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Für viele ein Held. Tausende nehmen Abschied von Alexej Nawalny.

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Update

Polizei nimmt mehr als 100 Menschen fest: Bewegender Abschied von Putin-Gegner Alexej Nawalny in Moskau

Tausende zeigen Verbundenheit mit dem verstorbenen Oppositionspolitiker. Die Sicherheitsbehörden sind mit einem Großaufgebot präsent – und verhaften mehr als 100 Menschen.

| Update:

Unter der Anteilnahme Tausender Menschen ist am Freitag der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny auf dem Borissow-Friedhof in Moskau beerdigt worden. Zuvor hatte eine kirchliche Trauerfeier stattgefunden, zu der im Innern der Kirche nur die nächsten Angehörigen und enge Freunde zugelassen waren.

Die Bürgerrechtsplattform OWD-Info schrieb am Freitagabend von 128 Festnahmen in 19 Städten. Die meisten Festnahmen gab es demnach in der sibirischen Millionenstadt Nowosibirsk. Dort seien mindestens 31 Personen in Gewahrsam genommen worden. In Moskau sollen es 17 Personen sein, davon müssten drei die Nacht auf dem Revier verbringen, heißt es.

Nawalnys Ehefrau Julia war nicht nach Moskau gereist, weil sie Gefahr lief, verhaftet und in ähnlichen Prozessen wie Alexej Nawalny zu Lagerhaft verurteilt zu werden.

Julia Nawalnaja hatte in mehreren Reden in den vergangenen Tagen angekündigt, sie werde den politischen Kampf ihres Mannes gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin fortsetzen.

Auf der Straße vor der Kirche warteten die Menschen in einer mehrere Kilometer langen Schlange, obwohl bis kurz vor der Zeremonie unklar war, ob überhaupt jemand in die Kirche vorgelassen würde. Anhänger Nawalnys organisierten eine Live-Übertragung der Zeremonien auf Youtube.

Großaufgebot der Sicherheitskräfte

In dem Stadtteil Marino an der südlichen Peripherie Moskaus hatte Nawalny 17 Jahre lang gewohnt. Das Viertel war eine Hochburg der Opposition, als im Winter 2011/12 eine Welle des Protestes gegen Wladimir Putin dessen Macht kurzzeitig ins Wanken brachte.

2015 demonstrierten dort erneut Zehntausende im Gedenken an den Oppositionspolitiker Boris Nemzow, der in unmittelbarer Nähe des Kremls ermordet worden war. Die Hintermänner dieses Attentats sind nie ermittelt worden.

Bereits lange vor der Zeremonie für Nawalny waren die Sicherheitsorgane am Freitag mit einem Großaufgebot vor Ort, sie hatten den Kirchenbereich mit Metallzäunen abgesperrt.

Die Eltern Ludmilla und Anatoli Nawalny bei der Beisetzung ihres Sohnes.
Die Eltern Ludmilla und Anatoli Nawalny bei der Beisetzung ihres Sohnes.

© dpa/Uncredited

Als die Fahrzeuge mit dem Sarg Nawalnys mittags vor dem Gotteshaus in einem Außenbezirk Moskaus ankam, brandete Beifall auf. Es gab Sprechchöre: „Nawalny“, „Alexej“, „keine Angst“, „Wir verzeihen nicht“, „Putin ist ein Mörder“, „Russland wird frei sein“.

Auch Rufe „Russland ohne Putin“ waren zu hören. Es ist die Losung, mit der die Nawalny-Anhänger aufgerufen hatte, zu den Präsidentenwahlen im März zu gehen. Zahlreiche Menschen sangen Kirchenlieder. Die Sicherheitsbehörden schritten nicht ein.

Am Zaun warteten auch Diplomaten westlicher Staaten, unter ihnen sei der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff, teilten die Anhänger Nawalnys auf Youtube mit.

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Putin für den Tod des Kremlgegners verantwortlich gemacht. „Auch ich gehe wie alle anderen davon aus, dass es das Regime war, das ihn getötet hat“, sagte der SPD-Politiker Anfang der Woche in Berlin.

Putin ist ein Mörder. Wir verzeihen nicht.

Rufe der Trauernden vor der Moskauer Kirche

In der Moskauer Kirche war der Sarg nach russischer Tradition noch einmal geöffnet worden, wie ein Foto aus dem Inneren zeigte. Der Leichnam war mit roten und weißen Rosen geschmückt. Um den Katafalk hatte sich die Familie versammelt.

Menschenrechtsorganisationen hatten im Vorfeld vor den Risiken bei einer Teilnahme an den Trauerfeiern gewarnt. Sie erinnerten daran, dass die Sicherheitsbehörden seit dem Tod Nawalnys Hunderte verhaftet hätten, weil sie in Gedenken an den Oppositionellen Blumen an den Denkmälern für die Opfer der Repressionen des Stalinismus niedergelegt hatten.

In der Kirche wurde der Leichnam Nawalnys noch einmal aufgebahrt.
In der Kirche wurde der Leichnam Nawalnys noch einmal aufgebahrt.

© dpa/Uncredited

Menschenrechtler rieten dazu, keine Fahnen, Fotos von Nawalny, Bänder oder Abzeichen mitzuführen, die in Russland verboten sind. Dazu gehört schon der Buchstabe N in einem Kreis, ein Symbol, dass die russische Staatsmacht als „extremistisch“ eingestuft hat.

Das Tragen eines solchen Abzeichens kann beim ersten Mal mit bis zu zwei Wochen Haft bestraft werden, im Wiederholungsfall drohen bis zu vier Jahre Straflager. Gewarnt wurde auch vor den Provokationen vermeintlicher „Bürger“.

Schikanen gegen die trauende Familie

Nawalny war am 16. Februar in dem berüchtigten Straflager Nr. 3 am Rande des Polarkreises gestorben. Seiner Mutter wurde neun Tage lang der Zugang zum Leichnam ihres Sohnes verweigert. Dann forderten die Behörden, sie möge ihren Sohn im Geheimen beerdigen. Ludmilla Nawalnaja weigerte sich.

Die Schikanen der Behörden gingen bis zur letzten Minute des Abschieds von Nawalny weiter. Die Angehörigen konnten keinen Saal mieten, in dem der Leichnam nach russischer Tradition aufgebahrt werden konnte.

Schwierigkeiten bereitete es auch, eine Kirche für die Trauerfeier und ein Beerdigungsinstitut zu finden. Offensichtlich sei von staatlicher Stelle massiver Druck ausgeübt worden, schrieb die oppositionelle Online-Plattform „Meduza“.

Putin hatte am Vortrag in seiner mehr als zweistündigen Rede zur Lage der Nation den Tod seines wichtigsten Widersachers mit keinem Wort erwähnt. Zuvor schon hatte der russische Präsident es peinlich vermieden, auch nur den Namen „Nawalny“ auszusprechen.

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