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Ein zerstörter russischer Panzer (Symbolbild)

© Reuters/RFE/RL/Serhii Nuzhnenko

„Wir werden zur Schlachtbank geführt“: Russische Strafgefangene berichten vom Grauen in der russischen Armee

Russland rekrutiert für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch Strafgefangene. In Frontberichten beschreiben sie ihr Dasein als Soldaten zweiter Klasse.

Die Strategie der russischen Armee ist stark auf die Nutzung ehemaliger Häftlinge als Kanonenfutter aufgebaut. Die Mitglieder dieser aus Ex-Sträflingen bestehenden Einheiten werden wie Soldaten zweiter Klasse behandelt, berichtet die „New York Times“, unter Berufung auf einige dieser Kämpfer.

„Wir sind für sie keine Menschen, weil wir Kriminelle sind“, beschreibt Aleksandr den Umgang der Kommandeure mit den ehemaligen Häftlingen. Er habe sich im März gemeldet, um für Russland gegen die Ukraine zu kämpfen. Nur kurz nachdem er eine lange Haftstrafe wegen Mordes erhalten habe.

Erst im Februar hatte das russische Verteidigungsministerium spezielle Gefangeneneinheiten gegründet. Wer sich den „Storm Z“-Truppen anschloss, dem wurde eine Begnadigung versprochen, sollte er sechs Monate an der Front überleben. Zudem wurde ihnen ein Gehalt von 2000 US-Dollar und Kompensation bei Verletzung oder Tod versprochen. Kurz vorher hatte die Söldnertruppe Wagner ihre Gefangenenrekrutierung gestoppt.

Aus Angst vor der Haft an die Front

Aleksandr habe sich der Armee angeschlossen, weil er im Gefängnis Angst um sein Leben gehabt hätte, zitiert die „NYT“ aus seinen Nachrichten. Starb ein Soldat an der Front, sei er auch schon mal liegen gelassen worden, erklärte er. So hätten die Befehlshaber verhindern wollen, Kompensation an die Hinterbliebenen zu zahlen.

Aleksandr ist einer der ehemaligen Gefangenen, dessen Frontberichte die „New York Times“ einsehen konnte. Zum Schutz ihrer Identitäten bleiben Nachnamen und Ränge geheim. Die Zeitung gibt an, die Geschichten unter anderem mit Interviews von Freunden und Bekannten verifiziert zu haben.

„Überall lagen Leichen“, berichtet Aleksandr, der offenbar an der Front am Fluss Dnipro eingesetzt war. „Niemand war daran interessiert, sie einzusammeln.“ Unklar ist, wie viele Tote die Gefangenen-Einheiten zu beklagen haben, gleiches gilt für die Anzahl an Rekruten aus russischen Gefängnissen.

Eine Recherche, die die britische BBC gemeinsam mit dem unabhängigen russischen Newsportal „Mediazona“ durchgeführt hat, hat jedoch ergeben, dass Gefangenen-Einheiten die meisten Opfer auf russischer Seite zählen. „Wir werden zur Schlachtbank geführt“, wird Aleksandr zitiert.

Zum Vergleich: In der Söldnertruppe Wagner sollen 78.000 Männer gedient haben – 49.000 davon Sträflinge –, wie ein Wagner-Kommandeur im Juli auf Telegram schrieb. Gestorben seien etwa 22.000 Kämpfer. Der damalige Söldnerchef Jewegni Prigoschin hatte aber bereits im Mai mitgeteilt, dass 10.000 Gefangene in den Reihen von Wagner gefallen seien.

Alle Häftlinge, deren Front-Berichte die „NYT“ erhielt, hätten von „kolossalen Verlusten in ihren Einheiten und von der offensichtlichen Missachtung ihres Lebens durch ihre Kommandanten“ berichtet, schreibt die Zeitung.

Tagelang ohne Nahrung

Aleksandr sei am Ostufer des Dnipro eingesetzt gewesen, als die ukrainischen Streitkräfte Versuche unternommen haben, den Fluss zu überqueren, heißt es in dem Bericht. Seine Einheit habe nur einen Befehl erhalten: an ihren Postionen auszuharren. Schwere Waffen, um die Angriffe der Ukrainer zurückzustoßen oder sich zu verteidigen, hätte man ihnen aber verwehrt.

„Ich renne mit einem automatischen Gewehr herum wie ein Idiot. Ich habe nicht einen einzigen Schuss abgegeben, ich habe keinen einzigen Feind gesehen“, zitiert die „NYT“ aus einer Sprachmitteilung eines ehemaligen Kameraden von Aleksandr. Er soll inzwischen tot sein. „Wir sind nur ein Köder, um ihre Artilleriestellungen zu entlarven.“

Dreieinhalb Wochen hätten sie unter konstanter ukrainischer Bombardierung ausgeharrt, schreibt die Zeitung. Seine Einheit habe tagelang ohne Nahrung und Wasser auskommen müssen, heißt es in Aleksandrs Bericht.

Nach der Bitte um Ablösung seien sie noch weiter erniedrigt worden. Zudem würden Häftlinge dazu gezwungen, sich nach Ablauf ihrer sechsmonatigen Dienstzeit – nach der ihnen eigentlich Freiheit versprochen wurde – ein weiteres Jahr zu verpflichten. (Tsp)

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