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Trotz der regionalen Spannungen geht der Alltag in Niamey anscheinend  relativ ruhig weiter.

© AFP/-

Wie geht es weiter nach dem Putsch im Niger?: „Alle wollen ihr Gesicht wahren“

Verstrichene Ultimaten, unnachgiebige Junta: Das Treffen der Westafrikanischen Wirtschaftsunion am Donnerstag wird mit Spannung erwartet. Zwei Experten zu möglichen Szenarien.

Zwei Wochen nach dem Putsch in Niger ist unklar, wie es mit der Krise in Westafrika weitergeht. Mit Spannung wird daher das Treffen der Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas am Donnerstag erwartet.

Ein Ultimatum der Gruppe war am Sonntag abgelaufen. Darin wurde die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung und die Wiedereinsetzung des gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum gefordert und eine Militärintervention angedroht. Bisher gibt es aber auch keine Vermittlungsgespräche, da die Junta afrikanische Emissäre nicht empfängt.

Nur die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland konnte am Montag mit dem neuen Stabschef der Streitkräfte, Moussa Salao Barmou, und drei weiteren Mitgliedern der Militärjunta zusammentreffen.

Genau darin sieht der Leiter und Gründungsdirektor des Timbuktu Institute/African Center for Peace Studies in Senegal, Bakary Sambe, einen Hoffnungsschimmer: „Die USA haben mit dem Besuch klargemacht, dass sie einen Flächenbrand in der Region verhindern und eine Rolle bei der Konfliktlösung spielen wollen“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das sei umso wichtiger, als die Putschisten in Niger sich offensichtlich hartnäckig weigern, mit Vertretern der Ecowas zu sprechen.

Beobachter vermuten, das könnte auch daran liegen, dass Frankreich die harsche Reaktion der Westafrikanischen Wirtschaftsunion inklusive der Gewaltandrohung zu öffentlich unterstützt. Angesichts der anti-französischen Stimmung in den Bevölkerungen Westafrikas, die von den Putschisten geschickt geschürt wird, ist das möglicherweise kontraproduktiv. Nicht nur Bakary geht davon aus, dass die Androhung einer Militärintervention in Niger mit den westlichen Partnern abgesprochen war.

Aber auch die EU kann seiner Ansicht nach derzeit keine entscheidende Rolle spielen: „Europa ist in den Sahel-Ländern wie ein Zug, dessen Lokomotive Frankreich war“, sagt Sambe. Nun sei die Lokomotive entgleist und die restlichen Waggons suchten eine neue Anbindung.

Nach dem Verstreichen des Ultimatums der Ecowas konnte man den Eindruck haben, dass sich der nigerianische Präsident Bola Tinubu, der seit zwei Monaten im Amt ist und derzeit den Vorsitz der Ecowas innehat, zu weit vorgewagt hat. Aber der Westafrika-Experte Sambe sieht gute Gründe für Nigeria, härter als bei den Putschen in Mali und Burkina Faso zu reagieren: „Wir reden hier vom Hinterhof Nigerias.“

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Beide Länder hätten eine 1600 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Eine Krise im Nachbarland könnte zu Massenfluchten führen – in Regionen Nigerias, die durch die Präsenz von Boko Haram bereits destabilisiert seien. Daher ist es laut Sambe verständlich, „dass Nigeria hier einen schärferen Ton angeschlagen hat“.

Die Ecowas hat keine unmittelbare Handhabe, den Putsch selbst umzukehren.

Niklas Krösche, Experte für regionale Sicherheitspolitik in Afrika

Der Sicherheitsexperte für Afrika, Niklas Krösche, sieht die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft in einer „äußerst verzwickten Lage“. Denn „jede Reaktion der Ecowas – ob hart oder weich – wäre negativ ausgelegt worden, wenn sie nicht zu einer Umkehr des Coups führt“, sagt Krösche, der am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg tätig ist, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Den Putsch so stehenzulassen, stelle weiterhin keine echte Option dar. „Doch hat die Ecowas keine unmittelbare Handhabe, den Putsch selbst umzukehren.“

Hinzu kommt, dass sich die zunächst relativ klare Position der Ecowas und Nigerias, dessen Armee die Hauptlast einer Militärintervention tragen würde, durch innen- und außenpolitische Entwicklungen verkompliziert hat. Der nigerianische Senat hatte eine Militärintervention abgelehnt, angeführt von den Senatoren aus dem Norden des Landes, wo kulturelle und ethnische Verbindungen über die Grenze zu Niger hinweg eine große Rolle spielen.

Der nigerianische Präsident Bola Ahmed Tinubu bekommt Widerstand im eigenen Land gegen eine mögliche Militärintervention in Niger.

© dpa/SUNDAY AGHAEZE

Und der senegalesische Wissenschaftler Sambe weist auf die vielleicht überraschendere Kehrtwende Algeriens hin, das ebenfalls an Niger angrenzt und einen Angriff auf das Nachbarland als „direkte Bedrohung für Algerien“ bezeichnet hatte. Einige Beobachter vermuten, dass Algerien damit die Position Russlands vertreten könne, das mit seinen offiziellen oder Wagner-Truppen in Mali oder Burkina Faso, die mit den Putschisten in Niger kooperieren, nicht in einen offenen Krieg mit der Ecowas geraten möchte.

Die Afrikanische Union hält sich zurück

Auch von der Afrikanischen Union (AU), deren Ultimatum zum Rückzug der Militärs in Niger in ihre Kasernen am Sonntag ausläuft, erwarten beide Experten keine neuen Impulse. Denn es gelte das Prinzip der Subsidiarität: jene Organisation, die am nächsten dran ist, widmet sich der jeweiligen Krise. „Die jetzige Krise fällt relativ eindeutig in den primären Zuständigkeitsbereich der Ecowas“, sagt Krösche. Daher hält er es für wahrscheinlich, dass die Afrikanische Union bis auf Weiteres die Ecowas öffentlich stützen wird, um so zu demonstrieren, dass die Junta auch außerhalb Westafrikas isoliert ist.

Es wäre sehr, sehr schwierig, den abgesetzten Präsidenten Bazoum in Niger wieder einzusetzen.

Bakary Sambe, Leiter des Timbuktu Institute in Dakar (Senegal)

Wie könnte es also weitergehen? Der Sicherheitsexperte Krösche analysiert, dass „eine gesichtswahrende Lösung, auf die sich alle Beteiligten verständigen können, zurzeit in weiter Ferne scheint“. Laut Sambe wäre es „sehr, sehr schwierig“, den abgesetzten Präsidenten Bazoum in Niger wieder einzusetzen. Denn der Unmut der Bevölkerung in Niger richte sich nicht nur gegen ihn als Person, sondern gegen das gesamte System seiner Partei, der Nigrischen Partei für Demokratie und Sozialismus (PNDS-Tarayya), die seit 2011 alle Präsidenten und Premierminister gestellt hat.

Dennoch hat die Ecowas laut Krösche „kaum eine Alternative zum Aufrechterhalten oder Ausweiten des Drucks“, solange keine Forderung ansatzweise erfüllt sei. Gleichzeitig sei das Eskalationspotenzial unterhalb der Schwelle einer militärischen Intervention vergleichsweise gering.

Ecowas stecke daher in einer „no-win“-Situation. „Eine denkbare Option ist es, den Druck aufrechtzuerhalten oder so weit wie möglich auszubauen in der Hoffnung, dass dies zeitnah Türen zu echten Verhandlungen öffnet“, meint Krösche. „Einen zwischenstaatlichen Krieg halte ich weiterhin für äußerst unwahrscheinlich.“

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