zum Hauptinhalt
Chemnitz feierte seinen Sieg im Bewerberrennen mit einem Feuerwerk.

© Jan Woitas/dpa

Ärger um Europas Kulturhauptstädte: Beleidigte Rostbratwurst

Verlängerungen, Verschiebungen, Vorwürfe: Die Europäische Union ringt darum, den Ruf ihres „Kulturhauptstadt“-Titels zu retten.

Schlechten Verlierern zusehen zu müssen, ist immer peinlich. Während in Chemnitz Ende Oktober gejubelt wurde, nachdem sich eine 12-köpfige, internationale besetzte Jury dafür ausgesprochen hatte, den Ehrentitel der „Europäischen Kulturhauptstadt 2025“ nach Sachsen zu vergeben, herrschte in Nürnberg Katzenjammer. Enttäuscht waren auch die anderen Mitbewerber der Finalrunde, Hannover, Hildesheim und Magdeburg, doch um den sicher geglaubten Sieg betrogen fühlte man sich nur in Franken.

Einen „harten Schlag in die Magengrube“ verspürte der Nürnberger CSU-Oberbürgermeister Marcus König und Kulturdezernentin Julia Lehner fühlte sich bestätigt, als in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Artikel erschien, in dem von „Vetternwirtschaft“ bei der Vergabe des begehrten EU-Titels die Rede war, ja von einem „Berater-Sumpf“.

Wurden Absprachen getroffen, Aufträge zugeschanzt?

„Große Fragen stehen im Raum“, raunte die Politikerin. Waren da Hinterzimmer-Absprachen getroffen, haben sich eine Handvoll spezialisierter Berater gegenseitig lukrative Aufträge zugeschanzt, verlief der ganze Wahlprozess transparent genug? Ein Schelm, wer dabei an Donald Trump und seine Verschwörungstheorien von der gestohlenen Wahl denkt.

Wenig überraschend tauchte die Nürnberger Kulturdezernentin in dem investigativen Artikel der „Süddeutschen“ als eine Art Kronzeugin auf. Und die Kultusministerkonferenz (KMK), die den deutschen Bewerbungsprozess organisiert, erhielt eine „Protestnote“ aus Franken.

Da fügte es sich gut, dass zufällig Bayerns Kunstminister Bernd Sibler gerade den Vorsitz bei der KMK inne hat. Er nutzte seine Position, um den eigentlich nur noch formellen Akt der Ernennung von Chemnitz hinauszuzögern und erwirkte, dass für die zweite Januarwoche nun Sylvia Amann, die Vorsitzende der Auswahljury, eingeladen wurde.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Sie will vor den Kultusministern zu den von der „Süddeutschen Zeitung“ erhobenen Vorwürfen Stellung nehmen. Dresden übrigens hatte sich für seine Kulturhauptstadt-Bewerbung den bekanntesten Player der internationalen Kulturmanager-Community überhaupt geholt, den früheren Berliner Opernstiftungsdirektor Michael Schindhelm – und flog trotzdem bereits in der Vorrunde raus.

In einer offiziellen Mitteilung der KMK wird dann auch betont, das Gremium stelle Chemnitz natürlich weiterhin „in Aussicht“, dass man der Europäischen Kommission die Ernennung der Stadt zur Titelträgerin 2025 empfehlen werde. Der Bund und das Land Sachsen haben den siegreichen Chemnitzern für das Festjahr bereits Zuwendungen in Höhe von jeweils 25 Millionen Euro zugesagt.

Slowenien schickte Nova Gorica ins Rennen

Da in der erweiterten EU stets zwei oder drei Städte den Ehrentitel tragen, konnte für 2025 neben Deutschland auch Slowenien eine Stadt benennen. Seit dem 18. Dezember steht fest, dass es Nova Gorica sein wird. Bis 1918 war die 1001 erstmals erwähnte Stadt österreichisch und hieß Görz, nach dem Ersten Weltkrieg, als ganz Istrien Italien zugesprochen wurde, hieß sie Gorizia. 1945 besetzten dann kommunistischen Partisanen unter der Führung von Marschall Tito das Gebiet, im Frieden von Paris wurde die Stadt 1947 geteilt, als Grenze verlief parallel zur Strecke der Bahnlinie Salzburg-Triest.

Der historische Kern Gorizias blieb bei Italien, der Bahnhof und die östlichen Vororte wurden Jugoslawien zugeschlagen. Tito entschied daraufhin, dass hier unter dem Namen Nova Gorica eine sozialistische Modellstadt geschaffen werden sollte, vergleichbar mit Eisenhüttenstadt in Brandenburg. Erst 2004, nach dem EU-Beitritt Sloweniens, wurde der Grenzzaun abgerissen, der Nova Gorica und Gorizia trennte, bei der Bewerbung für den EU-Titel traten beide Städte nun gemeinsam an. Zusammen kommen sie auf gut 70 000 Einwohner.

Die Pandemie hat den Kulturhauptstädten die Veranstaltungen verhagelt

Schwer hatten es die Kulturhauptstädte des Jahres 2020, weil sie wegen der Pandemie einen Großteil ihrer geplanten Veranstaltungen nicht realisieren konnten. Für sie hat die EU eine Sonderregelung getroffen: Rijeka in Kroatien und Galway in Irland dürfen den Ehrentitel auch über die Jahresgrenze hinaus weiterhin führen, bis einschließlich 30. April.

Die drei für 2021 vorgesehenen Städte wiederum starten erst später: Novi Sad in Serbien wird 2022 europäische Kulturhauptstadt sein, zusammen mit dem bereits offiziell für dieses Jahr vorgesehenen Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens, und Esch im Großherzogtum Luxemburg. Das griechische Elefsina, ein Vorort von Athen, und das rumänische Timisoara warten sogar zwei Jahre und tragen den Titel dann 2023 zusammen mit dem ungarischen Veszprem. Ab dem 1. Mai 2021 hat die Europäische Union also acht Monate lang gar keine Kulturhauptstadt. Vielleicht kann ja spontan Nürnberg einspringen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false