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Der Infowars-Gründer Alex Jones wurde zu einer Strafe von fast einer Milliarde Dollar verurteilt.

© dpa / Tyler Sizemore/dpa

Kolumne „Spiegelstrich“: Fatale Fehler

Die schlimmsten Fehler werden aus Kalkül begangen. Und wegen des Glaubens an die eigene Unverwundbarkeit. So wie im Fall Alex Jones.

Eine Kolumne von Klaus Brinkbäumer

Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

In der Welt des Sports heißt es, die schlimmsten Fehler seien jene, die zweimal oder immer wieder passierten. Aber das stimmt nicht. Die schlimmsten Fehler sind die aus Kalkül begangenen: Ich weiß, dass es gelogen ist, aber ich tue es trotzdem, weil es mich reich und berühmt macht. Die übelsten Fehler, das sind die bewussten, die zynischen.

Alex Jones macht Talk-Radio; immer wieder mal und derzeit sowieso ist Alex Jones auf Facebook und Twitter gesperrt, aber er findet Wege. Alex Jones ist ein bulliger Typ mit Bart, Glatze, dicken Oberarmen und rötlich erregtem Gesicht; seine Firma heißt „Infowars“.

Dass Leute wie Alex Jones tun können, was sie tun, hat mit amerikanischer Tradition und amerikanischem Recht zu tun. Die Redefreiheit, „freedom of speech“, im zweiten Verfassungszusatz festgeschrieben, impliziert seit Jahrhunderten auch Lügen, auch Rassismus, Xenophobie, Misogynie. Und 1996 verabschiedete der Kongress mit dem „Communication Decency Act“ jene heute berühmte „Section 230“, die festlegt, dass Internet-Plattformen nicht für Inhalte haften, die von ihnen verbreitet werden. Section 230 ermöglichte Facebooks Aufstieg und erschuf die Welt, in der wir heute leben.

Die Deep-State-Lüge: Die Regierung, das FBI, Hillary Clinton

Wie einst Rush Limbaugh oder Glenn Beck, wie heute Stephen Bannon oder Sebastian Gorka erahnte Alex Jones in dem weiten Feld der Lügen jede Menge Goldminen. Jones wurde dadurch bekannt, dass er nach Attentaten behauptete, alles sei ganz anders gewesen als in der offiziell behaupteten Wirklichkeit: 1995 in Oklahoma City, beim 11. September 2001 in New York City und Washington, 2013 beim Boston Marathon oder 2017 in Las Vegas – in Wahrheit, so raunte Jones, war es die Regierung. Das FBI. Hillary Clinton. Eine große Verschwörung. Um Amerika zu unterwandern. Und die weiße Rasse abzuschaffen.

„Wir hatten immer Fanatiker und Konspirationstheoretiker“, sagt mir die „New Yorker“-Kollegin Susan Glasser, „aber neu ist, dass Donald Trump, der Präsident persönlich, sie emporgehoben und geadelt und aus der fragmentierten Welt hervorgeholt hat.“

Sein grausames Meisterstück lieferte Alex Jones 2012, nach dem Massaker an der Sandy Hook-Grundschule von Newtown, bei dem 26 Menschen, darunter 20 Kinder, ermordet worden waren. „Niemand ist gestorben“, sagte Jones, „das waren Kinderschauspieler“. Jones erzählte, dass liberale Demokraten das Schulmassaker, dieses angebliche, erfunden hätten, um gegen das Recht auf Schusswaffen und die National Rifle Association, zu agitieren.

Absurd? Natürlich. Aber in den USA funktioniert so etwas (und inzwischen nicht nur dort). Das Echo war gewaltig. Jones trieb die Geschichte so weit, dass die Eltern der ermordeten Kinder angepöbelt wurden und beweisen mussten, dass Sohn oder Tochter tatsächlich tot seien. Dann zogen Eltern weg, wie Robbie und Alissa Parker, die jetzt in Seattle leben, 3000 Meilen entfernt vom Grab der Tochter.

Zur Methode der zynischen Lügner gehört normalerweise, dass sie abstrakte Gegner diffamieren, „die Regierung“ und „die Geheimdienste“, und davon ausgehen, dass diese kurz „Spinner“ murmeln und sich Wichtigerem zuwenden. Diesmal aber denunzierte Alex Jones gepeinigte Familien, und die fanden sich zusammen. Sie klagten vor Zivilgerichten, gewannen nun 950 Millionen Dollar, was Alex Jones ruinieren wird, wenn das Urteil die Revision übersteht (was es dürfte).

Der dümmste aller Fehler ist ja immer noch der Glaube an die eigene Unverwundbarkeit.

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