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Wir schaffen das! Kinder spielen im Hof einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (MUF) in Marzahn-Hellersdorf, aufgenommen am 20. April.

© DAVIDS/ Florian Boillot

Flucht und Architektur in der Berlinischen Galerie: Alle haben Platz

Bauen für Flüchtlinge: Das Festival „Destination Berlin“ in der Berlinischen Galerie über das Thema Flucht und Architektur kratzt nur an der Oberfläche.

Von 70 000 auf 17 000: So hat sich laut Senat die Zahl der nach Berlin gekommenen Flüchtlinge von 2015 auf 2016 verringert. Flüchtlinge, Asylsuchende, Migranten, die Begriffe gehen durcheinander; je länger jemand bleibt, desto weniger spielt der Anlass des zumeist beschwerlichen Weges nach Berlin eine Rolle. Nach einer Weile sind sie einfach: Ausländer in Berlin, Nicht-Inhaber eines deutschen Passes. Ihre Zahl steigt kontinuierlich an, von 450 000 im Jahr 2011 auf 680 000 im vergangenen Jahr; so jedenfalls Bastian Sevilgen vom Architekturbüro dreigegeneinen. Sevilgen kommt aus dem holsteinischen Malente, er gehört also zur Spezies der Zuzügler, denen Berlin überhaupt so viel verdankt – auch wenn der Berliner nicht mehr, wie es zu Kaisers Zeiten hieß, aus Breslau stammt.

„Berlin ist Arrival City“, erklärte Sevilgen in seinem Eröffnungsbeitrag zu „Destination Berlin“, einem zum „One Day Festival“ hochgejazzten, lockeren Veranstaltungsprogramm der Berlinischen Galerie am vergangenen Sonnabend.

Ankunftsstadt: Der Begriff hat Karriere gemacht, mit dem so betitelten Buch des kanadischen Journalisten Doug Saunders; er ist herrlich eingängig und meint alles und nichts. Das Interesse am Thema „Strategien der Ankunfts-Architektur“, so der ins Deutsche übersetzte Untertitel der fast durchgängig auf Englisch abgehaltenen Veranstaltung, ist wohl nicht einmal mehr in Kreuzberg überwältigend, dem Heimatbezirk der Berlinischen Galerie, nimmt man den Publikumszuspruch zum Maßstab: Erst gegen Mittag füllte sich das Auditorium.

Absage an Tempelhofer Bebauungsvorhaben

Sevilgen nahm gleich die Spannung heraus, als er für dauerhafte Architektur plädierte und allen Vorschlägen temporärer Bauten eine Absage erteilte. Solche Ideen waren 2015/16 ins Kraut geschossen; überall meinte die öffentliche Hysterie mobile Notunterkünfte hinstellen zu müssen. Es lief dann alles weit unaufgeregter ab, auch wenn provisorische Massenunterkünfte wie im Flughafen Tempelhof ein zu recht kritisiertes Ärgernis darstellen.

Den für Tempelhof vorgeschlagenen Bebauungsvorhaben, und seien sie noch so temporär, erteilte das Publikum der Berlinischen Galerie jedenfalls eine hörbare Absage, als der Stadtplaner und IBA-Kreuzberg-Veteran Bernhard Strecker so unvorsichtig war, ein komplettes Straßenraster fürs Tempelhofer Feld an die Wand zu projizieren und von „Platz für dreißig- bis hunderttausend Bewohner“ zu schwärmen. Nicht für einen einzigen hat Volkes Wille Platz. Die Frage, wo all’ die gemeinhin verlangten Wohnungen innerhalb des S-Bahn-Ringes entstehen sollen, wurde erst gar nicht gestellt.

Offenbach am Main als positives Beispiel

Bei der letztjährigen Architekturbiennale von Venedig hatte sich der deutsche Beitrag, ausgerichtet vom Frankfurter Architekturmuseum (DAM), des Themas „Arrival City“ bemächtigt; derzeit ist er in Frankfurt ausgestellt, hat aber seine Dringlichkeit verloren. Einen Vertreter des DAM einzuladen, um vom Stand der Fachdiskussion zu berichten, die ja weitergegangen ist, war den Organisatorinnen der Berlinischen Galerie offenbar nicht in den Sinn gekommen.

Stattdessen boten sie dem Publikum lockere Gesprächsrunden auf dem Podium, in denen erst der äußerst unterhaltsame, längst zum Youtube-Star avancierte Syrer Firas Alshater brillierte, dann Mitglieder der Gruppe Kunstasyl die Bespielung einer Spandauer Erstaufnahmeeinrichtung vorstellten und ein leibhaftiger TU-Professor die Initiative „Home not shelter!“ mit einem Beispiel aus Wien anpries („Träger ist die Caritas“). Schließlich moderierte die bei vielen Architekturveranstaltungen erprobte Sally Below ein etwas lust- und ratloses Roundtable-Gespräch, bei dem sie sogleich einräumte: „Wir predigen hier den Bekehrten“.

Stadtplaner Lessano Negussie, in Berlin geborener Sohn politischer Flüchtlinge aus Äthiopien, lobte ausgerechnet Offenbach am Main als Beispiel gelingender Integration: „Keine Ethnie“ habe „die Oberhand, und am Ende des Tages müssen alle deutsch sprechen, um sich zu verständigen“. Danach blieb Sally Below nur noch, das Panel mit einem „Ich wünsch noch’n schönen Tag!“ abzurunden.

"Arrival City" Berlin

Firas Alshater, der mit seinem YouTube-Kanal „Zukar“ eine entzückte Fangemeinde versorgt, war der Top-Act dieser Veranstaltung. Er beherrscht den Tempo- und Stimmungswechsel zwischen rasant und besinnlich, aufregend und herzwärmend, er ist überhaupt das beste Beispiel dafür, dass die, wenn auch gut gemeinte Bevormundung, die manche Mitstreiter der Veranstaltung den Refugees angedeihen lassen, schlichtweg daneben ist. „Wir sind Menschen, die das Leben lieben“, endet sein Video darüber, warum er aus Damaskus floh und nach Berlin kam. Für den 26-Jährigen ist Berlin tatsächlich „Arrival City“.

Das Konzept von Saunders übrigens ist härter und weit mehr vom nordamerikanischen Hilf-dir-selbst-Ansatz geprägt, als es sich hiesige Flüchtlingsaktivisten vorstellen oder gar wünschen. Das war auch Bundesbauministerin Barbara Hendricks aufgegangen, als sie vergangenes Jahr bei der Eröffnung des Deutschen Pavillons in Venedig in letzter Sekunde einflocht, dass das Unterlaufen sozialer und tariflicher Standards, das Saunders propagiert, in unserem Land geheiligter Arbeitsnormen nicht das Mittel der Wahl sein könne. Aber um dieses heiße Thema in der Berlinischen Galerie produktiv aufzugreifen, hätte es bei den Veranstaltern eines anderen intellektuellen Kalibers bedurft.

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