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Foto: AP

© dapd

Zum Geburtstag von Michelangelo Antonioni: 100 Jahre Einsamkeit

Vor fünf Jahren ist er gestorben, am selben Tag wie Ingmar Bergman. Und nun wird, am 29. September, sein Hundertster gefeiert Eine Erinnerung an den großen, in Vergessenheit geratenden Filmemacher Michelangelo Antonioni.

Zum geläufigen Legendenschatz berühmter Filmregisseure gehört das gerne in Interviews verbreitete Statement, Kritiken läsen sie nie. Dicht gefolgt von der manchmal verächtlichen - und womöglich ebenso wahrheitsfernen - Aussage, frühere eigene Werke sähen sie sich nie wieder an. Ganz anders Michelangelo Antonioni. „Meinen alten Filmen gegenüber bin ich wie ein Vater. Du bringst sie auf die Welt, sie wachsen heran und gehen ihrer Wege. Von Zeit zu Zeit begegnet man sich, und sie wiederzusehen, ist immer ein Vergnügen.“

Ähnlich, im still sich etablierenden Zwiespalt zwischen Nähe und Ferne, mag es auch Filmliebhabern mitunter mit ihren ganz besonderen Hausheiligen gehen. Ziemlich weit oben, also schon ein wenig ungreifbar, im Regal ihrer Wertschätzung haben sie sie einsortiert, und auf einmal ist, wie nun für Michelangelo Antonioni, ein 100. Geburtstag zu feiern. Haben wir nicht eben erst von dem großen Melancholiker, dem Liebeseinsamkeitsbeobachter, dem ausgewiesenen Nichtgeschichtenerzähler und unerreicht eleganten Komponisten der Totalen und Gesichter Abschied genommen, vor kaum fünf Jahren, an jenem mythisch selben 30. Juli, als auch Ingmar Bergman starb? Eine gewaltige Aufmerksamkeitsaufwallung war das damals – sicherstes Anzeichen dafür, dass ein leises Vergessen beginnt.

Und dann ist alles auf einmal wieder ganz frisch. Michelangelo Antonionis Heimatstadt Ferrara richtet ihm, mit Gedenktafelenthüllung in der Via San Maurelio 10, wo er in der Jugend wohnte, mit Platzbenennung, Retrospektive und einer Ausstellung seiner und wesensverwandter Bilder bedeutender Maler bis ins nächste Jahr hinein Festspiele aus. Das Berliner Lichtblick-Kino rückt am heutigen Geburtstag (29. September) und morgen seine angelsächsischen Hits „Blow Up“ und „Zabriskie Point“ ins Programm, aber auch seinen deutlich früheren Schwarzweißfilm „La Notte“, Berlinale-Gewinner von 1961 und Mittelstück seiner italienischen Entfremdungs-Trilogie. Und der Wagenbach-Verlag bringt den Geschichten- und Skizzenband „Bowling am Tiber“ (1983), den er selbst schon einmal hatte unter dem Titel „Chronik einer Liebe, die es nie gab“ ins Deutsche übertragen lassen, neu heraus.

Es gibt in diesem schmalen "Salto"-Bändchen, das Miniaturen und Filmideen und - nahezu immer schon in den Prosastückchen selbst - Reflexionen versammelt, die „Zwei Telegramme“ genannte Szene eines verworfenen Filmprojekts, die genauso gut „La Notte“ heißen könnte: Eine Frau, deren Mann ihr per Telegramm die Ehe aufkündigt, bleibt über Nacht in ihrem Büro – und lädt einen Fremden vom Büroturm gegenüber, ebenfalls per Telegramm, zu sich ein. Doch der erotische Trosttraum scheitert. „Borges würde sagen, diese Frau leidet an Unwirklichkeit“, schreibt Antonioni. Man möchte hinzufügen: Aber Antonionis Wörter lösen den Satz sogleich in Bilder auf.

Wie sonst diesen so besonderen Geburtstag begehen, in welch schöner Stille? Eine Möglichkeit wäre es, sich vom nächtlich raunenden DVD-Audiokommentar des alten Jack Nicholson verführen zu lassen, der „Beruf: Reporter“ von 1975 wiedersieht – und sich selbst darin womöglich wie einen erwachsen gewordenen Sohn. „Still one shot“, wiederholt Nicholson voller Bewunderung während der atemberaubenden, sieben Minuten dauernden Einstellung kurz vor Schluss dieser so unendlich antonioni-haften Geschichte von einem, der sich die Identität eines Toten so todessehnsüchtig träge überstreift, bis er selber den Tod findet. Und wie hatte der Regisseur damals begründet, warum er die Szene vom Tod des falschen Reporters genau so wollte, als Kamerafahrt durch die Gitter eines südspanischen Hotelfensters über einen weiten, sonnendurchfluteten Platz und zurück ins Foyer, wobei in der Zwischenzeit womöglich ein Schuss fällt? Auch an diesen Satz Antonionis erinnert sich Nicholson mit vor Bewegtheit heiserer Stimme: „I just didn't want to film a death scene.“ So schlicht funktioniert Unsterblichkeit, so nebenbei. Jan Schulz-Ojala

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