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Das Geld schmilzt dahin. Vorerst verlängert man am Feldberg den Winter mit Kunstschnee. Wie lange noch?

© picture alliance/Silas Stein/dpa

Klimawandel im Mittelgebirge: Schnee von gestern - das Ende des Wintersports

Der Feldberg im Schwarzwald gilt als Wiege des Skilaufs in Mitteleuropa. Doch Winter wird es immer seltener.

Die Geschichte, die bald ihr Ende finden könnte, beginnt am Ende eines sonnig kalten Februartages im Jahr 1891. Am Feldberg, im südlichen Schwarzwald gelegen, tritt ein Mann mit einem prächtigen Schnauzbart durch die Tür des Gasthauses Feldberger Hof, in den Händen zwei längliche, spitz zulaufende Holzlatten. Der Mann stellt sich vor, er sei Franzose, Dr. Robert Pilet, Diplomat, wohnhaft in Heidelberg.

Gerade sei er auf dem Feldberg gewesen, zehn Stunden habe er gebraucht, an den Füßen habe er die Holzlatten getragen. Die, so erfahren es die Menschen im Feldberger Hof, hatte er zuvor in Norwegen erstanden, wo man sie Ski nennt. Als habe jemand die Tragweite des Moments sofort erfasst, holen sie ihm das Gästebuch.

Es dauert ein paar Tage, bis Einheimische rund um den Feldberg die ersten eigenen Skier bauen und testen. Im selben Jahr gründen sie den Skiclub Todtnau, den ersten Deutschlands. Ein Schwarzwälder Bauer wittert ein Geschäft und produziert als erster Mensch der Welt Skier in Serie, „Marke Feldberg“, ein Kollege erfindet ein paar Jahre später den Skilift. Wie ein Virus verbreitet sich die Idee, mit Holzbrettern über den Schnee zu sausen – in Österreich, Italien, der Schweiz. Doch die Ursprünge liegen am Feldberg, der Wiege des Wintersports in Mitteleuropa. Es ist eine Erfolgsgeschichte.

Die Frage ist, wie lange noch.

Kunstschnee. Oder: technischer Schnee

Knapp 128 Jahre nach Pilets Erscheinen hat der Feldberg ein Problem bekommen. Das heißt: Skigebiete weltweit unter 1500 Metern Meereshöhe haben ein Problem. Sie liegen zu tief. Während sich das Klima erwärmt, verschiebt sich die Schneefallgrenze im Mittel nach oben. Dann fällt seltener Schnee und häufiger Regen. Dann werden Orte, deren Erbgut der Wintersport ist, zu Orten, die keinen Winter mehr kennen.

Am Feldberg stellt sich bereits heute die Frage: Lohnt es sich noch, auf Wintersport zu setzen?

An einem Donnerstag Anfang Dezember geht Adrian Probst, Chef des Liftverbunds Feldberg, über den Parkplatz am Seebuck, dem höchstgelegenen Hang im Skigebiet Feldberg. Zwei Lifte laufen an diesem Tag, der Tellerlift Resi und die Sechsersesselbahn, aus dem Hasenstall brummt Après-Ski-Musik, davor wünscht ein Schild einen guten Start in die Skisaison.

Kurz blickt Probst hinauf Richtung Bergstation. Lärm dröhnt den Hang hinab, er stammt aus 18 gelben Schneekanonen mit rotierendem Propeller, die ein Wasser-Luft-Gemisch in den Himmel blasen. Weil das Thermometer an diesem Tag minus drei Grad Celsius zeigt, wird daraus in der Luft Schnee. Kunstschnee. Oder, wie die Betreiber von Schneekanonenfirmen sagen: technischer Schnee.

Am Feldberg wird die Erderwärmung konkret

Vom Parkplatz tritt Probst ein in die warme Stube des Feldberger Hofs. Das Gasthaus, in dem einst Robert Pilet rastete, ist mittlerweile ein klimaneutrales Familienhotel mit Ponys, Hallenbad und Kletterhalle. Nur die Fotos an der Wand erinnern noch an jenen Nachmittag, an dem der französische Diplomat hier einkehrte. Probst, sportlich, 30 Jahre alt, bestellt Cappuccino, dann setzt er sich an einen der Tische in der Lobby. Er sagt: „Wir stehen mit dem Feldberg an einem historisch entscheidenden Punkt.“

Oft wird die Erderwärmung abstrakt genannt. Etwas, das weit weg stattfindet. Am Feldberg wird sie konkret. Menschen verlieren die Möglichkeit, ihrer Leidenschaft nachzugehen. Sie klammern sich nostalgisch an ein Früher, in dem sich die Baumwipfel bogen unter der Schneelast.

Knapp 500 Skigebiete wie den Feldberg gibt es in Deutschland. Nur die Zugspitze liegt so hoch, dass sie auf Dauer schneesicher sein könnte. Und die anderen? Sie könnten kapitulieren vor der Erderwärmung. Könnten nichts mehr investieren, das Geschäft austrudeln lassen. So hat es das Tiroler Skigebiet Grünberg vorgemacht. Dort haben sie die Lifte vor neun Jahren abgebaut. Die zweite Möglichkeit: Den Wintersport so lange retten, wie er zu retten ist.

Für Ersteres spricht der Klimaschutz. Weil ein Skigebiet CO2 ausstößt, beim Betrieb von Schneekanonen, Liften, Pistenraupen, vor allem aber durch Tausende Autos, in denen Skifahrer anreisen. Der Skifahrer zerstört, worauf er abfährt.

„Die ersten Pistenraupen sind elektrisch“

Adrian Probst, der Chef des Liftverbunds, sieht das mit dem Klimaschutz ambivalent. „Am Feldberg setzen wir auf Naturstrom, die ersten Pistenraupen sind bereits elektrisch. 80 Prozent des CO2-Ausstoßes des Skigebiets stammt von den Autos.“ Was es brauche, sei ein verbessertes Verkehrskonzept.

Immer wieder sieht er sich auch dem Vorwurf ausgesetzt, der Kunstschnee schade der Umwelt. Weil dem Berg dazu im Sommer wichtiges Wasser entzogen werden muss, um es in Speicherseen zu stauen. 30 Propellermaschinen und 80 Schneilanzen betreiben sie am Feldberg schon heute. Sieben Liter Wasser pro Sekunde fließen bei minus 10 Grad durch die Propellermaschinen, macht bei einem vollen Tag Laufzeit rund 600000 Liter Wasser, was dem Verbrauch eines 5000-Einwohner-Dorfs entspricht.

Rund 2000 Menschen hängen mit ihrer Existenz am Fortbestand des Skigebiets – und somit an Adrian Probst.
Rund 2000 Menschen hängen mit ihrer Existenz am Fortbestand des Skigebiets – und somit an Adrian Probst.

© Marius Buhl

Probst sagt: „Das Wasser wird nicht wirklich verbraucht, im Frühjahr fließt es in den Kreislauf zurück.“ Zudem helfe die künstliche Schneedecke, einen natürlichen Winter zu imitieren und damit die subalpine Vegetation des Feldbergs zu bewahren.

Während der Chef des Liftverbunds im Feldberger Hof spricht, kommen immer wieder Leute an seinen Tisch, die ihn begrüßen. Der Hoteldirektor des Feldberger Hofs will wissen, wie es mit der Hochschwarzwald-Card weitergeht, einer Karte, die Schwarzwald-Touristen ab der zweiten Übernachtung bekommen und mit der sie am Feldberg kostenlos Ski fahren können. Die Card ist ein Touristenmagnet, 140000 Menschen fuhren damit im vergangenen Jahr Ski. Doch dem Liftverbund fehlen dadurch Einnahmen in Höhe von bis zu fünf Millionen Euro. Noch ist nichts entschieden.

Sie brauchen das Geld der Touristen

Rund 2000 Leute sind es, die mit ihrer Existenz am Fortbestand des Skigebiets hängen, in Skischulen, Skiverleihen, Pensionen. Die Gemeinde Feldberg trägt die Ski im Wappen, die Skiclubs haben die mit Abstand höchsten Mitgliederzahlen. Probst sagt: „Es gibt neben der rein ökologischen Sicht auf die Dinge auch eine soziale und eine wirtschaftliche. Ich kann nicht zu denen gehen und sagen: Was ihr seit 100 Jahren macht, ist ab heute Quatsch, ihr wandert jetzt!“ Jeder Wintergast bringt dem Feldberg drei Mal so viel Wertschöpfung wie ein Sommergast.

Probst macht keinen Hehl daraus, dass sie das Geld am Feldberg brauchen – die drei am Liftverbund beteiligten Gemeinden sind verschuldet. Aber wie rettet man den Winter?

Um das herauszufinden, hat er einen Masterplan in Auftrag gegeben. Vier Büros und die Sporthochschule Köln sollen ihn bis zum Frühjahr 2020 erarbeiten. Herausfinden, wie man sich wappnet gegen den Klimawandel. „Die Resilienz der Angebote muss erhöht werden“, so sagt es Ralf Roth von der Sporthochschule Köln, verantwortlich für den Plan.

Als Basis soll aus der umständlichen, dreigeteilten Struktur des Liftverbunds eine Einheit werden. Dann könnte man investieren, momentan ist von rund 30 Millionen Euro die Rede. Neben dem Ausbau der künstlichen Beschneiung sollen die Liftanlagen modernisiert werden und eine Skibrücke verbreitert werden. Außerdem will Probst das sogenannte intelligente Flottenmanagement ausbauen. Pistenbullys sollen mit Schneehöhenmessung ausgestattet und mit den Kanonen gekoppelt werden. So könnten Schwachstellen in der Schneedecke ermittelt werden, die Beschneiung würde effektiver.

Das Phänomen der Schneeinsel

In der Lokalzeitung sorgte die kolportierte Summe bereits für Wirbel. „Die Investitionen am Feldberg sind eine Hochrisikoanlage auf Kosten der Einwohner“, sagte ein Umweltschützer vom BUND der „Badischen Zeitung“. Probst regte sich auf über das Interview: „Wenn ein Naturschützer wirtschaftlich argumentieren muss, halte ich ihn schon für enttarnt“, sagt er. Die Abschreibungszeiträume für Schneekanonen lägen bei unter zehn Jahren. „Und in zehn Jahren, da lege ich mich fest, können wir hier noch Ski fahren.“

Seine Berechnungen stützt Probst auch auf eine Faustformel. An grob 100 Tagen im Jahr müssen die Anlagen laufen, um das Gebiet rentabel zu halten. Letzten Winter waren es am Feldberg 132, der Rekord liegt bei mehr als 150. Und dann gibt es noch das Phänomen der Schneeinsel. Weil der Feldberg zwar im Vergleich zu den Alpen nicht sehr hoch liegt, im Vergleich zu den umliegenden Schwarzwaldgipfeln aber schon, könnten in der nahen Zukunft sogar mehr Gäste kommen als bisher. „Wir haben einen gewissen Puffer“, sagt Probst.

Langfristig, so sagt es Ralf Roth von der Sporthochschule, „wird sich der Feldberg als Ganzjahresgebiet für die aktive Erholung und landschaftsverträglichen Sport weiterentwickeln“.

Einzelne Bahnen könnten auch im Sommer Gäste transportieren. Was aber anbieten? Was soll aus dem Skiort Feldberg werden? Eine Wellness-Hochburg? Ein Senioren-Wanderparadies? Roth soll ausloten, was Sinn ergeben könnte.

Die Kunden müssen umgewöhnt werden

Probst besichtigte mit Kollegen neulich einen ganzjährig nutzbaren Speichersee im österreichischen Serfaus. Im Winter nutzen die Serfauser ihn für die Kanonen – im Sommer baden Kinder im Niedrigwasserbereich und Jugendliche springen vom Sprungturm. Ob der Feldberg über ausreichend Wasser verfügt und wo ein solcher See hinpassen könnte, untersucht derzeit ein Büro.

Und dann gibt es noch eine andere Strategie. Weil sich die Winter bislang vor allem nach hinten verschieben, statt zu verschwinden, ist Skifahren am Feldberg künftig wohl seltener an Weihnachten, dafür im Februar, März und April möglich. Grüne Weihnachten, weiße Ostern? Die Kunden müssten umgewöhnt werden. Einer, der dieses Konzept bereits verinnerlicht hat, ist der Skilehrer Tim Fritz.

Ein paar Tage nachdem die Schneekanonen donnerten, rieselt der Schnee wieder leiser am Feldberg. Über Nacht hat er Bäume und Liftmasten eingepackt, vom Himmel flockt es immer weiter. Fritz, 32, hat sich ein Snowboard auf den Rücken geschnallt, mit dem er jetzt zu Fuß bergauf geht, um durch den frischen Tiefschnee wieder abzufahren. Dann macht er es sich in der Bergwachthütte am Kamin bequem.

Sein Großvater gründete einst die erste Skischule am Feldberg, seine Mutter führte sie weiter, mit zwei stand er dort selbst zum ersten Mal auf Skiern. Fragt man ihn nach seiner Kindheit, antwortet er mit einer Anekdote. „Es gab da einen Jungen aus dem Dorf, Lorenz. Der hatte sich mal beide Arme gebrochen. Er konnte wochenlang nicht in die Schule kommen, aber jeden Tag war er am Skilift. Nachmittags kam auch der Lehrer. Der hatte vollstes Verständnis, dass Lorenz Ski fuhr.“

Wetter. Kein Klima

Als Fritz vor der Frage stand, ob er die Skischule seiner Mutter weiterführen möchte, entschied er sich dagegen. Stattdessen gründete er bergwärts eine Bergsportschule. „Wir versuchen, unseren Kunden das zu bieten, was eben da ist. Wenn Weihnachten grün ist, gehen wir biken oder machen einen Gleitschirmflug“, sagt Fritz. Und wenn der Feldberg schneefrei ist, in den Alpen aber frischer Schnee gefallen ist, dann fährt er mit Kunden auch in die Alpen.

Während Fritz erzählt, schneit es weiter, bis die Autos am Feldberg unter einer dicken Schneedecke liegen und sich manche nicht mehr aus den Parklücken manövrieren lassen. Der Beginn eines perfekten Winters?

Ein paar Tage später regnet es. Weihnachten laufen längst nicht alle Lifte, die offenen Pisten sind trotzdem voll. Silvester ist es sonnig bei acht Grad. Wetter, kein Klima. Und trotzdem Prognose.

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