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Anhänger der Oppositionsparteien halten eine Nationalflagge, während sie während einer Demonstration vor der bevorstehenden ersten Runde der madagassischen Präsidentschaftswahlen in Antananarivo, Madagaskar, am 11. November 2023 auf Bereitschaftspolizisten zugehen.

© REUTERS/stringer

Paradies in der Sackgasse?: Opposition boykottiert Präsidentschaftswahl in Madagaskar

Die Urlaubsinsel ist eigentlich reich – aber politische Machtkämpfe verhindern die Entwicklung. Was passieren müsste.

Lange sah es so aus, als würde Madagaskars „Discjockey“ erneut vom „Milchmann“ und dem „Buchhalter“ herausgefordert. Inzwischen ist es auf der Tropeninsel Tradition geworden, die Kandidaten bei Präsidentenwahlen nach ihrem früheren Beruf zu benennen.

Jetzt rief der Großteil der Opposition jedoch zum Boykott des Urnengangs am Donnerstag auf: Unter dem zusehends autokratisch regierenden Präsidenten Andry Rajoelina könne es keine freie Abstimmung geben.

Regelmäßige Machtkämpfe bei Regierungsbildung auf Madagaskar

Ökotourismus, fruchtbare Erde, üppige Bodenschätze. Trotz riesigem Potenzial bleibt Madagaskar einer der ärmsten Staaten der Welt. Das konnte auch Staatsoberhaupt Rajoelina nicht ändern. Im früheren Leben DJ in den Nachtclubs der Hauptstadt Antananarivo, putschte er 2009 den damaligen Präsidenten Marc Ravalomanana aus dem Amt.

Sollte Rajoelina im ersten Wahlgang gewinnen, steht das Land vor einer massiven Zerreißprobe.

Constantin Grund, Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Antananarivo

Beide verzichteten auf internationalen Druck bei den darauffolgenden Wahlen auf eine erneute Kandidatur. 2014 wurde Ex-Finanzminister Hery Rajaonarimampianina Präsident – nur, um fünf Jahre später erneut durch den jugendlichen Rajoelina ersetzt zu werden. Diesmal in demokratischen Wahlen.

„Leider hat der gesamte politische Apparat bisher keinen klaren Entwicklungspfad als Staatsziel definiert“, berichtet Constantin Grund, Vertreter der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Antananarivo. Statt die prekäre Lage der Madagassen zu bessern, verwickeln sich die Kontrahenten seit Jahren regelmäßig in Machtkämpfen.

Jetzt ist das Kräftemessen neuerlich eskaliert: Zumindest sechs der 13 Präsidentschaftskandidaten wollen die Wahl boykottieren, darunter die beiden früheren Präsidenten. Ruhe oder gar Versöhnung sei laut Grund auch nach der Wahl nicht zu erwarten. Im Gegenteil: „Sollte Rajoelina im ersten Wahlgang gewinnen, steht das Land vor einer massiven Zerreißprobe.“

Politik stoppt Entwicklung des Landes

Dieses politische Ringen bremst auf dem Eiland seit eineinhalb Jahrzehnten die Entwicklung aus. Während Ravalomanana sein Exil in einem südafrikanischen Hotel aussaß, schafften es auch seine Nachfolger nicht, das Land voranzubringen: Mehr als 80 Prozent der Madagassen leben von weniger als zwei Euro pro Tag. „Das von der Bevölkerung lang ersehnte Wachstum ist nicht eingetreten. Deshalb trete ich für eine zweite Amtszeit an“, sagte Rajoelina dem Magazin „New African“.

Mit Sonnenbrille und Covid-Schutzmaske, die Hände noch artiger als die Grundschüler vor sich auf dem Pult ausgebreitet – mit Bildern wie diesen bewirbt Rajoelina neu gebaute Schulen und andere Infrastrukturprojekte.

80
Prozent der Madagassen leben von weniger als zwei Euro pro Tag.

Doch für den Experten Grund steht fest: „Wenn Schulgebäude und Polizeistationen in Parteifarben angestrichen werden, aber niemand in die Köpfe investiert, die darin arbeiten, ist dies ein aktiver Beitrag zum Erhalt des Status quo Madagaskars als viertärmsten Land der Erde.“ Auch in puncto Nahrungsmittelversorgung, Energiesicherheit, Bildungspolitik sei „nicht sonderlich viel“ vorangegangen.

Kritik an Rajoelinas Handeln

Verpasste Chancen: Sie waren nur einer der Vorwürfe, denen sich Rajoelina im Wahlkampf stellen musste. Regierungskritiker bemängeln einen zunehmend autoritären Kurs. Wiederholt löste die Polizei Oppositionskundgebungen mit Prügeln und Tränengas auf.

Einer der Präsidentschaftsanwärter musste in einem Krankenhaus behandelt und die Wahl um eine Woche verschoben werden. Während einige Vertreter auf Madagaskar eine weitere Verschiebung forderten, äußerte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Samstag „ernste Bedenken über das politische Klima“. Die Behörden müssten alles tun, um „transparente und glaubwürdige“ Wahlen zu organisieren.

Rajoelina hat in totaler Undurchsichtigkeit gehandelt.

Ketakandriana Rafitoson, Direktorin von Transparency International Madagaskar

Darüber hinaus gibt es eine Debatte darüber, ob der Präsident aufgrund seiner Doppelstaatsbürgerschaft überhaupt antreten durfte. Im Juni wurde bekannt, dass Rajoelina seit knapp einem Jahrzehnt auch französischer Bürger ist. „Er hat in totaler Undurchsichtigkeit gehandelt“, sagt Ketakandriana Rafitoson, Direktorin von Transparency International Madagaskar.

Die Politologin hätte sich mehr „Rechenschaft und Integrität“ vom höchsten Volksvertreter gewünscht. Sorge äußert sie außerdem über Korruption. Diese sei trotz einer Kampfansage Rajoelinas bei seinem Antritt vor vier Jahren immer noch weit verbreitet.  

Die Bereitschaftspolizei feuert Tränengas ab, um Anhänger der Oppositionsparteien während einer Demonstration vor der bevorstehenden ersten Runde der madagassischen Präsidentschaftswahlen in Antananarivo, Madagaskar, am 11. November 2023 zu vertreiben.

© REUTERS/stringer

Katastrophale Zustände auch beim Klima

Doch Madagaskars politische Baustellen verstecken sich längst nicht mehr nur in den klimatisierten Büros von Antananarivo. In Form von Abholzung, ausgedorrten Böden und Hungernden präsentieren sie sich dem aufmerksamen Besucher.

Dabei lockt die Insel mit ihren üppigen Regenwäldern und dem einzigartigen Ökosystem jährlich Hunderttausende Touristen an. „Der ungebremste Rückgang der Wälder setzt sich fort, und mit ihnen verschwindet die einzigartige Fauna und Flora“, berichtet FES-Büroleiter Grund.

Die Missstimmung auf Madagaskar könnte nun den Präsidentschafts-Neulingen in die Hände spielen, glaubt die südafrikanische Denkfabrik Institute for Security Studies (ISS): Etwa dem „charismatischen und populistischen“ Parlamentsabgeordneten Siteny Randrianasoloniaiko. Er würde sich zudem als früherer Sportfunktionär und Judo-Meister in die madagassische Tradition einfügen: Kommt nach dem „Milchmann“, dem „Discjockey“ und dem „Buchhalter“ nun etwa der „Judoka“?

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