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 Eine Jesus-Statue unter dem Kreuz.

© dpa/Nicolas Armer

Update

Sonntagsarbeit? Ohne mich!: US-Verfassungsgericht stärkt die Rechte von Gäubigen

Ein evangelikaler Christ forderte mehr Religionsfreiheit. Er hatte sich geweigert, sonntags zu arbeiten und war entlassen worden. Das Oberste US-Gericht stellte sich jetzt klar auf seine Seite.

Einstimmig erging am Donnerstag das Urteil des Obersten Gerichts in den USA. Es könnte weitreichende arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Denn die neun Verfassungsrichter stellten sich auf die Seite eines ehemaligen Postboten aus Lancaster im Bundesstaat Pennsylvania, der sich geweigert hatte, am Sonntag, für ihn „der Tag des Herrn“, zur Arbeit zu kommen. Vertreter mehrerer Glaubensgemeinschaften hatten dessen Position während des Verfahrens unterstützt. Die aus der Religionsfreiheit resultierenden Rechte haben in den USA traditionell einen hohen Stellenwert.

Gerald Groff ist evangelikaler Christ und ehemaliger Missionar. Er lebt in Lancaster County (Pennsylvania). Das ist eine stark religiös geprägte Gegend. Sie war einst der Siedlungsort der Glaubensgemeinschaft der deutschstämmigen Amischen. Groff versteht die Bibel wörtlich, er hält sich an die Gebote. Das dritte Gebot lautet: „Du sollst den Tag des Herrn heiligen.“

Für Groff ist das der Sonntag. Dessen Bedeutung leitet er auch aus dem Alten Testament ab. Im Zweiten Buch Mose steht: „Sechs Tage sollt ihr arbeiten. Am siebenten Tag aber sei für euch Sabbat, ein Ruhetag, heilig dem Herrn.“

Lange Zeit hat der 45-jährige gläubige Christ für die Post gearbeitet, den U.S. Postal Service. Er trug Briefe aus, Päckchen und Pakete. Sonntags hatte er frei. Doch im Jahr 2013 übernahm die Post einen sonntäglichen Paketzustellungsdienst für Amazon. Plötzlich wurde es schwierig für Groff, die Sonntagsruhe einzuhalten. Anfangs konnte er mit Kollegen Dienste tauschen, doch nach und nach verschlechterte sich die Stimmung.

Mitarbeiter, die für ihn einspringen mussten, fühlten sich benachteiligt

Hartnäckig weigerte sich Groff unter Berufung auf seinen Glauben, Sonntagsdienste zu übernehmen. Davon fühlten sich Mitarbeiter benachteiligt, die für ihn einspringen mussten. Groff nahm das als Feindseligkeit ihm gegenüber wahr. Das Angebot, sonntags nur halbtags am Nachmittag zu arbeiten, um zum Gottesdienst gehen zu können, lehnte er ab. „Es ist das Tag des Herrn“, sagte er seinen Vorgesetzten, „nicht der Vormittag des Herrn.“

Schließlich drohte ihm die Post disziplinarische Maßnahmen an, sollte er bei seiner Weigerung bleiben. Im Januar 2019 kündigte Groff, um sich nicht länger „dem Ultimatum“, wie er es nannte, aussetzen zu müssen: Praktiziere deinen Glauben oder behalte deinen Job. Er verklagte die Post, verlor in erster Instanz sowie in der Berufung und zog vor das Bundesverfassungsgericht. Das gab ihm jetzt recht.

Die Bedeutung dieses Urteils lässt sich kaum überschätzen. Die Mitglieder aller Glaubensgemeinschaften – von Juden über Muslime bis zu Rastafaris – könnten sich für die Ausübung ihres Glaubens nun auf einen erweiterten Begriff der Religionsfreiheit berufen.

Lediglich kleine Lasten sind Arbeitgebern bisher zumutbar

Bislang orientierte sich die Rechtsprechung am „Civil Rights Act“ von 1964, dem prominenten Bürgerrechtsgesetz, das Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft verbietet. Im sogenannten „Title VII“ werden Arbeitgeber verpflichtet, den  religiösen Bedürfnissen von Arbeitnehmern in angemessener Weise zu entsprechen („reasonably accomodate“), solange dies dem Unternehmen keine unverhältnismäßig große Last auferlegt („undue hardship“).

Doch was ist „unverhältnismäßig“? In einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1977 – „Trans World Airlines v. Hardison“ – wurde dieser Begriff sehr eng interpretiert. Zumutbar für ein Unternehmen seien lediglich kleine, „de minimis“, Lasten. Auf dieser juristischen Grundlage war die Klage von Groff bislang abgewiesen worden. Das wiesen die neun Richter zurück. Der Arbeitgeber müsse beweisen, dass ihm eine Rücksichtnahme auf religiöse Einstellungen „deutlich erhöhte Kosten“ verursache. Mehr als „de minimis“ bedeuteten noch keine unverhältnismäßig große Lasten („undue hardship“), hieß es in der Urteilsbegründung.

Post argumentiert mit den Rechten Nichtreligiöser

Die Post, Groffs ehemaliger Arbeitgeber, hatte geltend gemacht, dass Ausnahmen vom Sonntagsdienst für eine kleine Poststation mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden seien. Außerdem würden die Rechte nicht religiöser Mitarbeiter verletzt.

Groff wurde vertreten vom „First Liberty Institute“, das sich landesweit für die Rechte religiöser Menschen und Organisationen einsetzt. Nach dessen Auffassung hätte sein Mandant aufgrund seines Glaubens ähnliche Schutzrechte in Anspruch nehmen können wie Schwangere und Behinderte. Um deren Bedürfnissen entgegenzukommen, würden Unternehmen weit mehr als minimale Kosten auferlegt.

Gehört Groff als evangelikaler Christ zu einer Minderheit, die besonders geschützt und mit besonderen Rechten ausgestattet werden muss? Das hänge vom Kontext und dem Ort des Geschehens ab, meint Trey Dimsdale, ein Berater des „First Liberty Institute“. In Portland (Oregon), der am wenigsten religiösen Stadt in den USA, repräsentierten Evangelikale nur 15 Prozent der Bevölkerung. Groff grundsätzlich Minderheitenrechte zu verwehren, so Dimsdale, wäre in einem pluralistischen Land wie den USA ein Akt der Willkür.

Unterstützt wurde Groff auch von Repräsentanten vieler nicht christlicher Glaubensgemeinschaften. Muslime, Hindus, orthodoxe Juden und Siebenter-Tags-Adventisten hatten in Stellungnahmen an das Oberste Gericht bekundet, dass die enge Hardison-Definition von „unverhältnismäßigen Lasten“ auch ihr Recht auf Religionsfreiheit verletzt.

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