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Suresh Sawants indische Karikatur "In dependence", 1997.

© Verlag Die Andere Bibliothek

Andreas Platthaus’ "Das geht ins Auge": Am Anfang war Jesus ein Esel

Karikaturisten als große Künstler. Andreas Platthaus gibt eine Geschichte der Karikatur heraus - mit Zeichnungen aus dem spätantiken Rom, über Goya bis zu „Charlie Hebdo“.

Sie gelten oft nur als Kleinkünstler. Dabei sind scharfsinnige Karikaturisten die wahren Meister der bildnerischen Pointe. Sie verbinden den kühnen, artistischen Strich mit einer meist überraschenden, auf Weltereignisse oder zeitnahe Erfahrungen schnell reagierenden Idee, und dies mit dem Talent zur Satire. Das macht sie zu Mehrfachbegabungen – ja, in manchen Fällen zu großen Künstlern.

Eine Kulturgeschichte der Karikatur hat jetzt Andreas Platthaus, im Hauptberuf Leiter der FAZ-Literaturredaktion, in der Anderen Bibliothek vorgelegt, unter dem schönen Titel „Das geht ins Auge“. Es ist eine chronologische Anthologie von 50 Kurzporträts einzelner Künstler/innen, die durch ihr Gesamtwerk oder besondere historische Umstände exemplarisch erscheinen und jeweils mit einer ausgesuchten Illustration präsentiert werden: sei’s eine Zeichnung oder auch fotografische Montage (etwa von John Heartfield oder Claire Bretécher).

Beginn mit einer Ritzzeichnung aus dem dritten Jahrhundert

Natürlich sind da viele große Namen im Spiel. Von William Hogarth und Honoré Daumier bis zu Th. Th. Heine, Loriot, Tomi Ungerer, Sempé, Art Spiegelman, Ronald Searle, Marie Marcks, F. K. Waechter oder den Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard und Jean Cabut alias Cabu, der 2015 in Paris erschossen wurde. Klar ist auch, dass dies zudem ein Stück Zeitungs- und oft genug Zensurgeschichte bedeutet, vom Londoner „Punch“ über den Münchner „Simplicissimus“ bis eben zu „Charlie Hebdo“.

Doch der besondere Reiz gründet in Platthaus’ Gespür und Neugier für den nicht nur europäisch-amerikanischen Blick. Und zur Klärung dessen, was hier überhaupt unter „Karikatur“ im Unterschied zu satirischen oder allgemein comichaften Darstellungen verstanden wird, beginnt Platthaus mit einer aus dem dritten Jahrhundert stammenden Ritzzeichnung aus dem spätantiken Rom, die sich über die Anbetung eines gekreuzigten Esels lustig macht. Es ist das überhaupt früheste Abbild der Kreuzigung, und weil der offenbar antichristliche Spötter hier den Heiland zum Esel macht, wird die Geschichte der Karikatur so von Anfang an auch zu einer der (möglichen) Blasphemie. Ob man dann später George Grosz’ Christus mit der Gasmaske nimmt oder eben Mohammed mit einem Bombenturban.

Für Platthaus ist der gekreuzigte Esel noch die Verhöhnung einer religiösen Minderheit durch den römischen Mainstream, also kein wahres Beispiel der von ihm als Folge der Aufklärung begriffenen, (herrschafts)kritischen Karikatur. Es sei nur eine Schmähzeichnung, ähnlich den antisemitischen „Stürmer“-Karikaturen.

Erkenntnis und Witz, gelegentlich rigorose Argumentationen

Gelegentlich argumentiert Platthaus da sehr rigoros. So scheint ihm bei Goyas berühmtem Capricho „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ unbedingt klar zu sein, dass das spanische „sueño“ hier allein den die Ratio ausschaltenden Schlaf und nicht etwa auch das gleichlautende Wort für „Traum“ bedeutet. In diesem Fall nämlich würde sogar die Vernunft von Monstern träumen und sie womöglich gebären können – ein Gedanke, der einem Menschheitskünstler wie Goya sehr wohl vorstellbar gewesen sein dürfte, auch wenn er noch nicht die „Dialektik der Aufklärung“ gelesen hatte.

Solche Einwände wiegen freilich leicht angesichts von Erkenntnis und Witz, mit dem sich hier Fäden etwa von Leonardo da Vinci oder Bernini hin zu Grotesken der japanischen Manga-Kunst spinnen oder zum Bild der sich aus Demütigungen erhebenden Frau im postkolonialen Indien.

Andreas Platthaus: Das geht ins Auge. Geschichten der Karikatur. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016. 479 Seiten mit 51 Abbildungen, 42 €. Andreas Platthaus stellt sein Buch am heutigen Dienstagabend um 19.30 Uhr im Berliner Literaturhaus in der Fasanenstraße vor.

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