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Aus Angst vor Unruhen könnten viele Nigerianer am Wahltag darauf verzichten ihre Stimme abzugeben.

© AFP/Yasuyoshi Chiba

Präsidentschaftswahl in Nigeria: Abstimmung im Panikmodus

Ende Februar wählt Nigeria einen neuen Präsidenten. Doch Gewalt, Benzinmangel und eine chaotische Währungsumstellung gefährden die Abstimmung. Ist die Wahl in Gefahr?

Von Julian Hilgers

Wenn die Wahlen in Nigeria wie geplant am 25. Februar stattfinden, dann ist das schon eine gute Nachricht. Vor fünf Jahren war die Abstimmung über die Nationalversammlung nur wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale verschoben worden, weil das Militär nicht für einen sicheren Ablauf sorgen konnte. Zu groß war die Terrorgefahr durch die islamistischen Boko-Haram-Milizen.

Dieses Jahr soll das zwar nicht passieren, die Präsidentenwahl soll auf jeden Fall abgehalten werden. So lautet zumindest der Plan. Doch etwa mehr als eine Woche vor der Abstimmung wächst in Afrikas bevölkerungsreichstem Land die Nervosität, dass die Wahl doch noch gefährdet werden könnten.

Nicht nur nimmt die Gewalt in vielen Regionen zu — und damit auch die Sorge vor erneuten Problem bei der Wahl, nicht erst seitdem der Hauptsitz der unabhängigen Wahlkommission INEC vor einigen Wochen mit einer Bombe angegriffen wurde. Bei dem Attentat starben Mitte Dezember drei Menschen.

Sollte die Gewalt in Nigeria anhalten, könnte das „die Bekanntgabe der Wahlergebnisse behindern und eine Verfassungskrise auslösen“, sagte damals der INEC-Vorsitzende Mahmood Yakubu. Und die Gewalt reißt nicht ab. Nicht immer hat das mit der anstehenden Abstimmung zu tun. So starben Ende Januar nach Polizeiangaben 40 Mitglieder einer Bürgerwehr in einer Auseinandersetzung mit Viehdieben.

Kurz zuvor waren 50 Menschen bei einem Bombenanschlag auf eine Gruppe Hirten getötet worden. Hinzukommt das Terrorproblem in Nordnigeria, wo die Islamisten der Gruppe Boko Haram weite Landstriche kontrollieren. Kurz: Überall im Land herrscht kurz vor der Wahl größte Unruhe.

Für Nervosität sorgt auch die aktuelle Währungsumstellung kurz vor der Wahl. Gerade hat das Oberste Gericht des Landes eine Deadline für die Einführung neuer Banknoten gekippt. Viele Geldinstitute hatten nicht genug neue Scheine vorrätig, was zu Panik und gewalttätigen Wutausbrüchen bei den Kunden führte. Der Chef der Wahlkommission warnte, die Bezahlung verschiedener für die Abstimmung notwendiger Dienstleistungen sei durch das Chaos mit den Banknoten gefährdet.

Zudem ist ausgerechnet das Benzin knapp. Nigeria verfügt zwar über große Ölvorkommen, doch muss der meiste Treibstoff dem Ausland importiert werden, weil es im Land kaum Raffinerien gibt.

Die Präsidentenwahl in Nigeria ist eine der wichtigsten, die in diesem Jahr in Afrika stattfinden, alleine schon wegen der Anzahl an Wahlberechtigten. 220 Millionen Menschen leben in Nigeria. 95 Millionen sind aktuell für die Wahl registriert, ein Rekord.

Folgen für Afrika und Europa

Vom Ausgang der Wahl hängt auch ab, wie es in der gesamten Region weitergeht — was Folgen für Deutschland und Europa hat. Bekommt der neue Präsident die Gewalt in den Griff? Oder nimmt sie unter der neuen Regierung zu und löst neue Fluchtbewegungen aus, in die Nachbarstaaten und nach Norden übers Mittelmeer, in Richtung Europa?

„Die Stabilität Nigerias ist wichtig für die Stabilität insbesondere Westafrikas und des übrigen Kontinents“, sagt Abubakar Adam Ibrahim, nigerianischer Journalist und politischer Analyst.

Wer aber soll für diese Stabilität sorgen? Nigerias amtierender Präsident Muhammadu Buhari, seit 2015 im Amt, darf laut Verfassung nicht mehr antreten. 18 Kandidaten stehen zur Wahl, davon eine Frau.

70
Prozent der Bevölkerung Nigerias sind jünger als 30 Jahre

Echte Chancen auf den Wahlsieg dürfen sich aber nur drei Kandidaten ausrechnen: die beiden Langzeit-Politiker Bola Ahmed Tinubu von der sozialdemokratischen Regierungspartei APC und der Konservative Atiku Abubakar, beide mehr als 70 Jahre alt, sowie der Labour-Kandidat Peter Obi. Der hatte im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt, als er von einer Bloomberg-Umfrage überraschend zum Favoriten ausgerufen wurde. Auch der Sozialdemokrat Abubakar gilt allerdings als aussichtsreicher Kandidat.

Die meisten Menschen in Nigeria wollen nur jemand, der ihre Sicherheit garantiert.

Abubakar Adam Ibrahim, nigerianischer Journalist und politischer Analyst

Im Wahlkampf spielen Inhalte und Positionen der Parteien eine untergeordnete Rolle, meist drehen sich die Kampagnen voll und ganz um die Personen. „Es geht um Religion oder ethnische Zugehörigkeit. Das ist ein riesiges Problem“, sagt Analyst Ibrahim. „Die Probleme wie Lebensmittelsicherheit und die Gewalt in Teilen des Landes müssen in den Mittelpunkt gestellt werden.“

Vor allem die junge Bevölkerung im Land, rund 70 Prozent sind jünger als 30 Jahre, fühlt sich bei den Wahlen deshalb nicht repräsentiert und hat geringe Erwartungen. Sie wollen vor allem Veränderung, also eine Abwahl der Regierungspartei APC. „Die meisten Menschen in Nigeria wollen nur jemand, der ihre Sicherheit garantiert“, sagt Ibrahim.

Für umfangreiche Sicherheit und friedliche Verhältnisse zu sorgen, das ist in Nigeria schon lange niemandem mehr gelungen. Innenpolitische und gesellschaftliche Spannungen, wie Streitigkeiten zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern, spalten das Land. Die Proteste gegen Polizeigewalt unter dem Hashtag #ENDSARS, die im Oktober 2020 um die Welt gingen, prägen und politisieren bis heute die junge Bevölkerung im Land. Über allem steht, vor allem im Norden, die ständige Bedrohung durch die islamistische Terrormiliz Boko Haram.

Die wirtschaftliche Situation in Nigeria befeuert viele Konflikte. Der Ukrainekrieg treibt auch in Westafrika die Preise für Lebensmittel in die Höhe, die nationale Währung Naira verliert weiter an Wert. „Das wirkt sich auf die Preise aller Produkte auf dem Markt aus, weil Nigeria hauptsächlich Rohstoffe exportiert. Es ist keine produktionsorientierte Wirtschaft“, sagt Ibrahim.

Dabei sind die wirtschaftlichen Chancen groß. Nigeria verfügt über viele Rohstoffe, zuletzt wurden riesige Lithium-Vorkommen entdeckt. In Metropolen wie Lagos tummeln sich ambitionierte Start-ups. Einen echten Plan, wie aus diesem Potenzial Beschäftigung und Einkommen für die breite Bevölkerung entstehen kann, bringen aber nur wenige Kandidaten mit.

Wahlbeamte wurden bereits angegriffen and Menschen getötet, wenn sie sich politisch engagieren.

Abubakar Adam Ibrahim, nigerianischer Journalist und politischer Analyst

Die Klimakrise, die dem Land besonders zusetzt, spielt im nigerianischen Wahlkampf ebenfalls keine Rolle. Dabei haben alleine im vergangenen Jahr schwere Überschwemmungen dafür gesorgt, dass 1,4 Millionen Menschen aus ihren Häusern fliehen mussten. „Auch die Konflikte zwischen Bauern und Hirten sind mit der globalen Erwärmung zu erklären“, sagt der Experte Ibrahim. „Viele Regionen werden trockener.

Ob die Probleme, von der täglichen Gewalt bis zur thematischen Einseitigkeit des Wahlkampfs, die Menschen am Schluss davon abhält an der Abstimmung teilzunehmen, wird sich zeigen.

Die Islamisten im Land jedenfalls dürften alles versuchen, um die Bürgerinnen und Bürger am Gang ins Wahllokal zu hindern. „Wahlbeamte wurden bereits angegriffen und Menschen getötet, wenn sie sich politisch engagieren“, sagt Ibrahim.

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