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Spitzname „Kochtopf“. Der funkelnde Neubau neben dem Museum Boijmans Van Beuningen.

©  Ossip van Duivenbode/Museum

15 000 Quadratmeter, 151 000 Objekte: Das erste vollständig begehbare Museumsdepot der Welt

Die meisten Museen zeigen nur fünf Prozent ihrer Sammlungen. Das Stadtmuseum Rotterdam geht mit seinem gigantischen Depot nun einen anderen Weg. Ein Besuch.

Das herkömmliche Museum teilt sich, wenn man so will, in zwei Teile: den sichtbaren der Schausammlung, in dem die Kunstschätze bestmöglich präsentiert werden, um von Besuchern betrachtet und bewundert zu werden. Und den unsichtbaren des Depots, in dem alle nicht öffentlich gezeigten Objekte verwahrt werden, nach funktionalen Gesichtspunkten organisiert, nicht zur Betrachtung, sondern zur Aufbewahrung; meist ergänzt um Werkstätten für Konservierung und Restaurierung. Im öffentlichen Teil – und das ist das Problem nahezu aller Museen – werden um die fünf Prozent der Objekte gezeigt, im nichtöffentlichen die restlichen 95.

Lohnt sich dafür der Aufwand? Die Frage wird nicht gestellt; jedenfalls nicht laut. Sammlungen wachsen unaufhörlich, ihr Platzbedarf steigt beständig. Auch der öffentliche Teil des Museums ächzt bisweilen, durch An- oder Neubauten. Depots hingegen werden nach Möglichkeit an den Stadtrand verbannt, um teuren Baugrund zu meiden. Allerdings nicht überall. So haben die Bürger Rotterdams in den zurücklegenden viereinhalb Jahren ein merkwürdiges Gebilde in ihrem „Museumspark“ emporwachsen sehen.

Ein 35 Meter hoher Rundbau aus Beton wurde Stück für Stück sichtbar – und zum Schluss durch die Verkleidung mit spiegelnden Glasplatten quasi wieder unsichtbar. Was dieser Tage unter größter medialer Aufmerksamkeit eröffnet wurde, ist das Depot des benachbarten Museums Boijmans Van Beuningen, des vor 172 Jahren gegründeten, alle Epochen umfassenden Museums der Stadt Rotterdam.

Entworfen hat den bereits mit Kosenamen wie „Kochtopf“ versehenen Rundbau das Enfant terrible unter den (zahlreichen) Rotterdamer Architekturfirmen, das längst berühmte Büro MVRDV, das noch stets für einen überraschenden Einfall gut ist. Winy Maas, einer der drei Mitbegründer, erklärt die Rundform mit dem Bestreben, den allen Rotterdamern teuren Museumspark möglichst wenig anzutasten, vor allem auch optisch nicht zu verstellen.

In den insgesamt 1664 Spiegelglaspaneelen spiegeln sich das benachbarte Museumsgebäude mit seinem markanten Turm und dazu die Menschen, die ihm Park spazieren gehen und sich selbst als Akteure erleben. Und auch die Ökologie ist bedacht worden: Auf dem Dach des Bauwerks wurde ein veritabler Birkenwald gepflanzt, als weitgehender Ausgleich für die an Baugrund verlorene Parkfläche. Sogar das Regenwasser wird gesammelt und aufbereitet.

Eine Neuausrichtung der Musemsarbeit

Von außen ein spiegelblanker Riesentopf, im Inneren das erste vollständig begehbare Museumsdepot der Welt: So präsentiert sich der Bau, der auf sechs Ebenen insgesamt reichlich 15 000 Quadratmeter Fläche bietet, um die 151 000 Objekte der Museumssammlung aufzunehmen. Und zwar so, dass sie der Besucher in ihren Hängevorrichtungen, Stellagen und Schränken sehen oder in ihrer Fälle zumindest erahnen kann. Denn das Gebäude ist im Inneren durch ein spektakuläres Treppenhaus mit diagonal geführten Metalltreppen erschlossen, ferner durch gläserne Aufzüge, und in jede Ebene, in jede Abteilung kann man eintreten. Nur wo das naheliegenderweise nicht möglich ist, in der Restaurierungswerkstatt, muss der Blick durch großzügige Fenster genügen.

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Nicht nur die Objekte der Sammlung, die bislang zu 95 Prozent der Öffentlichkeit entzogen waren, sondern auch die zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für diesen unsichtbaren Teil der Museumsarbeit zuständig sind, habe man sichtbar machen wollen, erklärte das Direktorenduo Ina Klaassen und Sjarel Ex zur Eröffnung. Es geht auch um eine Neuausrichtung der Museumsarbeit. Künftig können die Stadtbürger, die schließlich die eigentlichen Träger, vor allem aber die Finanziers des Museums darstellen, ein eigenes Urteil über Auswahl und Präsentation der Sammlungsschätze gewinnen: Was ist wert, im Museum gezeigt zu werden, was verbleibt im Depot und warum? Was bedeutet es überhaupt, Objekte zu sammeln, zu bewahren und zu pflegen? Kann und muss alles bewahrt werden? Gerade die letzte Frage dürften sich manche Besucher stellen, wenn sie den Platzbedarf ermessen, den Objekte und Installationen zeitgenössischer Künstler erheben. Die Gemälde aus fünf Jahrhunderten hingegen, die das Museum bewahrt, lassen sich in einer ingeniös verschränkten Hängevorrichtung auf einer einzigen Etage unterbringen – und jederzeit mit zwei Handgriffen herausziehen und zeigen.

Sammler können Raum im neuen Depot mieten

Wie die meisten Kunstmuseen kann auch das Boijmans Van Beuningen, benannt nach seinen Stiftern, kaum noch Erwerbungen auf dem Kunstmarkt tätigen. Man arbeitet mit Sammlern zusammen. Der Clou: Sammler können Raum im neuen Depot mieten, auf Wunsch inklusive konservatorischer Betreuung. Der gar nicht verschwiegene Hintergedanke ist, die Verbindung zwischen Sammler und Museum derart zu verstärken, dass die privaten Schätze eines Tages durch Schenkung zu öffentlichen werden.

Im besten Sinne öffentlich ist das Dachgeschoss des Depots: Dort sind rundum verglaste, variable Räume für Restaurant, aber auch Vorträge oder Festlichkeiten angeordnet. In den Ecken, die die Kreuzform dieses Pavillons auf der kreisrunden Dachfläche ausspart, wachsen die – durch mehrjährige Aufzucht sturmerprobten – Bäume des Birkenwäldchens. Spektakulär ist die Aussicht auf die Stadt Rotterdam, die sich nun schon seit vielen Jahren konsequent eine Skyline aus Hochhäusern zulegt, zunehmend übrigens Wohntürme. Auch das Depot verdankt sich schließlich dem Bürgerstolz, zu zeigen, was man hat.

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