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Oktober 2020: Demonstration gegen die Wahlfälschung in Minsk.

© dpa

Tag der Demokratie: Hoffnung für Belarus?

2020 kämpften in Minsk Zehntausende für Freiheit. Seitdem erlebt die belarussische Gesellschaft eine tiefe Enttäuschung.

Von Ljubou Kaspjarowitsch

| Update:

Marfa Rabkowa ist eine 27-jährige Menschenrechtsaktivistin aus Belarus. Die letzten beiden Jahre hat sie in Untersuchungshaft in Minsk verbracht. Am 6. September wurde sie zu 15 Jahren Strafkolonie verurteilt. Die belarussische Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, sie habe Massenproteste vorbereitet und soziale Unruhen ausgelöst.

Was hat sie tatsächlich getan? Sie beobachtete Protestaktionen gegen die Gewalt der Staatsorgane und dokumentierte zahlreiche Fälle, in denen Menschen gefoltert wurden.

Wenn sich die Situation in Belarus nicht ändert und das System von Lukaschenko an der Macht bleibt, wird Marfa Rabkowa bei Haftende 40 Jahre alt sein.

Mehr als 1300 Menschen sind als politische Gefangene im Gefängnis

2020 war Marfa Rabkowa eine von Millionen Belarussen, die nach Freiheit strebten und Entwicklung für ihr Land wollten. Die Bewegung nannte sich anfangs nicht pro-europäisch. Die Menschen, die auf die Straße gingen, waren vereint durch gemeinsame Ideale: das Leben eines Menschen als sehr hohen Wert, Mitgefühl und Solidarität, Wahrheit und Freiheit, politische und wirtschaftliche Entwicklung, Ablehnung von Gewalt und Lügen.

Die belarussische Gesellschaft, die im Jahre 2020 für Freiheit kämpfte, erlebt heute eine tiefe Enttäuschung. In den Gefängnissen sitzen mehr als 1300 Menschen, die als politische Gefangene eingestuft wurden. Täglich steigt die Anzahl derer, die festgenommen werden, weil sie anders denken. Die Bedingungen in den Gefängnissen werden noch härter. Die Angst, dort zu landen, wird immer größer.

Der russische Präsident Putin empfing den belarussischen Staatschef Lukaschenko erst Ende Juni.

© Sputnik/Mikhail Metzel/Kremlin via REUTERS

In den letzten zwei Jahren wurde vieles vernichtet, was in Belarus trotz widriger Umstände aufgebaut worden war: unabhängige Medien, erfolgreiche Geschäfte, private Bildungs- und Kultureinrichtungen, NGOs und anderes, was eine europäische Perspektive hatte.

Tausende Menschen sind ausgereist und reisen immer noch aus. Es ist eine offene Frage, wie viele von ihnen zurückkehren, falls Belarus frei wird. Je mehr Zeit vergeht, desto geringer werden die Chancen. Bedenkt man, dass Belarus kaum Bodenschätze hat und intelligente Menschen das wichtigste Kapital des Landes sind, kann man diesen Brain Drain als innere Katastrophe betrachten.

Belarussen werden weiter isoliert. Dieselben Belarussen, die 2020 mit ihrem Mut die ganze Welt überraschten. Dieselben Belarussen, die heute mit der Angst vor dem eigenen Staat leben. Die nach wie vor keine Gewalt und Lügen akzeptieren. Die dringend Freiheit brauchen.

Trotz der Enttäuschung und der schwierigen Lage ist Demokratie für Belarus der einzige Ausweg. Sonst wird Marfa Rabkowa ihren 40. Geburtstag im Gefängnis verbringen, wie viele andere, die nichts Kriminelles getan haben, sondern sich einfach für Freiheit und den Wert des Menschenlebens einsetzen.

Swetlana Tichanowskaja, Oppositionsführerin von Belarus.

© David Parry/PA Wire/dpa

Gibt es Hoffnung? Diese Frage wird heute teilweise in der Ukraine beantwortet. Sie verteidigt sich gegen das Regime von Putin, das einer der Gründe ist, warum Lukaschenko bis heute an der Macht ist. Diese Frage stellt sich auch Swetlana Tichanowskaja, die ihren Mann schon seit mehr als zwei Jahren nicht gesehen hat, weil er zu 18 Jahren Strafkolonie verurteilt wurde. Einfach für den Versuch, bei der Präsidentschaftswahl zu kandidieren.

Nach 2020 sind in Belarus viele demokratische Initiativen und Organisationen entstanden, die sich auf demokratische Veränderungen im Land vorbereiten. Ob es dazu kommen wird, hängt auch davon ab, ob Belarus in seinem Streben nach Freiheit unterstützt wird.

Die Autorin ist Journalistin aus Belarus. Sie war in Minsk 15 Tage lang inhaftiert und ist seit einem Jahr in Deutschland.

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