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Auch zwei Jahre nach dem Militärputsch in Myanmar und trotz der Gewalt gibt die Demokratiebewegung nicht auf.

© action press/Chaiwat Subprasom / SOPA Images

Zwei Jahre Untergrundregierung in Myanmar: Der demokratische Staat im Staate

Seit zwei Jahren agiert in Myanmar neben dem Militärregime auch die demokratische „Einheitsregierung.“ Im Untergrund versucht sie, einen parallelen Staat aufzubauen – und ist damit beeindruckend erfolgreich. Eine Vision für den Vielvölkerstaat hat sie nicht.

„Sie sind unsere einzige Hoffnung“, sagt Arthur, wenn er an diejenigen denkt, denen er jeden Monat Geld überweist. „Für uns alle ist es im Moment schwer zu überleben. Aber wenn ich von meiner Arbeit als Unternehmensberater etwas übrighabe, schicke ich es der Volksbefreiungsarmee.“

Auch bei Freunden sammelt der 25-jährige Geld ein. „Es sind kleine Summen, aber viele kleine Summen machen am Ende etwas Großes.“ Um etwas Großes gehe es schließlich auch.

Als „Volksverteidigungsarmee“ bezeichnet sich der bewaffnete Arm des demokratischen Widerstands in Myanmar, wo sich im Februar 2021, drei Monate nach demokratischen Wahlen, das Militär an die Macht setzte. Auf Proteste gegen den Staatsstreich antwortete die Junta mit Gewalt.

3.200
Menschen sind in den vergangenen zwei Jahren mindestens von Soldaten der Militärjunta ermordet worden.

Soldaten schossen nicht nur auf Demonstranten, sie töteten auch in Krankenhäusern und Schulen. Mehr als 3.200 Menschen sind bereits gestorben. Längst ist in dem südostasiatischen Land mit seinen 54 Millionen Einwohnern auch der demokratische Widerstand bewaffnet.

Demokratiebewegung baut parallele Strukturen auf

Denn Myanmars Demokratiebewegung beansprucht – wie das Militär – die politische Führung im Land. Das Militär, das bereits seit den 1960er Jahren für ein halbes Jahrhundert regierte, baute in dieser Zeit ein riesiges Geflecht an Unternehmensbeteiligungen und Abhängigkeiten auf. Der demokratische Widerstand versucht nun, eigene staatliche Strukturen aufzubauen.

Die durch Spenden von Aktivisten finanzierte „Volksbefreiungsarmee“ ist nur ein Element von mehreren. Dahinter steht eine Art demokratische Schattenregierung.

Die „Nationale Einheitsregierung“ (NUG), wie sich das Führungskabinett der Demokratiebewegung nennt, arbeitet seit seiner Ausrufung im Untergrund am 15. April 2021 an einem bemerkenswerten Vorhaben: Die große Mehrheit der Burmesinnen und Burmesen, die laut dem letzten Wahlergebnis vorm Putsch eine Herrschaft des Militärs ablehnen, sollen statt den von der Junta dominierten Institutionen alternative Infrastruktur nutzen können – von öffentlicher Verwaltung über ein Gesundheitssystem bis zu Schulen und Universitäten.

Die NUG setzt sich maßgeblich aus Politikerinnen und Politikern zusammen, die bei der letzten Wahl ins Parlament gewählt wurden. Hinzu kommen Anführer mehrerer ethnischer Minderheiten.

Sogar in den vom Militär befreiten Gebieten besteht das Risiko, abgehört zu werden.

Soe Myint, Chefredakteur des unabhängigen Medienhauses Mizzima News

Im Gegensatz zum Militär hat sie also durchaus demokratische Legitimität. Und in ihren öffentlichen Erklärungen hat die NUG immer wieder betont: Sie will freie Wahlen, ein Parlament ohne Einmischung des Militärs und liberale Rechte für alle im Land.

Der Westen erklärt sich solidarisch, hilft aber nicht

„Bis jetzt sind sie auch recht erfolgreich“, sagt Soe Myint, Chefredakteur des führenden unabhängigen Medienhauses Mizzima News, der wie viele Journalisten nach dem Putsch das Land verlassen hat und jetzt von Thailand aus arbeitet.

„Die Militärjunta hat Ende Januar selbst zugegeben, dass sie die Hälfte des Territoriums von Myanmar nicht unter Kontrolle hat.“ Allerdings sind die Herausforderungen für die Schattenregierung riesig.

Ende März feierte sich Myanmars Militärjunta mit einer großen Parade.

© AFP/STR

Einerseits befinden sich nicht wenige der NUG-Mitglieder im Ausland. „Viele der Anführer sind auch quer über Myanmar verteilt“, sagt Soe Myint. „Deshalb ist es schwierig, sich zu treffen. Sogar in den vom Militär befreiten Gebieten besteht das Risiko, abgehört zu werden. Von zentraler Bedeutung ist daher das Internet.“

Hinzu kommen Angriffe. Erst am Dienstag beschossen Kampfflugzeuge des Militärs eine Versammlung im Norden, wo die Eröffnung eines Verwaltungsgebäudes gefeiert wurde. Etwa 100 Menschen wurden getötet.

Und die Gewalt dürfte kaum aufhören. Einerseits wird das Militär laut UN-Berichten vor allem von Russland und China mit Waffen versorgt. Andererseits hat die NUG das Problem, dass sie zwar in einigen Ländern der Welt inoffizielle Repräsentanzen unterhält, offiziell aber von keinem Staat anerkannt ist – wenngleich sich diverse westliche Staaten rhetorisch mit ihr solidarisieren.

Myanmar hat seit dem Zweiten Weltkrieg keinen richtigen Frieden gekannt.

Felix Girke, Kultur- und Sozialanthropologe

So muss die Demokratiebewegung ihre Waffen zu höheren Preisen auf dem Schwarzmarkt kaufen und hat keinen Zugang zu Geldreserven in Übersee.

Und selbst wenn das NUG über das Militär siegen sollte, wäre damit noch lange kein Frieden hergestellt. „Myanmar hat im Prinzip seit dem Zweiten Weltkrieg keinen richtigen Frieden gekannt. Es gab ja immer bürgerkriegsähnliche Zustände“, sagt Felix Girke, ein Kultur- und Sozialanthropologe an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz, der gerade ein Buch über das kulturelle Erbe Myanmars schreibt.

„Unübersichtlich viele ethnische Minderheiten sind selbst bewaffnet und versuchen, Kontrolle über ein Territorium zu erlangen.“

Und vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Diskriminierungspolitik – für die mehrere NUG-Vertreter als Teil der Regierung vor dem Putsch mitverantwortlich waren – sind viele Minderheiten zögerlich gegenüber den Vorhaben der Demokratiebewegung.

„Viele Akteure sind sich jetzt einig, dass das Militär eine große Bedrohung für ihre Interessen ist“, so Felix Girke. Aber mit dem Blick auf die Versprechen der NUG für eine Zeit nach dem Militär fehlen konkrete Zusagen, die Minderheitenrechte und Autonomie verschiedener Gruppen angeht: „Was da als positive Vision dahintersteht, ist noch immer nicht klar.“

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