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Ein Andenkengeschäft für Wojtyla-Fans im polnischen Wadowice (Archivbild von 2014)

© dpa/Eva Krafczyk

Update

Hat Johannes Paul II. Missbrauch vertuscht?: Polens Regierungspartei nutzt die Papst-Verehrung für Stimmenfang

Nach einer neuen Umfrage hat die Regierungspartei PiS Erfolg beim Versuch, Vorwürfe gegen Johannes Paul II. in die Nähe von Landesverrat zu rücken. Das Ziel der Empörung: die Opposition zu spalten.

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Welch ein Aufruhr um einen Toten! Aber dieser Verstorbene ist ja auch eine Ikone und hat 18 Jahre nach seinem Begräbnis noch eine Aura als Nationalheld, die die Wahl in Polen entscheiden kann. Zudem ist dies ja das Praktische an der irdischen Instrumentalisierung verstorbener Heiliger: Sie können sich hier auf Erden nicht mehr wehren.

Polens nationalpopulistische Regierungspartei PiS versucht die Verehrung, die Millionen Bürger für den von 1978 bis 2005 amtierenden Papst Johannes Paul II. empfinden, für ihren Wahlkampf zu nutzen. Sie wittert die Chance, mit diesem Thema die Opposition zu spalten. Und so die nach aktuellen Umfragen einzige Gefahr für ihren Machterhalt zu verhindern: eine gemeinsame Wahlliste der gesamten Opposition bei der Wahl im Herbst.

Zu diesem Zweck deutet die PiS eine ebenso berechtigte wie naheliegende Frage zu einem Skandal – ja: zu einem Sakrileg – um: Hat der spätere Papst Johannes Paul II., der vor seiner Wahl von 1964 bis 1978 Erzbischof von Krakau war, den sexuellen Missbrauch durch Priester vertuscht? Damals hieß er Karol Wojtyla. 2014 wurde er posthum heiliggesprochen.

Der damalige Erzbischof von Krakau, Kardinal Karol Wojtyla (r.) während einer Audienz bei Papst Johannes Paul I. im Jahr 1978. Nach dem plötzlichen Tod des Papstes wurde Karol Wojtyla am 16. Oktober 1978 zum neuen Papst gewählt.

© dpa/dpaweb/Uncredited

Nach einer neuen Umfrage hat die PiS Erfolg mit der Strategie, mit der „Verteidigung des guten Namens des Papstes“ Wahlkampf zu machen. 41 Prozent glauben, dass die PiS damit Stimmen gewinnt. 36 Prozent denken, dass die Frage keinen Einfluss auf das Wahlergebnis hat. 13 Prozent meinen, dass die Strategie der PiS schadet.

Polens Regierung rückt die Frage nach der Vertuschung in die Nähe von Vaterlandsverrat in Zeiten des Ukrainekriegs. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki behauptet: „Heute wird Krieg nicht nur jenseits unserer Ostgrenze geführt. Leider gibt es Milieus, die versuchen, bei uns in Polen einen nicht militärischen Krieg, einen Zivilisationskrieg auszulösen.“

Mit ihrer Mehrheit im Sejm, dem Parlament in Warschau, beschloss die PiS kürzlich, „den guten Namen des Heiligen Johannes Paul II.“ zu verteidigen und die „törichte mediale Hetzkampagne (gegen ihn) zu verurteilen“. Er sei „der bedeutendste Pole der Geschichte“.

Sejm-Präsidentin Elzbieta Witek erklärte den Papst kurzerhand zum Kern der nationalen Identität: „das, was uns vereint und zusammenhält“. Unabhängig vom Glauben verbinden ihren Worten zufolge vier „Insignien“ alle Polen: das Wappentier, „der weiße Adler, die weiß-rote Fahne, das Bild der Mutter Gottes von Tschenstochau und das Porträt Johannes Pauls II.“.

Nur die Linke wagte es, gegen den Antrag zu stimmen. Das liberale Oppositionsbündnis Bürgerkoalition (KO) nahm an der Abstimmung nicht teil. Zeichnet sich da die von der PiS erhoffte Spaltung der Opposition ab?

Brzezinski reicht als Held nicht an den Papst heran

Die Inszenierung breiter Empörung hatte damit aber noch kein Ende. Das Außenministerium bestellte den amerikanischen Botschafter Mark Brzezinski ein. Denn der Sender tvn, der eine Stimme der Opposition ist und dem US-Medienkonzern Discovery Channel gehört, hatte in einer Dokumentation die Frage gestellt: Was wusste Erzbischof Wojtyla über den sexuellen Missbrauch durch Priester, und wie verfuhr er mit den Tätern?

Das ist eine pikante Konstellation. Auch für die USA empfinden Millionen Polen großen Respekt. Ebenso für Zbigniew Brzezinski, den Vater des Botschafters. Auch er hat Heldenstatus. Als Emigrant stieg er zum Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter auf und blieb danach ein geostrategischer Orientierungspunkt im Kalten Krieg.

An die Nationalhelden-Aura eines Johannes Paul II. reicht Brzezinski freilich nicht heran. Und so musste sich sein Sohn, der US-Botschafter, Vorwürfe der PiS-Regierung anhören: Der den USA zuzurechnende Sender tvn beteilige sich an Aktivitäten, die „mit den Zielen eines hybriden Krieges identisch sind, der Spaltungen und Spannungen in der polnischen Gesellschaft herbeiführen soll“. Die PiS wollte der Oppositionsstimme tvn 2021 die Sendelizenz entziehen. Sie scheiterte damit jedoch.

Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch in Tschenstochau im Jahr 1979

© dpa/Uncredited

Kann das Kalkül der PiS aufgehen, mit der Empörung über Zweifel am polnischen Papst Stimmen zu fangen? In vielen Ländern steht die Kirche unter Druck, Missbrauchsfälle aufzuklären und ihr früheres Handeln transparent zu machen. Auch in Polen ist das erschreckende Ausmaß des Missbrauchs durch Priester keine Neuigkeit mehr. Es ist in Kinofilmen und Youtube-Videos dokumentiert, die Millionen Polen gesehen haben.

Die Kirche verliert seit Jahren an Ansehen, weil sie sich weder zu Schuldbekenntnissen noch zu einer transparenten Aufklärung durchringen kann. Dieser Autoritätsverfall ist in der städtischen Bevölkerung besonders groß. Auf dem Land, wo ein Großteil der PiS-Wähler wohnt, freilich weniger.

Brisantes Buch erhebt Vorwürfe gegen Joahnnes Paul

Zum aktuellen Medieninteresse trägt ein Buch des niederländischen Journalisten Ekke Overbeek über den Missbrauch in der polnischen Kirche bei. Der Titel: „Maxima culpa. Johannes Paul II. wusste Bescheid“.

Der Druck hat das polnische Episkopat nun veranlasst, eine Untersuchung anzukündigen. Das Vertrauen, dass daraus eine gründliche Aufarbeitung wird, ist gering.

Johannes Paul II. war der bedeutendste Pole des 20. Jahrhunderts.

Adam Michnik, Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“

Im Grunde sind die Erkenntnisse über Erzbischof Wojtyla nicht besonders explosiv. Er hat Missbrauch, von dem er erfuhr, nicht ignoriert. Er hat kirchenintern reagiert, aber die Fälle nicht nach außen publik gemacht. Priester wurden strafversetzt, durften jedoch anderswo weiterarbeiten. Nach heutigen Maßstäben darf man das eine Vertuschung nennen.

Adam Michnik, Chefredakteur der liberalen „Gazeta Wyborcza“, der wichtigsten Oppositionszeitung, wendet jedoch ein, man müsse das Vorgehen des Kardinals Wojtyla aus seiner Zeit heraus verstehen und dürfe es nicht nach heutigen Maßstäben beurteilen. Damals, in den 1960er und 1970er Jahren, haben Kirchen Missbrauchsfälle überall intern geregelt, ob im freien Westen oder im kommunistischen Osten.

Michnik nennt es „inakzeptabel, den polnischen Papst nur auf die Pädophilieskandale zu reduzieren. Was für uns heute selbstverständlich ist, war vor 40 Jahren nicht selbstverständlich.“

Er habe vor 40 Jahren auch noch nicht für die Rechte von LGBT-Personen gekämpft, sagt Michnik. Er ist der Kirche dankbar, dass sie ihm und anderen Dissidenten einen Raum für Opposition gab. Auch Michnik bekräftigt: „Johannes Paul II. war der bedeutendste Pole des 20. Jahrhunderts.“

Anfang März wurde ein Porträt des ehemaligen Papstes an die Fassade des polnischen Präsidentenpalastes projiziert.

© dpa/PAP/Andrzej Lange

Als Belege für ihre Erkenntnisse über das Vorgehen des Erzbischof Wojtyla dienten dem Buchautor Overbeek und der tvn-Dokumentation Agentenberichte aus den Archiven der kommunistischen Geheimpolizei. Die nutzte Informationen über Missbrauch durch Priester, um diese unter Druck zu setzen und als Spitzel anzuwerben.

Es ist ein weiteres Beispiel, wie man einzelne Aspekte nach parteipolitischen Interessen ausschlachten kann. Warum soll man Akten der Geheimpolizei nicht nutzen, fragen die liberalen Aufklärer. Zumal Polens Kirche den Zutritt zu ihren Archiven für solche Recherchen verweigert.

6
Monate sind es noch bis zur Parlamentswahl in Polen.

Die PiS nutzt den Umstand hingegen, um die Erkenntnisse über die Rolle des späteren Papsts zu kontaminieren: Wer Akten der kommunistischen Dienste nutze, mache sich gemein mit dem Unterdrückungssystem, das „unseren geliebten Papst“ ermorden wollte. Dies ist eine Anspielung auf das Attentat auf Johannes Paul II. 1981 durch Ali Agca, der im Auftrag des sowjetischen KGB gehandelt haben soll.

Der Umgang der Kirche mit Missbrauch ist vielerorts in Europa ein Thema. Polen sticht jedoch heraus mit dem Versuch, daraus parteipolitischen Nutzen im Wahlkampf zu ziehen. Strategisch verfolgt die PiS mit der inszenierten Empörung zwei Ziele. Sie mobilisiert die ältere, kirchennahe Klientel in den Dörfern, die traditionell PiS wählt.

Und sie spaltet die Opposition. Nach aktuellen Umfragen gibt es nur einen Weg, wie die Opposition der PiS die Regierungsmacht bei der Wahl im Herbst streitig machen kann: Dafür müsste die gesamte Opposition von den linken Sozialisten über die liberale PO bis zur konservativen Bauernpartei PSL auf einer gemeinsamen Wahlliste antreten. Kandidierten sie alle getrennt, würde die PiS die Macht verteidigen.

Beim Sejm-Antrag zur Verteidigung des guten Namens des Papstes ist die Spaltungsstrategie schon mal aufgegangen: Die Sozialisten stimmten dagegen, die KO stand abseits.

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