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Der serbische LKW-Fahrer Vlada (Leon Lučev) mit seinem Sohn in Ognjen Glavonićs Spielfilm "Teret", der während des Kosovokrieges spielt.

© Five Stars Production

24. Filmfestival Sarajevo: Kind, du solltst es einmal besser haben

Verzweifelte Väter, auswandernde Mütter und der lange Schatten der Balkankriege: Eindrücke vom 24. Filmfestival in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo.

Die kroatische Fußallnationalmannschaft hatte während der Weltmeisterschaft in Russland Fans aus der ganzen Welt. Ein kleines Land kommt groß raus, der Underdog fordert im Finale die Fußball-Großmacht Frankreich heraus – das war vielen sympathisch. Vor allem auch in den anderen jugoslawischen Nachfolgestaaten, wo man sich dem Nachbarn Kroatien aufgrund der Sprache, Kultur und Mentalität noch immer sehr nahe fühlt.

Allerdings mussten diese Fans der kroatischen Kicker darüber hinwegsehen, dass das Team in der Kabine die Musik des rechtsradikalen Rockmusikers Marko Perković alias Thompson hörte. Später lud es Thompson sogar zu seiner Willkommensfeier in Zagreb ein. Eins der Lieder, das die Spieler beim Turnier anstimmten, war das martialische, antiserbische Stück „Bojna Čavoglave“, das mit einem faschistischen Gruß beginnt. Auch die Tatsache, dass immer wieder Ustascha-Fahnen und -Symbole bei Anhängern der Mannschaft auftauchten, galt es zu ignorieren.

Wobei der aggressive Nationalismus keine kroatische Spezialität ist, Serbien steht den Nachbarn darin in nichts nach. Auch andere Probleme haben die Länder der Region gemeinsam, alle haben sie – ob EU-Mitglieder oder nicht – mit Korruption, Arbeitslosigkeit und Nepotismus zu kämpfen. Viele junge, hochqualifizierte Menschen entscheiden sich deshalb auszuwandern. Allein Kroatien hat seit dem Beitritt zur Europäischen Union 2013 rund 200.000 Bürgerinnen und Bürger verloren. Die meisten zieht es nach Deutschland, Österreich oder Schweden.

Glücklich in Schweden

Eine von ihnen ist die Regisseurin Marija Ratković Vidaković aus Zagreb. Sie stammt aus einer Familie, die stark von jugoslawischen Idealen geprägt ist. In ihrem sehr persönlichen Essayfilm „Ikea for YU“ erforscht sie diese Tradition zusammen mit ihrer Co-Regisseurin Dinka Radonić – und wie sie diese durch ihren Weggang nach Schweden nun durchbrechen möchte. Ihr fünfjähriger Sohn soll unbelastet davon aufwachsen. Bei der Premiere des Werkes im Dokumentarfilmwettbewerb des 24. Filmfestivals von Sarajevo, das vergangene Woche in der bosnischen Hauptstadt stattfand, betonte Vidaković, dass sie sich nach einem Jahr in Schweden viel ausgeglichener fühle. Auch das Verhältnis zu ihren Eltern sei besser. Ihrem durch den Saal wuselnden Sohn gefällt die neue Heimat ebenfalls.

Dass es manchmal nicht so glatt läuft mit dem Auswandern, zeigt Ioana Uricarus Spielfilm „Lemonade“ – einer von drei rumänischen Beiträgen im zehn Filme umfassenden Wettbewerb, den das bulgarische Polarkreis-Epos „Ága“ für sich entschied. Beide Filme feierten auf der diesjährigen Berlinale ihre Weltpremiere.

Auch in „Lemonade“ ist es der Wunsch nach einer besseren Zukunft für den Sohn, der eine Mutter ihr Glück in der Ferne suchen lässt. Mara (Mãlina Manovici) ist von Rumänien in die USA gezogen, hat einen Amerikaner geheiratet und holt ihren neunjährigen Sohn nach. Die Filmemacherin, die selbst in den Staaten arbeitet und in Sarajevo den Regie-Preis gewann, gelingt ein eindringlicher Blick auf die fragile Position von Migrantinnen, ohne ihre Heldin dabei in eine Opferrolle zu drängen.

Verloren im kroatischen Bürokratie-Dschungel

Mit welchen Schwierigkeiten Eltern in Kroatien konfrontiert sein können, thematisieren zwei sehr unterschiedliche Spielfilme im Wettbewerb. In beiden stehen Männer im Zentrum, die gerne Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten. Der geschiedene Vater Marko (Rakan Rushaidat) verliert sich in Bobo Jelčićs „Sam samcat“ („All alone“) im kroatischen Bürokratiedschungel. Gleich zu Beginn macht eine Sequenz mit Belehrungen in schlimmem Amtskauderwelsch klar, dass hier kein Durchkommen ist. In einer späteren Szene verschwindet der oft aus der Entfernung gefilmte Marko fast hinter einem Aktenstapel, der sich auf dem Schreibtisch einer Entscheiderin türmt. Der Vater fühlt sich zunehmend hilflos und isoliert, weder die Verbindungen seines Onkels noch die Ratschläge seiner Freunde helfen ihm.

Lea Breyer und Rakan Rushaidat in "Sam samcat" von Bobo Jelcić.
Lea Breyer und Rakan Rushaidat in "Sam samcat" von Bobo Jelcić.

© Nikola Predović

Frenkie (Franjo Dijak), ein gerade aus dem Gefängnis entlassener Drogendealer, geht sein Sorgerechtsproblem in Antonio Nuićs „Mali“ völlig anders an. Er denkt sich einen mörderischen Plan aus, in den er seine drei ältesten Freunde verwickelt. Ein korrupter Polizist und ein skrupelloser Anwalt helfen ihm. Viele Drogen und noch mehr Alkohol kommen zum Einsatz in diesem an Guy Ritchie erinnernden Buddy-Movie, das fast gänzlich ohne Frauen auskommt. Dass der in Sarajevo geborene und in Kroatien lebende Regisseur die kriminellen Aktionen seines Helden als Quasi-Notwehr oder zumindest nachvollziehbare Reaktion auf ein moralisch verkommenes System präsentiert, grenzt allerdings an Zynismus.

Bobo Jelčić, der in seinem von eigenen Erfahrungen inspirierten „Sam samcat“ deutlich besonnener zu Werke geht, sieht in den Geschichten über geschiedene Väter – es gab davon erstaunlich viele auf dem Festival – auch etwas Positives. Nach der Premiere seines Dramas sagt er: „Dass wir inzwischen über unsere privaten Kriege erzählen, könnte ein Zeichen dafür sein, dass wir jetzt in der Nachkriegszeit angekommen sind.“

Von Kosovo nach Belgrad mit unbekannter Fracht

Auf dem Festival von Sarajevo, das 1995 noch während der serbischen Belagerung der Stadt gegründet wurde, spielen Werke über die jugoslawischen Zerfallskriege und deren Folgen traditionell eine große Rolle. In diesem Jahr trat das Thema in der Tat etwas in den Hintergrund. Zwei der stärksten Filme handelten dann aber doch wieder davon, allen voran „Teret“ („The Load“), das Spielfilmdebüt des 1985 geborenen serbischen Regisseurs Ognjen Glavonić. Nachdem er vor zwei Jahren bereits eine Dokumentation über Massengräber in den Vororten von Belgrad gedreht hatte, kommt er nun in einem Roadmovie noch einmal auf das Sujet zurück. Der Serbe Vlada, gespielt von Leon Lučev, der als bester Schauspieler ausgezeichnet wurde, fährt 1999 während des Kosovokrieges einen Lastwagen aus dem Kosovo in seine Heimatstadt Belgrad, die gerade von der Nato bombardiert wird. Was er geladen hat, weiß Vlada nicht, doch er ahnt – genau wie das Publikum –, dass es Leichen sind, getötete Kosovarinnen und Kosovaren.

Die serbische Filmförderung lehnte "Teret" mehrmals ab

Das in winterlichen Grau-Braun-Tönen gedrehte Drama nimmt immer wieder Bezug auf die Geschichte von Vladas Vater, der Soldat im Zweiten Weltkrieg war, und zeigt den Protagonisten später mit seinem eigenen Sohn. Damit verdeutlicht Regisseur und Drehbuchautor Glavonić, dass es ihm vor allem um die Bürde geht, die eine Generation an die nächste weitergibt. Das ist die zweite Bedeutung der titelgebenden „Ladung“. Mit ihrem Film nehmen Glavonić und sein Team dieses Erbe an, womit sie sich in Serbien wenig Freunde gemacht haben. Es dauerte sieben Jahre, „Teret“ zu produzieren, die serbische Filmförderung lehnte ihn immer wieder ab und beteiligte sich erst ganz am Ende, als der Großteil der Finanzierung bereits stand. Im November kommt der Film in die serbischen Kinos – und schon jetzt werden Stimmen laut, er sei antiserbisch.

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Die Kriegsverbrechen der eigenen Landsleute und ihrer Mitstreiter aufzuarbeiten, das fällt auch den Kroaten schwer. Das bekam die Schweizer Regisseurin Anja Kofmel zu spüren, die in ihrer Dokumentation „Chris the Swiss“ den Tod ihres Cousins im serbisch-kroatischen Krieg aufarbeitet. Erst als Radioreporter aktiv, schloss sich der 26-Jährige bald einer zwielichtigen internationalen Freiwilligentruppe an, die auf kroatischer Seite kämpfte. Der mit subjektiven Animationselementen arbeitende Film legt nahe, dass Chris 1992 von diesen Paramilitärs ermordet wurde.

Anja Kofmels Projekt fiel bei der kroatischen Filmförderung in Ungnade, nachdem 2016 die konservative Regierung unter Premier Andrej Plenković, an die Macht gekommen war. Zugesagte Zahlungen wurden verzögert, Kofmel musste überdies ihr Animationsstudio in Zagreb schließen. Hätte Cannes „Chris the Swiss“ nicht eingeladen, so Kofmel in Sarajevo, wäre er vielleicht niemals auf eine Leinwand gekommen. Ob er in Kroatien zu sehen sein wird, ist noch ungewiss.

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