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Vorbesichtigung bei Ketterer: An der Gabelung

Das Münchner Auktionshaus Ketterer präsentiert Highlights seiner Versteigerung in Berlin

Für manche ist das „Abstrakte Bild“ von Gerhard Richter ein alter Bekannter. Vergangenes Jahr hing es im Potsdamer Museum Barberini in der Ausstellung „Gerhard Richter. Abstraktion“. Nun sucht das Werk von 1986 in der Versteigerung „Moderne I“ von Ketterer in München einen neuen Besitzer. Geschätzt ist es auf 600 000-800 000 Euro, Anfang Dezember wird sich zeigen, wie viel Spielraum es für dieses Highlight gibt.

Zuvor aber reisen die schönsten Werke von Künstlern wie Richter, Günther Uecker, Konrad Klapheck, Andy Warhol, Barbara Hepworth, E.W. Nay oder Katharina Grosse für eine knappe Woche in die Berliner Dependance. Hier fällt außerdem der Themenschwerpunkt mit der breiten Auswahl deutscher Expressionisten und gesuchten Premium-Signaturen aus dem Kreis der Brücke und des Blauen Reiter auf. Otto Müllers vermutlich Mitte der zwanziger Jahre zu datierende Mischtechnik „Zwei Mädchenakte“ zählt noch zu den erschwinglicheren Losen: Für die locker und transparent hingeworfene Variation seines Lieblingsthemas „Akt und Natur“ stehen 80 000 Euro im Raum.

Pechsteins "Tänzer" zählt zu den Top-Losen

Ein ungleich größeres Loch in den Geldbeutel reißt Max Pechsteins 1910 entstandene „Tänzer“. Bekanntlich zogen sich ähnliche Bildthemen durch das gesamte Werk des Künstlers, doch die vorliegende Szene mit einem in exzentrischer Bewegung erfassten Tanzpaar stammt mit der Datierung 1910 aus seiner besten Brücke-Zeit. Zudem wurde das Bild erst kürzlich durch ein update seiner Ausstellungsgeschichte nachhaltig aufgewertet, denn bis zum Juli dieses Jahres war es – möglicherweise sogar im Hinblick auf seine geplante Versteigerung – als Highlight in der Ausstellung „Tanz! Max Pechstein: Bühne, Parkett, Manege“ des Max-Pechstein-Museums in Zwickau zu bewundern, wo es außer dem Katalog auch die Ausstellungsplakate zierte. Als Highlight figuriert das farblich attraktive Top-Los auch in der bevorstehenden Auktion, wo immerhin 600 000 Euro erwartet werden.

„Meine Zeiten des Zirkus, der Kokotten, der Gesellschaft sind vorbei ... Ich habe heute andere Aufgaben, die hier liegen“, schrieb Ernst Ludwig Kirchner 1919 an den vermutlich erstaunten Architekten Henry van de Velde. „Hier“ war für den Maler seit 1917 mit kurzen Unterbrechungen der Schweizer Luftkurort Davos, wo drei Jahre später das Gemälde „Heimkehrende Ziegenherde“ entstand – eines seiner ersten übrigens, in denen er mit der expressiven Palette seiner Berliner Jahre und einer fast naiv anmutenden Aufzählung der Einzelmotive den Alltag einfacher Bergbauern ins Bild rückte. Veranschlagt sind dafür 400 000 Euro .

Von Karl Hofer ist ein seltenes Frühwerk im Angebot

Kirchners Kollege Erich Heckel wurde 1916 als Sanitäter an die von Deutschland besetzte belgische Küste abkommandiert, wo er seine Werkgruppe der Flandern-Landschaften schuf. Möglich war dies vor allem, weil Walter Kaesbach, ein ehemaliger Mitarbeiter der Berliner Nationalgalerie und Heckels Vorgesetzter an der Front, ihn aus alter Freundschaft häufig vom Dienst freistellte, um in der Umgebung zu malen. Bei einer dieser Exkursionen entstand auch die nicht näher bezeichnete „Hafeneinfahrt“ von 1916, deren Topografie allerdings durch den im Auktionskatalog angesprochenen Zusammenhang mit Heckels Radierung „Hafeneinfahrt in Ostende“ aus demselben Jahr eingegrenzt werden kann – was sich zweifellos wertsteigernd auswirkt. Gleichermaßen sollten auch vorzeigbare Provenienz, Ausstellungslegende und Marktfrische die Stimmung heben, sodass man für die Tempera-Arbeit eine runde Viertelmillion Euro erwartet.

Teuer werden dürfte auch ein Karton von Gabriele Münter mit der Murnauer Ansicht „Tauwetter im Dorf'“ von 1911. Nicht zuletzt aufgrund der Premium-Datierung ins Gründungsjahr der Künstlergruppe Blauer Reiter möchte man die bildbestimmende Gabelung der Dorfstraße im Vordergrund als Metapher für die damalige Lebenssituation der Künstlerin lesen; dieser Sicht muss man selbstverständlich nicht folgen, solange die Hand nur lange genug oben bleibt: Angedacht sind auch hier 250 000 Euro.

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In der lichten Farbgebung und der eleganten Linienführung ungewohnt gefällig ist ein seltenes Frühwerk Karl Hofers von 1913. Die von seiner zweiten Indienreise stammende mehrfigurige Aktdarstellung „Tropisches Bad“ zelebriert unbekümmert das joie de vivre französischer Vorbilder und ist von der metaphysisch aufgeladenen Gedankenschwere späterer Arbeiten weit entfernt. Mit 80 000 Euro scheint sie zudem günstig angesetzt. Eine Kohlezeichnung mit einem untergewichtig anmutenden „Männlichen Unterleibstorso“ des Wiener Modernen Egon Schiele – vermutlich seinem eigenen – dürfte dagegen eher Sammler ansprechen, die sich sehr zu Recht gegen das Angenehme empören und sicher auch gern etwas mehr investieren als die momentane Taxe von 200 000 Euro .
Ketterer Kunst, Fasanenstr. 70; bis 28.11., Mo–Fr 10–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr

Michael Lassmann

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