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„Meine Verfassung in 12 Punkten“ - ein Malier liest das Dokument von Militärmachthaber Assimi Goita, über das am Sonntag abgestimmt werden soll.

© AFP/SIA KAMBOU

Verfassungsreferendum in Mali : Die Angst vor der Macht des Präsidenten

Am Sonntag stimmt Mali über eine neue Verfassung ab. Seit langem wird darüber gestritten. Kann Militärregent Goita seinen Willen durchsetzen?

Ein Gastbeitrag von Bréma Ely Dicko

Am Sonntag sind die 8,4 Millionen Wahlberechtigten in Mali dazu aufgerufen, über eine neue Verfassung abzustimmen. Es ist ein wichtiger politischer Schritt auf dem Weg zur Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung des Landes, das seit zwei Putschen von einer militärischen Übergangsregierung geführt wird.

Doch der Verfassungsentwurf spaltet die Malier. Er wird in den Medien, in den Familien und auf der Straße hitzig debattiert.

Dabei geht es auch um die Reihenfolge der Etappen des Übergangs – ob zuerst ein demokratisch legitimierter Präsident gewählt oder eine neue Verfassung beschlossen wird.

Offiziell hat die Kampagne für ein Ja zur neuen Verfassung am 2. Juni begonnen. In Wirklichkeit erfolgte die Mobilisierung bereits früher, initiiert vom einem Kommitee im Ministerium für die Neugründung des Staates.

Sie wird durch die Mobilisierung einer Vielzahl von Vereinen und Unterstützungsbewegungen verstärkt. Trotz der intensiven Kommunikationskampagne, die von der Übergangsregierung über alle Medien geführt wurde, bleibt die Gesellschaft in dieser Frage tief gespalten.

Die Gegner des Verfassungsreferendums pochen darauf, dass die zunächst in Aussicht gestellte Präsidentschaftswahl zu einem festgelegten Zeitpunkt stattfindet.

Die politischen Parteien, die das Referendum ablehnen, sprechen den herrschenden Militärs der Übergangsführung die Legalität und Legitimität ab, eine neue Verfassung zu schreiben. Zumal die demokratische Verfassung vom 25. Februar 1992 nie ausgesetzt wurde. Sie fürchten, dass das angestrebte Präsidialsystem den Staatschef zu einer Art Monarch, zu einem Superman macht.

Denn die Macht des Premierministers und der Regierungsmitglieder werde eingeschränkt, da sie nicht mehr gegenüber der Nationalversammlung verantwortlich sein würden, lautet die Kritik. Die Unabhängigkeit des Obersten Richterrates werde aufgehoben. Auch die Vorrechte des Präsidenten bei der Ernennung von Botschaftern, Mitgliedern des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofs sehen sie kritisch.

Oberst Assimi Goita hat sich an die Macht geputscht und ist nun Präsident.

© dpa/Uncredited

Sie haben Angst, dass sich das Militär langfristig an der Macht halten wird – ähnlich wie in der Periode der Diktatur unter einer Einheitspartei, die in Mali von 1968 bis 1991 dauerte. Zumal der Premierminister sich selbst gern als Erbe dieser Periode bezeichnet.

Für einige der Väter der im März 1991 eingeführten Demokratie bedeutet die Ersetzung des derzeitigen semipräsidialen Systems durch ein System, das dem Präsidenten mehr Macht gibt, einen Rückschritt. Sie fürchten eine Rückkehr zum Autoritarismus.

So erlebt Mali derzeit einen ideologischen Kampf zwischen den Vätern der malischen Demokratie und den Befürwortern eines starken Regimes in den Händen eines Präsidenten.

Der Abzug der Bundeswehr aus Mali hat begonnen und soll bis Ende Mai 2024 abgeschlossen sein. Sie war seit 2013 an einer UN-Mission beteiligt.

© imageBROKER/Ute Grabowsky/imagebroker.com

Die bewaffneten Bewegungen im Norden Malis, die 2015 das Friedensabkommen von Algier unterzeichnet haben, sind der Ansicht, dass die neue Verfassung nicht alle im Abkommen vereinbarten Bestimmungen berücksichtigt.

Anderer Widerstand kommt von religiöser Seite. Die Vereinigung der Imame kämpfte mit allen Mitteln gegen die Aufnahme des Konzepts des Laizismus in die neue Verfassung. Dabei haben sie das Beispiel Frankreich vor Augen, wo beispielsweise Religion und religiöse Zeichen aus Schulen verbannt und selbst christliche Weihnachtslieder tabu sind. Die Vereinigung schlug vor, stattdessen das Konzept eines multikonfessionellen Staates aufzunehmen.  

Aber auch hier gibt es Spaltungen. Das Büro des Hohen Islamischen Rates unter dem Vorsitz des einflussreichen Sherif Ousmane Madani Haidara von der malikitischen Islam-Schule befürwortet das Konzept des Laizismus. Es sei eine gute Grundlage für den sozialen Zusammenhalt zwischen den Gläubigen aller Richtungen.

Die Skepsis vieler gegen eine neue Verfassung erklärt sich auch aus früheren Versuchen, die demokratische Verfassung vom 25. Februar 1992 zu verändern. Zwischen 2000 und 2017 gab es insgesamt drei Versuche. Sie waren zwar von drei demokratisch gewählten Präsidenten initiiert worden; aber sie erfolgten immer während der jeweiligen zweiten Amtszeit der Politiker. Das nährte in der Bevölkerung den Verdacht, dass die geplanten Verfassungsänderungen einfach nur eine Ausdehnung der eigenen Amtszeit ermöglichen sollten.

Der aktuelle Verfassungsentwurf ist das Ergebnis eines langen Prozesses, der 2020 mit landesweiten Konferenzen und Versammlungen, den sogenannten „Assises Nationales“, begonnen hatte. Zuvor war am 18. August 2020 der Präsident Ibrahim Boubacar Keita vom Militär gestürzt worden.

Dem Putsch waren monatelange Proteste der Bevölkerung vorausgegangen, die von der Bewegung des 5. Juni - Sammlung der Patriotischen Kräfte (M5-RFP) getragen wurden.

Der eingeleitete politische Übergang hatte unter anderem das, die Unsicherheit in Verbindung mit dem Terrorismus zu bekämpfen, die endemische Korruption zu bekämpfen, das Friedensabkommen aus dem Algier-Prozess umzusetzen sowie politische und institutionelle Reformen einzuleiten.

In diesen landesweiten Versammlungen diskutierte die Bevölkerung darüber, was sie von der Regierung erwartet, ob die malische Verfassung geändert werden soll, was in ihrem Staat verbessert werden müsste. Etwa 90.000 Menschen haben landesweit und im Ausland teilgenommen. Sie haben stundenlang zugehört, an Saalmikrofonen Vorschläge gemacht, Forderungen gestellt.

Um diese Verpflichtung umzusetzen, hat der Präsident des Übergangs, Oberst Assimi Goita, eine Kommission für die Ausarbeitung der neuen Verfassung und anschließend eine Kommission für die Fertigstellung des Verfassungsentwurfs eingesetzt.

Zudem wurde den Maliern die Möglichkeit gegeben, ihre Ideen über eine Website einzureichen. Es wurden mehr als 3.000 Vorschläge von Maliern im In- und Ausland sowie Hunderte von Wünschen in Papierform gesammelt. Dabei ging es vor allem um die offizielle Anerkennung verschiedener Lokalsprachen, den Umgang mit der Amtssprache Französisch und die Forderung, in der neuen Verfassung auf den Begriff Laizismus zu verzichten.

Trotz der Widerstände einiger Parteien, religiöser Institutionen und Teilen der Zivilgesellschaft ist eine Annahme der Verfassung wahrscheinlich. Denn Übergangspräsident Goita genießt bei der Jugend, die den überwiegenden Teil der malischen Wählerschaft ausmacht, große Zustimmung.

Wird das Referendum mit großer Mehrheit angenommen, wird Goita auf die bewaffneten Gruppen zugehen, um mit ihnen einen Kompromiss zu finden der ihren Forderungen gerecht wird.

Sollte die Beteiligung und die Zustimmung niedrig sein, wird der Übergangspräsident wohl auf die Opposition zugehen. Der Dialog könnte dazu führen, Oppositionelle in die Regierung aufzunehmen, um weitere politische und institutionelle Reformen zu ermöglichen.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Verfassungsentwurf abgelehnt wird, wird Präsident Goita wahrscheinlich die Regierung auflösen. In diesem Fall würden die Prioritäten und Reihenfolge des Transitionsprozesses wohl neu festgelegt.

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