zum Hauptinhalt
Berliner Milieu. „Abgrund“-Party mit Isabelle Redfern, Laurenz Laufenberg, Alina Stiegler und Moritz Gottwald.

© Arno Declair

„Abgrund“ an der Schaubühne: Durch diese hohle Klasse

Maja Zades selbstkritische Milieustudie „Abgrund“: Thomas Ostermeier inszeniert die Uraufführung an der Schaubühne.

Wie findet ihr die Fliesen, will Bettina von ihren Freunden wissen, die sie zum Abendessen in die neue Küche eingeladen hat. Die Frage ist nicht als Gesprächsangebot gemeint. Es geht weniger um Austausch als um Selbstvergewisserung an dieser gut situierten Mittdreißiger-Tafel in der Schaubühne. Also antwortet sich Bettina (Jenny König) selbst: „Weiß ist zwar irgendwie Klischee, aber ich find’s auch total gut.“

Und substanzieller, um das gleich vorwegzunehmen, wird’s auch nicht in Maja Zades pausenlosem Hundertminüter „Abgrund“. Ganz egal, ob sich Bettinas Lebensgefährte (Christoph Gawenda) um die Qualität des Steaks vom Biofleischer sorgt, ob Single-Frau Anna (Isabelle Redfern) ihre flugangstbedingten Koma-Besäufnisse vor Fernreisen ausplaudert, ob sich ein polyamouröses Paar (Alina Stiegler und Moritz Gottwald) über die Erkennbarkeit von Ironiesignalen in die Haare kriegt oder die Sprache mal kurz auf Geflüchtete kommt: Die Floskel „ist zwar irgendwie Klischee, aber ich find’s auch total gut“ – oder wahlweise eben schlecht – könnte hier definitiv hinter jedem Gesprächsfetzen stehen.

Das Publikum trägt abendfüllend Kopfhörer

Im Gegensatz zu vielen anderen Wohlstandsmilieustücken, die man zurzeit so auf Theaterbühnen sieht, ist diese Banalität des Öden in Zades „Abgrund“ allerdings kein Lapsus, sondern intendiertes dramatisches Programm. Eine Serie von Abendessen mit Freunden und Bekannten sei der Auslöser für ihr Stück gewesen, erklärte die Autorin vorab in verschiedenen Interviews. Danach hätte sie jedes Mal das verstörende Gefühl beschlichen, „dass die Gespräche, die geführt wurden, nahezu identisch waren, dass man Klischees und Worthülsen ausgetauscht hatte und immer an der Oberfläche geblieben war“. Wobei der allergrößte Schock darin bestand, welchen „verbalen Schwachsinn“ sie dabei selbst „produziert habe“, gesteht Zade, die an der Schaubühne seit vielen Jahren als Dramaturgin arbeitet und kürzlich mit „status quo“ erstmals auch als Autorin in Erscheinung trat.

Bei „Abgrund“, ihrem zweiten Stück, handelt es sich also um eine selbstkritische Milieustudie. Das ist mutmaßlich auch der Grund dafür, warum Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier, der die Uraufführung selbst inszeniert, das Publikum zwecks Identifikations- und Intensitätssteigerung abendfüllend Kopfhörer tragen lässt: Man erlebt den Abend mit Akustikverstärkung. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, will man, um im Bild des Abends zu bleiben, die eigene abgrundtiefe Abgrundlosigkeit vorführen und spekuliert auf maximale Anschlussfähigkeit beim Theaterpublikum. Das ist zwar prinzipiell löblich, führt im vorliegenden Fall aber vielleicht schon zum ersten Problem: Es mag ja durchaus sein, dass fast jeder und jede im Zuschauerraum diese Floskeln vom „leckeren Wein“ oder die peinlichen Ausführungen über diese tolle „Holocaust-Komödie“ aus eigenen Zusammenhängen kennt, die hier über den Edelküchen-Tresen auf Nina Wetzels Bühne wandern.

Ob sich daraus allerdings wirklich der mentale Offenbarungseid eines Milieus ableiten lässt, steht auf einem anderen Blatt: „Wer zeigt denn schon bei einem Abendessen seinen Abgrund?“, ruft irgendwann mal jemand in die Runde, und die Frage ist durchaus berechtigt. Aber selbst wenn es so wäre, dass sich aus Zades intendierter Oberflächen-Kompilation die treffende Selbstbeschreibung einer bestimmten Gesellschaftsschicht ergäbe, hätte man immer noch das Problem, dass das schlichtweg ziemlich langweilig und auf gar keinen Fall abendfüllend ist. Nach wenigen Minuten Distinktionsgeplauder – man pocht auf die politisch korrekte Bezeichnung für Geflüchtete, exotisiert aber, ohne es zu merken, den Homosexuellen in der Runde (Laurenz Laufenberg) oder redet im hochnotpeinlichen Gönnerinnen-Ton über die Assistentin – sind die Dinge klar und die Pointen ausgereizt. Erschwerend kommt hinzu, dass es solchen bewussten Hohlfiguren, denen Ostermeier in seiner Inszenierung redlich Leben einzuhauchen versucht, überhaupt nicht möglich ist, auf der Bühne Kontur zu gewinnen.

Eine Katastrophe biblischen Ausmaßes

Das weiß offenbar auch die Autorin und erhöht deshalb einfach die Tragödienschlagzahl. Allerdings nicht im Text, sondern quasi von außen: Neben der Küche, im Kinderzimmer, schlafen die beiden Töchter des Gastgeberpaares. Und während die Erwachsenen also ohne Sinn und Verstand über alles hinwegplaudern, geschieht dort ein großes Unglück. Eine Katastrophe geradezu biblischen Ausmaßes, die der lebenslänglichen Höchststrafe für alle Beteiligten gleichkommt – und der der absichtsvoll banale Text gar nicht beizukommen schafft.

Die Edelküchen-Bobos reagieren einfach nur mit einem sprunghaften Anstieg der Floskelhaftigkeit und des Unsympathen-Faktors. Da kippt die Banalität in eine hart am Unglückskitsch entlangschrammende Tragödienfolklore, zu der man eigentlich nur sagen kann: Irgendwie Klischee – und echt nicht gut.

Wieder am heutigen Donnerstag sowie am 17., 19., 21. und 22. April.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false