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Fotoausstellung im Gropius-Bau: Ai Weiwei: Chronik einer Selbstbefreiung

Wer in Berlin Ai Weiweis Fotos aus seiner New Yorker Zeit von 1983 bis 1993 betrachtet, der macht eine verblüffende Entdeckung: Chinas berühmtester Dissident wurde nicht zuletzt in Amerika politisiert.

Er darf sich nicht öffentlich äußern, und reisen darf er schon gar nicht. Seit dem 22. Juni, seit Ai Weiwei nach 81 Tagen Geheimgefängnis unter Hausarrest steht, redet er vorsichtiger. Chinas Justiz hat ihm offenbar erfolgreich Angst eingejagt. Nicht einmal Chinas prominentester Künstler war davor gefeit, verschleppt zu werden. Bis dahin hatte Ai Weiwei sich nicht einschüchtern lassen, weder von der schweren Kopfverletzung durch die Polizei 2009, noch von der Zerstörung seines Ateliers in Schanghai im Januar 2011. Die Haft muss schlimmer gewesen sein. Zur Eröffnung seiner Foto-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau hat er eine Videobotschaft geschickt: „I hope you enjoy the show and I see you later.“ Mehr nicht. Der weltweite Protest hat zwar zu seiner Haftentlassung geführt, aber frei ist Ai Weiwei noch lange nicht.

Er darf sich nicht äußern? Ai Weiwei, mit dessen Arbeiten derzeit ein halbes Dutzend Ausstellungen in Europa und Amerika bestückt sind und den eine internationale Jury im Ranking der mächtigsten Menschen in der Kunstwelt gerade zur Nummer eins kürte, twittert wieder. Und veröffentlichte kürzlich im „Newsweek Magazine“ einen Peking-Essay, einen Aufschrei aus höchster Not. „Peking, das sind zwei Städte“, schreibt der 54-Jährige. „Eine Stadt der Macht und des Geldes, eine Stadt der Verzweiflung. Ich sehe Menschen im Bus, ich sehe ihre Augen, und es ist keine Hoffnung darin.“ Peking sei ein Alptraum, wie Kafkas Schloss. Ai Weiwei, der sich auch als Architekt einen Namen gemacht hat, erinnert an all die Verschleppten an tausenden geheimen Orten. „Du bist vollkommen isoliert. Du hast keine Ahnung, wie lange du dort sein wirst, aber du bist dir sicher, dass sie dir alles antun können.“ Man sei völlig schutzlos, und der Verlust des Zeitgefühls mache einen schier verrückt. „Es ist sehr hart, für jeden. Sogar für Menschen mit großer Überzeugung.“ In den chinesischen Ausgaben der Zeitschrift war der Essay herausgerissen – viel Arbeit für die Zensoren.

Woher nimmt Ai Weiwei den Mut? Was hält ihn davon ab zu resignieren? Wer in Berlin nun seine Fotos aus seiner New Yorker Zeit von 1983 bis 1993 betrachtet, der macht eine verblüffende Entdeckung: Chinas berühmtester Dissident wurde nicht zuletzt in Amerika politisiert. Die 226 Bilder, die Ai Weiwei persönlich aus über 10 000 Abzügen zusammengestellt hat, fügen sich zur Chronik über die Anfänge einer Künstler-Identität, zum Tagebuch einer Selbstbefreiung. Er hat auch die Reihenfolge festgelegt, mal sind es Einzelabzüge, mal Kontaktstreifen mit mehreren Fotos, von ihm beschriftet und in identischen quadratischen Rahmen eng nebeneinander gehängt. „Ai Weiwei in New York“ ist eine Installation, ein aus 226 Einstellungen inszenierter Film, der bereits 2009 in Peking und in diesem Jahr in New York zu sehen war.

Bilder vom Studentenalltag im East Village, mit dem Bruder im Waschsalon oder im chinesischen Militärmantel auf der Straße posierend. Museumsbesuche. Kammermusikproben. Sein Freund Allen Ginsberg, immer wieder. Ai Weiwei mit Kamera vor dem Spiegel. Die Community im East Village, die Freunde aus China, die ihn in seiner Kellerwohnung besuchen, der Filmemacher Chen Kaige, der Komponist Tan Dun, der Schriftsteller Bei Dao und Dutzende mehr. Die Matratze als Versammlungsort, mehr Platz gab es nicht.

China war in jener Dekade eine geistige Wüste, abgeschnitten von der Kulturwelt. Ai Weiwei, das sieht man den Fotos an, berauscht sich geradezu an freien Versammlungen, am freien Zugang zu den Künsten, posiert in Warhol-Pose vor einem WarholSelbstporträt oder fotografiert Jasper Johns’ Flagge. Er schreibt sich ein in die Gegenwartskunst, ähnlich wie er sich später in Chinas Tradition einschreiben wird, indem er eine Han-Vase fallen lässt oder an eben jenem Ort seine Keramik-Sonnenblumenkerne anfertigen lässt, an dem schon die Kaiser ihr Porzellan in Auftrag gaben.

Zu Beginn vier Aufnahmen von 1983. Die erste Wohnung in Brooklyn. Ein alter Chinese, der sich vor dem Spiegel rasiert. Ein flach liegender, mit Sonnenblumenkernen angefüllter Kleiderbügel, der zum Marcel-Duchamp-Profil verbogen ist. Selbstporträt vor einem Schaufenster mit gestapelten Küchenrollen, die an Warhols CampbellDosen erinnern. Die Community, das Leben der Bohème, die Pioniere der Moderne, erste Sonnenblumenkerne, so fing es an . Die Überreste von Ai Weiweis letzter Arbeit mit Millionen Porzellankernen sind derzeit noch in der Londoner Tate Modern aufgehäuft.

1981 war er als Kunststudent in die Staaten gekommen, mit 24. Das politische Erwachen hatte er schon hinter sich. Als Jugendlicher lebte er mit seinem berühmten Dichtervater in der Verbannung in einem Dorf; der Vater putzte Toiletten. Und als Mitglied der Künstlergruppe „Stars Group“ hatte er 1979 an der „Mauer der Demokratie“ in Peking mitgewirkt, einer Wandzeitungsaktion von Oppositionellen. Gropius-Direktor Gereon Sievernich findet bei der Pressekonferenz zur Ausstellung eindringliche Worte und macht es unmissverständlich: „Die schon damals geforderte 5. Modernisierung Chinas steht bis heute aus.“

In New York fiel Ai Weiwei durch eine Prüfung, verließ die Uni, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, auf dem Bau, als Porträtmaler oder Statist. Er fing an zu fotografieren, nicht als Kunstfotograf, sondern eher als Reporter – mitunter verkaufte er Fotos an die „New York Times“ und andere Tageszeitungen. Vor allem dokumentierte er seine eigene Existenz, als Forscher in eigener Sache. Er hielt alles fest, eine Selbstvergewisserung und Selbsthauptung, ein Konzeptkünstler avant la lettre, ein Blog vor Erfindung des Internets. Damals machte er tausend Fotos pro Jahr, heute sind es zehntausend.

1987/88 werden die Fotos unmissverständlich politisch. Sie zeigen die Straßenkämpfe rund um den Tompkins Square Park, blutende Protestler, die gegen die Gentrifizierung des Village demonstrieren. Obdachlose, Schuhputzer im World Trade Center, der erste Golfkrieg, Bill Clinton im Wahlkampf, Polizeiübergriffe, auch geheime – das gibt es nicht nur in China. Die Kamera wurde ihm oft abgenommen. Er lernte die Tricks , reportierte weiter – mit ungläubigem Blick auf die gezückten Schlagstöcke. Schnappschüsse, die Courage erforderten. Da fing es an, das Bewusstsein der Gewalt, der Notwendigkeit von Protest und der eigenen Verantwortung für den öffentlichen Raum. Als Künstler, als Bürger, als Mensch.

Die Straße als Bühne. Es gibt viele Nachtbilder. Auch Nacktbilder, Happenings in den eigenen vier Wänden. Der Schriftsteller Bei Ling erzählte im Mai in der „FAZ“, dass Ai Weiwei Neuankömmlinge gern aufforderte, sich vor der Kamera auszuziehen. Davon finden sich kaum Fotos im Gropius-Bau – bei der Auswahl erschienen sie ihm offenbar nicht wichtig. Außer einem Nacktfoto von ihm selbst, er steht auf einem Stuhl, mit affektierter Gebärde, wie ein Transvestit. Eine Hommage, ein Spiel mit Zeichen.

Auf keinem Bild lächelt Ai Weiwei. Und dennoch ist ihm heiliger ideologischer Ernst vollkommen fremd. Im Park treten auch Rockmusiker auf, Drag Queens, Sonnenanbeter. Und sein Geld hat Ai Weiwei damals auch mit Black Jack verdient, als Spieler. Wem gehört die Geschichte, wer verfügt über den öffentlichen Raum? Das ist die Grundfrage von Ai Weiweis Kunst, seiner Architektur, seinen sozialen und politischen Aktivitäten. Dieser Raum muss verteidigt werden. Sich die Welt auf seine Weise aneignen, das ist die Kunst.

Die Stadt gehört allen, ob Peking oder New York. „Chinas Offizielle tragen Anzug und Krawatte und sagen, wir sind so wie ihr, wir können Geschäfte machen“, sagt Ai Weiwei im Peking-Essay. „Aber sie verweigern uns die Grundrechte.“ Das ist die Botschaft an den Westen, der es gern fein säuberlich getrennt hält. Hier die Empörung über die Gewalt gegen Dissidenten, dort die Freude über die guten Geschäfte mit der boomenden Wirtschaftsmacht China. Seine Fotos gehen alle an.

Bis 18. März, Mi - Mo 10 - 20 Uhr, Katalog: 28 € (im Buchhandel 39,95€)

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