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Die Stadt Mitrovica ist immer wieder Schauplatz serbisch-kosovarischer Spannungen.

© AFP/Armend Nimani

Westbalkangipfel in Tirana beginnt: Zur Aussöhnung zwischen Serbien und Kosovo reicht es nicht

Die verfeindeten Länder brauchen einen Ansatz wie Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Gastbeitrag.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine vor mehr als neun Monaten fordert auch die europäische Sicherheitsarchitektur heraus – und damit kam die anhaltend eisige Beziehung zwischen dem Kosovo und Serbien zurück auf die Agenda der westlichen Diplomatie. Man will Spannungen zu vermeiden, die zu neuen Konflikten auf dem westlichen Balkan führen könnten.

Beide Länder haben offen ihre Ambitionen auf einen EU-Beitritt geäußert, und Brüssel bemüht sich seit 2011 bereits um einen Dialog. Seitdem wurden viele Abkommen unterzeichnet – zu Freizügigkeit, Energie, Anerkennung von Diplomen und anderen Themen –, aber keins, das Grundlage für einen langfristigen Frieden sein könnte.

Stattdessen wurde im Laufe der Jahre klar, dass ohne eine ausdrückliche Anerkennung der Staatlichkeit des Kosovo durch Serbien (die es bisher nicht gibt) und ohne Reue für die vom serbischen Staatsapparat in den 1990er Jahren begangenen Gräueltaten im Kosovo ein dauerhafter Frieden eine Illusion bleibt.

Ein offizielles Dokument gibt es nicht, aber Details sind trotzdem bekannt

Unter dem Eindruck des russischen Kriegs und der serbischen Indifferenz dem gegenüber hat die deutsch-französische Diplomatie nun einen neuen Plan vorgelegt, um die EU-Diplomatie zu unterstützen (auch wenn der EU-Außenbeauftragte Josep Borell darauf besteht, dass Berlin und Paris nur den EU-Plan unterstützt haben und die EU die Urheberschaft an dem Plan behält).

Bis heute wurde dazu kein offizielles Dokument veröffentlicht, aber in den Medien kursierten Auszüge, und da alle Parteien die Existenz des Plans zugeben, ist sein Inhalt kaum mehr ein Geheimnis. Die Kernpunkte sind: Kosovo und Serbien verpflichten sich zu einer friedlichen Beziehung zueinander.

Die Bemühungen des Kosovo, internationalen Organisationen beizutreten, würden von Serbien nicht behindert. Symbole und Dokumente würden von beiden Seiten anerkannt. Allerdings sieht der Plan weder eine ausdrückliche gegenseitige Anerkennung noch eine Entschuldigung Serbiens für die in den 90er Jahren begangenen Kriegsverbrechen vor – auf die der derzeitige Premierminister des Kosovo, Albin Kurti, gegenüber Belgrad immer wieder gedrängt hat.

Die Kosovo-Serben belasten die Beziehungen der Länder seit langem

Zugleich würde der Kosovo sich verpflichten, eine „Selbstverwaltung“ der Kosovo-Serben durch die Gründung der Vereinigung der Gemeinden mit serbischer Mehrheit (ASM) zuzulassen – ein Problem, das die Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien seit Jahren begleitet.

Sollte sich der Vorschlag durchsetzen, dürfte es für Kurti schwierig werden, die ASM in der Verfassung des Kosovo unterzubringen, ohne deren autonomen Charakter außen vor zu lassen, und zugleich den multiethnischen Charakter des Landes zu verteidigen. Und ebenfalls schwierig wird es, den Bürgern des Kosovo und vor allem seinen Wählern zu vermitteln, dass er damit nicht das seit langem erklärte Ziel des Dialogs mit Serbien – nämlich „eine Vereinbarung, die auf gegenseitiger Anerkennung beruht“ – aufgibt.

Der kosovarische Präsident Kurti steht dem Plan positiv gegenüber.

© REUTERS/Florion Goga

Dennoch war es Kurti, der sagte, dass der deutsch-französische Plan eine gute Grundlage für das Abkommen darstelle, während sich die serbische Führung skeptisch über den Vorschlag äußerte.

Dabei wäre für den serbischen Präsidenten Alexander Vucic ein Abkommen, das die gegenseitige Anerkennung ausschließt, im Einklang mit seinem langjährigen Versprechen, den Kosovo nicht anzuerkennen, obwohl einige Teile des Vorschlags implizit die internationale Subjektivität des Kosovo anerkennen. Und die Gründung der ASM wäre für Vucic eine schnelle Lösung, da er immer noch sagen könnte, er habe den „Verlust“ des Kosovo verhindert und die Rechte der Kosovo-Serben geschützt.

Der Vorschlag würde (...) wieder Raum für eine feindliche Beziehung lassen.

Eraldin Fazliu, Journalist in Prishtina

Die Festlegung auf einen solchen Plan könnte von vielen als eine Win-Win-Situation angesehen werden, wenn so der eisige Status quo zwischen den Parteien zu schmelzen beginnt und Spannungen in der Region vermieden werden.

Doch trotz der guten Absichten: Der Vorschlag als solcher würde – weil er keine Antworten auf zentrale Fragen der Vergangenheit und der Zukunft, Fragen nach Kriegsverbrechen und gegenseitige Anerkennung gibt – wieder Raum für eine feindliche Beziehung lassen. Und es gibt bereits eine Reihe von Schnelllösungen, die nicht funktioniert haben.

Im Grunde braucht Kosovo-Serbien einen Plan, der auf exakt denselben Standards basiert, auf denen Deutschland und Frankreich ihre Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben. Die Anerkennung von Gräueltaten und Unrecht in der Vergangenheit, Kriegsreparationen und Respekt für die Opfer, die gegenseitige Anerkennung der Souveränität und der Verzicht auf territoriale Ansprüche gegenüber dem jeweils anderen.

Diese Elemente stehen für den Geist der europäischen Werte. Jede Vereinbarung, die nicht auf diese Werte ausgerichtet ist, kann nur zu einer kurzlebigen Stabilität, nicht aber zu einem langfristigen Frieden führen.

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