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Handyvideo-Poet Yann (Sabin Tambrea).

© W-Film

Im Kino: "Ma folie": Aller Anfang ist süß

Von der Romanze zum Thriller: Andrina Mračnikars „Ma folie“ erzählt von einer Liebe, die an Eifersucht zerbricht.

Kann es sein, dass die Erinnerung an diesen Film tatsächlich nicht mehr bewahren will als die kurze, stumme, wunderschöne Sequenz, in der eine Liebe ihren Anfang nimmt? Eine junge Frau geht in Paris ins Café, Einzeltisch, Glas Wein bestellen, Lektüre raus, Blickwechsel mit einem jungen Mann, der ein paar Meter entfernt mit einem Paar beisammensitzt, vorsichtiges Lächeln, zweiter Blickwechsel, aufstehen, am Tisch der drei Leute vorbeigehen, jetzt berühren sich schon fast die Hände, hinaus auf die Straße, die ersten paar Schritte allein, dann endlich stolpert er hinterher. Und: stehen bleiben, sich umdrehen, los geht’s.

Ja, harmoniesüchtige und romantisch veranlagte Gedächtnisse sind ungerecht, sie speichern nur das, was die Franzosen den coup de foudre nennen, den Blitz, den Augenblick, wenn die Liebe einschlägt. Dabei ist der Blitz bekanntlich nur ein Teil des Gewitters, es folgen Donner, Starksturzregen, Hagel, im schlimmeren Fall Überschwemmung, Verwüstung, gar Tod. Und eines lässt sich von „Ma folie“, dem ersten Langspielfilm der 35-jährigen Österreicherin Andrina Mračnikar, ganz gewiss nicht behaupten: dass er in der Katalogisierung der liebesmeteorologischen Folgen jener hinreißenden Anfangsszene allzu nachlässig verfahren würde.

Und auf einmal: Eifersucht und Panik

Hanna (Alice Dwyer) also verliebt sich in Yann (Sabin Tambrea), und kaum ist die in einem Kinderschutzzentrum arbeitende Therapeutin zurück in ihrem Wiener Zuhause, bricht Yann in Paris alle Brücken ab und zieht bei ihr ein. „Du meinst es wirklich ernst“, sagt Hanna fast ungläubig, als der sensible, zwischenzeitlich mit poetischen Videobotschaften glänzende Mann vor ihr steht und alles will und für immer und zwar sofort. Sie selber hat sich nach mehrjähriger Bindung gerade von dem grundsympathischen Arbeitskollegen Goran (Oliver Rosskopf) getrennt und braucht dauerbeziehungstechnisch eigentlich eine Pause. Aber was, wenn ein so charmant androgynes Monster wie Yann dich mal eben, raubtierromantisch gesprochen, wegverputzt mit Haut und Haaren?

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Die galoppierende Erosion einer Verheißung, die nahezu zwangsläufig auf diesen Liebeswirbel folgt, ist dann tatsächlich quälend anzusehen. Ein Krankheitsbild: Erst verstört Yann seine Geliebte mit absurden Eifersuchtsanfällen, bald entwickeln seine selbst geschnittenen Handyfilmchen eine wachsend aggressive Note, und schließlich verwandelt sich der zeitweilig Zurückgewiesene vom stereotyp Reumütigen – wie oft deklamiert er „Es tut mir leid“? – in einen grässlichen Stalker. Hanna wiederum, die im Job ein von Panikattacken gebeuteltes tschetschenisches Kind behandelt, gerät angesichts von Yanns Attacken selber in Panik, bis die Grenzen zwischen gelebtem Horror und bloßen Albträumen sich aufzulösen beginnen.

Alles muss kaputtgehen

Die Regisseurin, die vergangenes Jahr für „Ma folie“ mit dem First Steps Award ausgezeichnet wurde, will ihren Film als eine Art Tanz durch die Genres verstanden wissen. Tatsächlich mutiert der Film immer mehr zum Thriller, wobei sich die Dramaturgie in der Steigerung des bilateralen Psychodramas denn doch ein wenig zu simpel auf die pure Beweisführungskraft der Einzelszenen verlässt. Alles muss kaputtgehen, sogar das durchaus solide soziale Netz Hannas, und sei die narrative Herleitung noch so krude. Schon klar, dass das Glück nicht von Dauer ist; im puren Crescendo ausgestellten Leidens aber geht dann auch der Schmerz zuschanden.

Babylon Mitte, Brotfabrik, Bundesplatz, Filmkunst 66

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