zum Hauptinhalt
Gerade unter jungen Palästinensern wächst die Bereitschaft, sich mit militanten Mitteln gegen Israel zu wehren.

© APA Images/Zuma Press Wire/Action Press

Schwere Gefechte: Warum der Nahostkonflikt gerade jetzt eskaliert

Die Gewalt in den besetzten Gebieten nimmt zu. Bei Israelis wie Palästinensern schwindet das Interesse an einer friedlichen Lösung des Konflikts.

Von Steffi Hentschke

Raketenalarm auf der einen, gezielte Luftangriffe auf der anderen Seite – in der Nacht zu Freitag ist der Nahostkonflikt einmal mehr eskaliert. Nachdem militante Palästinenser mehrere Raketen Richtung Israel abgefeuert hatten, beschoss Israels Armee nach eigenen Angaben Ausbildungszentren der islamistischen Hamas in Gaza.

Die Gefechte sind eine Reaktion auf eine Anti-Terror-Operation israelischer Einheiten im besetzten Westjordanland in der Gegend um Dschenin am Donnerstag. Bei dem folgenschwersten Militäreinsatz in den besetzten Gebieten seit Jahrzehnten waren neun Palästinenser getötet und mindestens 20 weitere Menschen verletzt worden.

Die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah kündigte noch am Donnerstagabend wieder einmal die Sicherheitskooperation mit Israel auf, die Hamas drohte mit Vergeltung. Das alles ist nicht neu, die Drohungen nicht und schon gar die Angst vor zunehmender Gewalt. Ein Krieg mit der Hamas ist nach Einschätzung von Beobachtern nur eine Frage der Zeit.

65
Prozent der jüdischen Israelis rechen mit einem Aufstand der Palästinenser.

Dennoch unterscheidet sich die aktuelle Situation von jener der vergangenen 15 bis 20 Jahre massiv. Da ist zum einen eine israelische Regierung, die getrieben wird von rechtsextremen, nicht an einer friedlichen Lösung interessierten Kräften – und die dabei womöglich die Sicherheit des jüdischen Staats aufs Spiel setzen. Da sind zum anderen die Palästinenser, die politisch zwar nicht geeint sind, aber zunehmend glauben, sich mit Waffen gegen Israel wehren zu können und zu dürfen.

Dass die Lage so ernst ist wie seit langem nicht mehr, zeigt auch eine zu Beginn der Woche veröffentlichte Studie des Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) zum Stimmungsbild unter Israelis und Palästinensern. Demnach hat die Akzeptanz der Zweistaatenlösung bei Palästinensern ebenso wie bei jüdischen Israelis einen historischen Tiefpunkt erreicht.

Unter den Palästinensern wächst die Zustimmung für den Kampf gegen die israelische Besatzung, 40 Prozent der Befragten unterstützen einen militärischen, nur 16 Prozent einen zivilen Widerstand. 61 Prozent glauben, dass eine neue Intifada bevorsteht.

„Die Unterstützung zu nicht demokratischen, nicht friedlichen Lösungen wächst auf beiden Seiten.“

Khalil Shikaki, Direktor des Palestinian Centers for Policy and Survey Research

Unter jüdischen Israelis sieht es nicht anders aus. 65 Prozent rechnen mit einem neuen palästinensischen Aufstand. 26 Prozent unterstützen einen entscheidenden Militärschlag gegen Palästinenser – sieben Prozent mehr als bei der Umfrage vor zwei Jahren.

„Die Unterstützung zu nicht demokratischen, nicht friedlichen Lösungen wächst auf beiden Seiten“, sagte Khalil Shikaki, Direktor des PSR bei der Präsentation der Studie in Ostjerusalem. Die Stimmung sei vor allem mit den einseitigen Narrativen zu erklären, die sowohl von der palästinensischen Führung als auch von der israelischen Regierung seit Jahrzehnten verbreitet werden.

Viele Palästinenser sehen sich als alleinige Opfer des Konflikts

Diese Erzählungen hätten auf beiden Seiten den Eindruck verstärkt, dass jeweils nur die eigene Gruppe Anspruch auf das Land habe, um das seit mehr als 75 Jahren gekämpft wird. Und obwohl es seit dem Bau der Sicherheitsmauer in Folge der zweiten Intifada deutlich weniger Anschläge gäbe, fühlten sich jüdische Israelis nicht sicherer.

Zugleich habe sich unter Palästinensern das Gefühl verstärkt, alleiniges Opfer des Konflikts und deshalb berechtigt zum Widerstand zu sein. 90 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Palästinenser das moralische Recht besäßen, alles zu tun, um ihr Überleben zu sichern.

So pessimistisch die Ergebnisse der Umfrage sind, so triste sind die Prognosen der an der Studie beteiligten Forschenden. „Solange die Führung auf beiden Seiten nicht mit ihren Narrativen bricht, werden wir vor allem unter jungen Leuten eine steigende Radikalisierung feststellen“, sagt die Meinungsforscherin und Politikanalystin Dahlia Scheindlin. „Von der neuen israelischen Regierung ist allerdings genau das Gegenteil zu erwarten.“

Und die islamistische Hamas? Verkündet, dass die Antwort auf Dschenin nicht lange auf sich warten lassen werde.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false