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Von wegen ewiges Eis: der Piz Palü im Schweizer Kanton Graubünden heute.

© Imago/Gerd Michael Müller

10. Klima-Konzert in Berlin: Als die Gletscher noch Gletscher waren

Das Orchester des Wandels unter Frank Strobel spielt Live-Musik zum Bergfilm-Klassiker "Die weiße Hölle vom Piz Palü", im Kraftwerk Mitte.

Wenn der Berg tobt, versammeln sich die Dorfbewohner in der Kirche. Jetzt hilft nur noch beten. In Zeiten des Klimawandels gewaltige Gletscher mit turmhohen Eiswänden zu sehen, dazu Lawinenabgänge, welche die alpinen Gebirgsmassive nicht im Geringsten gefährden, löst einen doppelten Schrecken aus. Über die majestätische Natur und ihre gewaltsame Zerstörung durch den Menschen.

Das ewige Eis auf den Dreitausendern in Arnold Fancks und Georg Wilhelm Pabsts frühem Bergfilmdrama „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ ist zu großen Teilen abgeschmolzen.

Der Piz Palü und der Morteratschgletscher in Graubünden zeigen längst mehr grauen Fels als sonnenglitzerndes Weiß. Und die kleine, romantische Diavolezzahütte im Film ist heute ein bequem mit der Seilbahn erreichbares Touristen-Highlight.

Da passt es gut, dass das Orchester des Wandels - die Klimaschutz-Initiative von Musikerinnen und Musikern der Berliner Staatskapelle und aus anderen deutschen Ensembles -  dem Film von 1929 sein zehntes Klima-Konzert widmet. Der Erlös kommt erneut der Umweltstiftung NaturTon zugute, die Renaturierungsprojekte in Moldawien oder Madagaskar unterstützt. Corona-bedingt wurde das Konzert vom Vorjahr auf dieses Frühjahr verschoben.

„Gletscherwelten im Heizkraftwerk“: Frank Strobel dirigiert in der Halle (gute Akustik!) in der Köpenicker Straße die Filmmusik des Australiers Ashley Irwin, die 1998 zur restaurierten Originalfassung des Stummfilms entstand. Eine hochengagierte Parforcetour, vom Publikum bejubelt, handelt es sich doch um einen 133-minütigen Nonstop-Soundtrack. Da darf das Blech hin und wieder auch mal kieksen.

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Ashleys Musik mischt traditionelle Hollywooddramatik mit spätromantischem Pathos und Bolero-Rhythmen, angereichert um komische Einschübe und klassische Lautmalereien wie Harfentuper für die tröpfelnde Eiszapfen oder Posaunenchöre für das Gebirgspanorama. Und um Leitmotive für die Protagonisten. Zur Bergsteigerin Maria (Leni Riefenstahl) gesellt sich eine liebliche Flöte, ihr herzensguter Freund Hans (Ernst Petersen) wird von der Klarinette akkompagniert, während die Hörner der verwirrten Seele von Johannes (Gustav Diessl) zugetan sind, der seit dem Gletscherspalten-Tod seiner Geliebten traumatisiert ist.

Leni Riefenstahl und Gustav Diessl in Arnold Fancks und Georg Wilhelm Pabsts Stummfilmklassiker "Die weiße Hölle vom Piz Palü".
Leni Riefenstahl und Gustav Diessl in Arnold Fancks und Georg Wilhelm Pabsts Stummfilmklassiker "Die weiße Hölle vom Piz Palü".

© Imago

Eine Ménage à trois unter lebensgefährlichen Bedingungen: Zur Eifersucht gesellt sich eine halsbrecherische Nordwand-Besteigung. Die drei geraten in Not, ein leichtsinnige Studentengruppe kommt ums Leben. Rettung naht, als  Sportflieger Ernst Udet, der anfangs noch eine Flasche Champagner für das Paar in der Hütte abgeworfen hatte, ihren Standort für den Hilfstrupp aus dem Dorf mit Senkrechtaufflügen markiert.

Keine Stunts, keine Studiotricks: Die Dreharbeiten müssen lebensgefährlich gewesen sein

Aufregender als der konventionelle Plot sind allemal die Naturaufnahmen. Schneestürme, die Bergeingeweide in den Gletscherspalten, glitzernde Grate, Eisskulpturen, sich über die Gipfel wälzende Wolkenmeere: alles echt, keine Stunts, keine Studiotricks. Auch die Dreharbeiten müssen lebensgefährlich gewesen sein.

Ein Wort zu Leni Riefenstahl, deren spätere Rolle als NS-Regisseurin in Frank Strobels Programmtext als „unangenehm“ bezeichnet wird. Angesichts ihrer Reichsparteitags-Trilogie, ihrer filmischen Begleitung von Hitlers Einmarsch in Polen und ihrer Beschäftigung von Zwangsarbeitern in „Tiefland“ eine ärgerlich verharmlosende Vokabel. Nichts gegen die Wiederaufführung des Filmklassikers, aber dafür braucht die Geschichte nicht beschönigt zu werden. Das Wissen über Riefenstahls Propagandatätigkeit ändert den Blick auf die schöne Maria.

Politik, Kunst und Moral lassen sich nicht säuberlich trennen: Auch die Verstrickung von Naturbegeisterung (und Naturschutz) mit der nationalsozialistischen Ideologie ist heute bedenkenswert.

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