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Der Berliner Schriftsteller Andreas Schäfer

© Mirella Weingarten

Andreas Schäfers Roman "Das Gartenzimmer": Leichen liegen nicht nur im Keller

Andreas Schäfer erzählt in seinem vielschichtigen Roman „Das Gartenzimmer“ die bewegte Geschichte eines Berliner Landhauses.

Architekturgeschichtlich war 1909 ein wegweisendes Jahr, wenn man an Peter Behrens’ berühmte AEG-Turbinenhalle in Moabit denkt. Die erhaben-nüchterne Kathedrale aus Stahl und Glas erklärte all den historistischen Eklektizismus im wilhelminischen Berlin zum Plunder.

In Andreas Schäfers neuem Roman „Das Gartenzimmer“ (Dumont Literaturverlag, Köln 2020. 352 Seiten, 22 €.) entsteht 1909 im Grunewald noch ein weiteres bedeutendes Bauwerk, die „Villa Rosen“, ein „Kleinod der Vormoderne“.

Erbaut hat das an einem Hang gelegene Landhaus ein junger Architekt namens Max Taubert, als Rückzugsort für den Philosophen Adam Rosen und seine Frau Elsa, die seit dem Tod ihres Sohnes Richard eine Aversion gegen Uniformen und ihre Träger hat. „Von außen schlicht, innen erhaben“, heißt es über das Gebäude, das von seiner Loggia aus den Eindruck erweckt, man stünde auf der Kommandobrücke eines Segelschiffs, das gerade auf dem Kamm einer Welle zu balancieren scheint.

Bis in die zwanziger Jahre finden hier zahlreiche Hauskonzerte und Feste statt, mit klangvollen Namen, die sich im Gästebuch verewigen, wie „Rathenau, Liebermann, die Cassirers“.

Schade eigentlich, dass es diese Villa nur in Andreas Schäfers Roman gibt. Der 51-jährige Schriftsteller und Journalist hat sie ebenso erfunden wie den später vor den Nazis in die USA fliehenden, weltberühmt werdenden Architekten Max Taubert oder das Ehepaar Rosen. Doch im Lauf des Romans und der aus immer neuen Figurenperspektiven erzählten Kapitel wird die komplexe Wirkung der Villa Rosen so feinfühlig beschrieben, dass man sie gern selbst einmal betreten würde.

Dieser Roman ist ein Mix aus verschiedenen Genres

Besonders beeindruckt von der Villa Rosen zeigt sich Julius Sander, ein angesagter Kunstkritiker im Berlin der Jetztzeit, dem als Nebenfigur eine Schlüsselrolle zukommt: „Nirgends war die Stille so intensiv und klar wie in ihrer Halle. Noch nie hatte er Langsamkeit empfunden wie in diesen ersten Minuten. Seine Atmung und seine Bewegungen, wie in Zeitlupe glitt sein Blick über die helle Wandvertäfelung und die wenigen Möbel und verlor sich in der Weite hinter den Fenstern.“

Ambivalenter reagieren dagegen die heutigen Bewohner auf das Haus. Ende der neunziger Jahre haben die Lekebuschs, eine dreiköpfige Familie aus Karlsruhe, das Baudenkmal restaurieren lassen und so vor dem endgültigen Verfall gerettet. Hannah, eigentlich eine Zahntechnikerin auf Jobsuche, fühlt sich zwar manchmal auf der Treppe zum Obergeschoss wie von etwas Unbekanntem beobachtet.

Dennoch ist sie von ihrem neuen Heim so begeistert, dass sie sich verpflichtet fühlt, Berlin, ach was, der ganzen Welt Tauberts geniales Jugendwerk zu präsentieren.

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Wie einst Elsa Rosen veranstaltet Hannah Führungen und andachtsvolle Hauskonzerte, lädt Journalisten, Kunstwissenschaftler, Politiker ein. Ihrem Ehemann Frieder, einem Pharmaunternehmer, gehen gesellschaftlicher Ehrgeiz und Bedeutungshuberei seiner Gattin ebenso auf die Nerven wie ihrem Sohn Luis, der in seinem Zimmer manchmal rätselhafte Geräusche hört. Nicht nur der gewiefte Nachwuchs-Zyniker leidet unter der düsteren Stimmung im Haus, sondern auch Maria, die brasilianische Haushälterin der Lekebuschs.

„Das Gartenzimmer“ ist Andreas Schäfers bislang vierter Roman und wie seine Vorgänger ein Mix aus verschiedenen Genres. Diesmal mischt der Romancier, der sich für seine Werke stets viel Zeit lässt (zuletzt erschien 2013 der Roman „Gesichter“), auf gelungene Weise Familien-, Zeit-, Künstler- und historischen Roman, angereichert um Anklänge an eine Gespenstergeschichte.

Apropos Gespenster: Was die Villa Rosen nicht hat, ist ein Keller, folglich können in ihm auch keine Leichen vergraben sein. Dafür aber hat sie ein Gartenzimmer. Und in diesem titelgebenden Raum befand sich zur NS-Zeit, wie Julius Sander entdeckt hat, eine Außenstelle des „Instituts für Rassenhygiene“.

Schäfers Figuren reagieren unterschiedlich auf die Erhabenheit der Villa

Hier suchten einst die Nazis nach einem Beweis für die Überlegenheit der arischen Rasse, hier standen Gläser mit den Augäpfeln ermordeter Juden. Und hier wurden wohl auch KZ-Häftlingen tödliche Injektionen verabreicht. Genau weiß man es nicht, weil zur NS-Zeit die verwitwete Elsa Rosen, die die Nazis verabscheute, nur noch im Obergeschoss wohnen durfte.

Ist es gleichgültig, wo sich etwas Schreckliches ereignet, oder bleibt auf jeden Fall etwas Böses zurück? Warum reagieren Schäfers Figuren so unterschiedlich auf die Erhabenheit und Perfektion, die von dieser Grunewald-Villa ausgehen? Übrigens nicht nur die Lekebuschs, sondern auch Taubert selbst, der als Widerling und Opportunist gezeichnet wird.

In späteren Jahren spricht er so verächtlich über sein Jugendwerk und die Rosens, dass die enttäuschte Elsa seinen Namen aus allen Unterlagen streichen lässt.

In einer geschmeidig-feinfühligen Sprache erzählt Schäfer in „Das Gartenzimmer“ vom Zerfall einer Familie und der gespenstischen Präsenz der Vergangenheit. Während sich aber die Geschichte der Rosens in Zeitsprüngen von der Jahrhundertwende bis zur Nachkriegszeit entfaltet, kreist bei den Lekebuschs alles um „einen Tag im Mai“ des Jahres 2001, einen großen Empfang in der Villa Rosen und die sich daraus ergebenden katastrophalen Folgen für die Familie.

Mit seinem Brückenschlag von der Frühmoderne mit ihren Hoffnungen und Aufbrüchen in die Berliner Republik von heute erinnert „Das Gartenzimmer“ ein wenig an „Pixeltänzer“, Berit Glanz’ Romancoup von 2019. Für Spannung sorgt Andreas Schäfer mit dem kapitelweise gekonnt inszenierten Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, das zu immer neuen Spiegelungen und Motivvariationen führt.

Wie das Bedürfnis nach sozialem Aufstieg und Zugehörigkeit: Das findet sich beim Schreinersohn Taubert ebenso wie bei dem zum Christentum konvertierten Adam Rosen, bei der gesellschaftlich ehrgeizigen Hannah ebenso wie bei Ana, der hochbegabten Tochter ihrer illegal aus Brasilien eingewanderten Putzfrau.

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