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Frieden seiner Seele. Symbolbild eines Urnengrabs im Bestattungswald.

© imago images/Shotshop

Sexueller Missbrauch in Polens Wahlkampf: Tödliche Parteipolitik bei Radio Stettin

Der Sohn einer polnischen Oppositionsabgeordneten beging Selbstmord, nachdem das staatliche Radio ihn als Opfer eines Pädophilen outete. Es ist das schockierende Ende eines Wahlkampfmanövers.

Mikolaj Filiks hat seinen 16. Geburtstag nicht mehr erlebt. „Miki“, wie seine Familie und seine Freunde ihn nannten, wurde kurz zuvor zum Opfer der Politisierung des Rundfunks in Polen.

Er nahm sich das Leben, nachdem „Radio Szczecin“, der Stettiner Regionalsender des staatlichen Rundfunks, ihn als Opfer sexuellen Missbrauchs geoutet hatte. Er meinte, nicht damit leben zu können, dass alle in seiner Umgebung dies wissen.

Doch wie kommt Radio Szeczecin dazu, solch intime Details über einen Minderjährigen öffentlich zu machen? Und sie zudem zwei Jahre nach dem Gerichtsverfahren als angebliche Neuigkeit zu präsentieren?

Das Gericht hatte die Öffentlichkeit ausgeschlossen

Die Informationen über den Missbrauch hätten nach Auffassung der Justiz niemals publik werden dürfen. Das Gericht hatte die Öffentlichkeit vom Strafverfahren gegen den Pädophilen 2020 ausgeschlossen. Um den damals 13-jährigen Miki und ein weiteres Opfer, ein Mädchen, zu schützen.

Die verbreitete Lesart des tödlichen Dramas in Polen: Der Chefredakteur des Senders, Tomasz Duklanowski, wollte sich mit der Nachricht als Wahlkampfhelfer der nationalkonservativen Regierungspartei PiS betätigen. Im Herbst 2023 wird in Polen gewählt.

Mikis Mutter Magdalena Filiks ist eine bekannte Abgeordnete der größten Oppositionspartei Koalicja Obywatelska (KO) im nationalen Parlament, dem Sejm. Die 45-jährige Liberale hat sich durch Protestaktionen gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts und gegen die Justizreform, die die Unabhängigkeit der Richter einschränkt, einen Namen gemacht.

Miki wurde durch einen Mangel an Diskretion und böse Absichten“der Regierenden zu Tode gehetzt.

Donald Tusk, Vorsitzender der größten Oppositionspartei.

Auch der verurteilte Sexualstraftäter gehört der KO an. Er arbeitete im Marschallamt der Wojewodschaft Westpommern in Stettin. Eine Wojewodschaft entspricht einem deutschen Bundesland.

Sein Chef ist ebenfalls KO-Mitglied. Im Nordwesten Polens hat die Opposition die Vormacht. Die Hochburgen der Regierungspartei PiS liegen im Süden und Osten. Besonders stark ist die PiS auf dem Land. In Großstädten hat sie das Nachsehen.

Duklanowski wärmte die alte Geschichte Ende Dezember 2022 unter dem Titel „Kindesmissbrauchsskandal im Marschallamt“ wieder auf, um die Opposition anzuschwärzen. Dort versuche man den Skandal angeblich tot zu schweigen. Es gehe um „Kinder einer bekannten Parlamentarierin“.

In 15 Sekunden betroffene Kinder identifizieren

Mit diesen Angaben über Täter und Opfer könne man „in 15 Sekunden betroffene Kinder herausfinden“, beklagt Blazej Kmiecik, Chef der staatlichen Kommission zur Verfolgung von Kindesmissbrauch.

Gerichtspräsident Maciej Strączyński gab nach dem Selbstmord bekannt, dass Duklanowski sich am Tag vor der Veröffentlichung nach Details zu dem Gerichtsverfahren erkundigt habe. Das Gericht habe ihm aber keine Informationen gegeben.

Polens staatliche Rundfunkprogramme sind seit Jahren politisiert und ein Werkzeug der Regierungspropaganda. Privaten Sendern macht die PiS das Leben schwer.

Andere regierungstreue Medien illustrierten die Berichte über die Veröffentlichung des Radio-Stettin-Chefs Duklanowski mit Fotos der Abgeordneten Filiks und des Marschalls von Westpommern, Olgierd Geblowicz.

Das Ziel: der Opposition Pädophilie vorwerfen

Regierungspolitiker nutzten die Vorlage, um der Opposition Doppelmoral vorzuwerfen. „Dieselben Leute, die immer so laut über den Kampf gegen Pädophilie reden, etwa in der Kirche, „verstecken Pädophile in ihren eigenen Reihen“, ätzte Bildungsminister Przemyslaw Czarnek.

Nach Mikis Selbstmord ist das Entsetzen groß. Chefredakteur Duklanowski wurde seither nicht mehr im Sender gesehen. Anzeigenkunden entziehen Radio Szczecin Werbeaufträge. Die Kinos der Stadt haben umgekehr Werbespots für den Sender aus dem Programm genommen.

Die Opposition fordert eine Sondersitzung des Nationalen Rundfunkrats mit nur einem Programmpunkt: Abberufung des Intendanten des Senders, Wojciech Wlodarski. „Im Sender hat es an der nötigen Aufsicht und Verantwortung gefehlt“, sagt Marek Rutka, Mitglied im Rundfunkrat und Abgeordneter der Partei „Neue Linke“.

Miki sei durch einen „Mangel an Diskretion“ und „böse Absichten“ der Regierenden „zu Tode gehetzt“ worden, sagte Oppositionsführer Donald Tusk nach der Beerdigung. Und versprach auf Twitter: „Wir werden die PiS für jede Schweinerei, jedes Unrecht und jede Tragödie zur Rechenschaft ziehen.“

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