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Mit der Straßenbahn nach Ost-Jerusalem. Momentaufnahme bei der Erkundungstour des Festivals.

© Bernhard Schulz

Kulturfestival in Jerusalem: Im Glauben fest

Das Kulturfestival Mekudeshet sucht die Überwindung von Grenzen – und fragt nach der Rolle der Religion in Israel. Voller Idealismus will es der unwirklichen Stadt Jerusalem beikommen.

Für die Nicht-Religiösen in Israels Gesellschaft kommt es knüppeldick. Nicht nur, dass der Betrieb von Bussen und Bahnen am geheiligten Schabbat wie seit jeher eingestellt bleibt, beinahe durften nicht einmal mehr Reparaturarbeiten ausgeführt werden, doch weiterhin sollen – was für das ausgehfreudige Tel Aviv ein herber Schlag wäre – die wenigen bisher geöffneten Lebensmittelläden ab Freitagabend schließen müssen. So wollen es die Ultraorthodoxen in Netanjahus rechtslastiger Regierungskoalition. Die liberale Tageszeitung „Haaretz“ sah sich bereits zu einem Leitartikel unter der Überschrift „Freiheit für Tel Aviv“ veranlasst.

Religion ist Politik, nicht nur, aber besonders in Israel. Da passt es genau, dass das zum sechsten Mal stattfindende Festival Jerusalem Season of Culture (JSOC) sich diesmal der Religion als Hauptthema widmet, unter dem Titel „Mekudeshet“, was so viel wie „heilig“ oder „geheiligt“ bedeutet. Religion im Mittelpunkt eines Kulturfestivals? Nachdem es sich zuletzt politischen Themen wie der Immobilienspekulation gewidmet hatte, muss das geradezu als Verbeugung vor dem unwandelbaren Charakter Jerusalems als Heiliger Stadt gedeutet werden, verehrt in allen drei monotheistischen Weltreligionen.

Festivalmacher hoffen auf Religion als einigendes Band

Religion trennt, das erlebt Jerusalem jeden Tag. Aber Religion könnte auch ein einigendes Band sein, so jedenfalls hoffen es die Festivalmacher und nennen es einen „Glaubensakt“. Im Mittelpunkt des diesjährigen, zum Glück in den etwas weniger heißen September verlegten Festivals steht „Amen, ein Haus des Gebets für alle Gläubigen“, wie das ansonsten der Musikakademie dienende Gebäude unterhalb des Berges Zion derzeit heißt. Gläubige und Geistliche, zu gewissem Grad auch Repräsentanten der drei auf Jerusalem blickenden Religionen arbeiten seit einem Jahr daran, eine gemeinsame, während des Festivalmonats allabendlich zelebrierte Form von Andacht, Gebet, Musik und vor allem gemeinschaftlichem Gesang mit dem Publikum zu finden.

Das hat etwas von Urgemeinde, denn kein Teilnehmer der stets bis auf den letzten Platz gefüllten Veranstaltungen wird nach Glaube und Bekenntnis, nach Riten und symbolischen Bezeugungen gefragt. In dreisprachigen Programmheften werden Gedichte, Schriftquellen, Psalmen mitgeteilt, zum Mitlesen, Mitsingen und vor allem: zum Mitfühlen. Natürlich hat es etwas Einzigartiges, Rabbis, Scheichs und Franziskanermönche gemeinsam wirken zu sehen und zu hören; inwieweit jedoch die Hoffnung trägt, das Empfinden glaubensfester „Einheit“ möge in die Gemeinschaften der jeweiligen „Repräsentanten“ ausstrahlen, wird sich kaum feststellen lassen. Hoffnung, ja.

Führung zur Rolle der Religion im Stadtgefüge

Ganz konfliktfrei kann es in der Vorbereitung des Festivals nicht zugegangen sein; ein erklärter Linksliberaler, ein „Säkularer“ wie Eran Tzidkiyahu sieht Religion eher als Urgrund stadträumlicher Konflikte. Seine Führung durch die Altstadt mit ihren vier nicht förmlich, aber fühlbar abgezirkelten Quartieren folgt nicht den ausgetretenen Pfaden der Tourismusbranche. An einer für den Besucher kaum erkennbaren, vermeintlichen Kleinigkeit wie dem verschlungenen Weg, den die palästinensischen Schulkinder nehmen, um der jüdischen Klagemauer unterhalb des seinerseits moslemischen Tempelbergs möglichst fern zu bleiben, zeigt Tzidkiyahu die Rolle der Religion im Stadtgefüge. Oder an der Eifersucht, mit der gläubige Juden das Grab König Davids aufsuchen, seit Papst Johannes Paul II. den darüber liegenden Saal des Letzten Abendmahls besucht hat und eine „Re-Christianisierung“ der von den Kreuzfahrern in gotischen Formen ausgebauten, später als Moschee und Synagoge genutzten Stätte zu drohen scheint.

Ariel Levinson kommt von der „Säkularen Yeshiva“, der einzigen säkularen Talmudschule Israels – eigentlich ein Widerspruch in sich –, und hat mit seinen Mitstreitern der Künstlergruppe „Out of Zion“ den Zion-Platz im Herzen West-Jerusalems mit mobilen Obstbäumen und Sitzgelegenheiten aus gehärtetem Lehm neu gestaltet. Für das ungeübte Auge eine Inbesitznahme öffentlichen Raums, an dieser Stelle aber die Akzentuierung einer stets als Ausgangs- oder Zielpunkt von Demonstrationen unterschiedlichster politischer Couleur genutzten, im Übrigen formlosen Platzfläche. Im vergangenen Jahr kulminierten hier die Proteste nach der tödlichen Attacke auf die Gay Pride Parade – die, so wird erzählt, in diesem Jahr mit 25 000 Besuchern die zehnfache Teilnehmerzahl verzeichnete.

Es ist schwer, palästinensische Mitarbeiter für das Festival zu gewinnen

Gegenüber, auf dem Flachdach eines hippiesken Hostels, berichtet Sara Weill, die aus Kalifornien stammt, wie sie ihre Homosexualität in die Suche nach dem eigenen Judentum und das Studium der Schrift integriert hat – wo anders als in Jerusalem, wo die Frage nach der spirituellen Heimat zugleich die nach dem körperlichen Lebens-Mittelpunkt bedeutet.

Dialog der Religionen. Das Haus „Amen“, ein temporärer Gebetsort.
Dialog der Religionen. Das Haus „Amen“, ein temporärer Gebetsort.

©  Bernhard Schulz

Und damit die nach der Abgrenzung. Eine über Kopfhörer angeleitete Tour mit der stets proppenvollen Straßenbahn von West- nach Ost-Jerusalem und zurück hilft, räumliche Grenzen zu erkennen und zugleich zu überschreiten oder, in der Sprache des Festivals, „aufzulösen“. Ost-Jerusalem ist der arabische Teil der Stadt, von dem Touristen lediglich das innerhalb der seit 3000 Jahren immer wieder neu errichteten Stadtmauern gelegene „Muslim Quarter“ wahrnehmen - obenauf die golden schimmernde Kuppel der Felsendom genannten Moschee, die das Plateau des von den Römern zerstörten Tempels überragt, an dessen westlicher Stützmauer Juden seit 2000 Jahren beten oder eben den Verlust ihres Tempels be-„klagen“. Ost-Jerusalem dagegen ist ein weißer Fleck. Es ist ungeheuer schwer, palästinensische Mitwirkende für das Festival oder gleich welche Veranstaltung zu gewinnen, denn jedes Mitmachen, über jede noch so geringe Form von „Normalisierung“ wird von den palästinensischen Hardlinern als Legitimierung der israelischen Besatzung verstanden.

Die Palästinenserin Riman Barakat gehört zu denen, die diese Grenze überschreiten. Sie führt zu Kulturorten wie der Galerie Al Ma’mal gleich hinter der – osmanischen – Stadtmauer oder dem Buchladen mit weitgespanntem historisch-politischen Sortiment, den Mahmud Muna aparterweise im American Colony Hotel betreibt, dieser Enklave in Ost-Jerusalem aus Zeiten der britischen Mandatsverwaltung. Dort ist auch das Palestine Heritage Museum zu finden, das die Erinnerung an die im ersten Nahostkrieg 1948 ausradierten Dörfer wachhält – gegen die Losung der jüdischen Siedler zur britischen Zeit, Palästina sei „ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“.

Mekudeshet reißt sich von geistigen Ketten los

Geistige Grenzen überall: Bei der Festival-Veranstaltung „Neu Justieren“ im Van Leer Institut für Geistes- und Sozialwissenschaften spricht Mohammed Dajani Daoudi, der seine Professur an der 1984 in Ost-Jerusalem gegründeten Al-Quds- Universität aufgeben musste, weil er als erster palästinensischer Wissenschaftler mit Studenten eine Reise nach Auschwitz unternommen hatte, „um die jüdische Psyche zu verstehen“. Das verstanden die palästinensischen Notabeln gar nicht.

Programmwechsel: Mitten in der Nacht versammeln sich die tanzenden Derwische im „Amen“-Haus. Es heißt, sich einzulassen auf den Mystizismus der Sufis, die innerhalb des politisierten Islam einmal mehr in eine Außenseiterrolle gedrängt sind. Es ist überhaupt das Festival der Außenseiter, derjenigen nämlich, die sich außerhalb des eisenhart verteidigten Mainstream der jeweiligen Religion bewegen. „Du hast mich von meinen Ketten befreit“, heißt es in Psalm 116, dessen Text zum Abend der „Sufi Zikr-Zeremonie“ verteilt wird. Sich von geistigen Ketten loszureißen, ist nicht leicht. Das Festival Mekudeshet unternimmt es. Voller Idealismus, gewiss; aber anders ist dieser unwirklichen Stadt Jerusalem wohl nicht beizukommen, und ebenso wenig dem heutigen Zustand der Welt.

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