollwitz und George Grosz erinnert. Im Hintergrund ertönt Swing. Schon ästhetisch hätten die Nationalsozialisten das Spiel gehasst.

Die Spielenden sind machtlos gegen die systematische Gewalt

Trotz einer klaren Haltung macht „Through the Darkest of Times“ es seinen Spielern nicht leicht. Zwar gibt es immer wieder kleine Erfolgsmomente, meistens steht man der systematischen Gewalt aber ohnmächtig gegenüber. Für ein Medium, dessen Nutzer stets die volle Kontrolle gewohnt ist, ein mutiger Bruch.

Selbst wenn es gelingt, eine verfolge Familie zu verstecken, bleibt das Wissen über die zahllosen Menschen, denen man nicht helfen konnte. Das Spiel scheut sich auch nicht davor, dies in harten Bildern zu zeigen. Das erste Kapitel von „Through the Darkest of Times“ endet etwa mit der Köpenicker Blutwoche.

Bei der Bücherverbrennung begegnet man Erich Kästner

Eine Grenze blieb dennoch. „Ein Konzentrationslager von innen spielbar zu machen – das haben wir uns nicht getraut“, sagt Friedrich. Die Schoah zu verschweigen, wie es andere Spiele machen, war aber auch keine Option. Berichte über Konzentrationslager erreichen den Spieler immer wieder, über Zeitungen oder verbündete Widerstandskämpfer. Zu Gesicht bekommt man sie nicht. „Ich hatte den Eindruck, dass es stärker ist, wenn wir die Leute das Bild selbst zu Ende zeichnen lassen.“

Dafür hat das Team viel Zeit in historischen Archiven verbracht. Die Spielfiguren sind fiktiv. Um sie herum spielen sich aber immer wieder belegte Ereignisse ab. Bei der Bücherverbrennung begegnet man Erich Kästner und während der Olympischen Spiele muss man beobachten, wie Sinti und Roma ins Zwangslager Marzahn deportiert werden.

Persönliche Verantwortung innerhalb eines totalitären Systems

Wie intensiv Jörg Friedrich über die Zeit recherchiert hat, wird im Gespräch klar. Immer wieder nennt er Daten, Ereignisse und Namen von fast vergessenen zivilen Widerstandskämpfern. Das Spiel will an sie erinnern. „Es gab viele Momente, in denen das ,Dritte Reich‘ hätte aufgehalten werden können“, ist er sich sicher und fügt dann hinzu, als wolle er die Geschichte am liebsten umschreiben: „Und in denen es hätte aufgehalten werden müssen.“

„Through the Darkest of Times“ stellt mit einfachen Mitteln komplexe Fragen nach persönlicher Verantwortung innerhalb eines totalitären Systems. Damit bricht es die Erwartungen an ein Strategiespiel im Zweiten Weltkrieg. Das wird einige Gamer enttäuschen. In seiner Konsequenz ist es jedoch einzigartig und gibt der Szene wichtige Denkanstöße.
„Through the Darkest of Times“, USK 12, für Windows und macOS

Daniel Ziegener

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