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Das Genozid-Denkmal in Windhoek in Namibia

© imago images/imagebroker

„Nein zum Genozid-Deal“: Klage gegen Versöhnungsabkommen mit Namibia

Die Erklärung von 2021 galt als Durchbruch in der Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit. Jetzt verklagen Gegner in Namibia den Staatschef und die Regierung.

„Nein zum fingierten Genozid-Deal“, „das Blut unserer Ahnen war nicht umsonst“. Mit Plakaten wie diesen belagerten Kritiker in den vergangenen Jahren das Parlament in Windhuk. Innenpolitisch geriet die Regierung von Präsident Hage Geingob wegen der „Gemeinsamen Erklärung“ mit der ehemaligen Kolonialmacht Deutschland, die im Mai 2021 bekannt gegeben wurde, ins Strudeln. Namibia hat sie bisher nicht abgesegnet.

Jetzt reichte der namibische Politiker Bernadus Swartbooi Klage gegen den Völkermordvertrag vor Namibias höchstem Gericht ein. Als Mitkläger sind die Herero und Nama gelistet, als Gegenparteien der namibische Parlamentssprecher, die Nationalversammlung, Präsident Geingob, dessen Kabinett und der Generalstaatsanwalt. „Die Vereinbarung wurde ohne Beteiligung der von den tragischen Geschehnissen von 1904-1908 Betroffenen oder allgemein der namibischen Öffentlichkeit verfasst“, betont Swartbooi. Sie sei damit verfassungswidrig.

Kritiker des Abkommens fordern einen Zusatz für die Gemeinsame Erklärung: Von den 1,1 Milliarden Euro an Entwicklungsgeldern, die Deutschland der namibischen Regierung darin versprach, sollten auch andere Gruppen profitieren. Namibias Vizepräsident Nangolo Mbumba hatte seinerseits bereits im Oktober weiteren Gesprächsbedarf in Berlin angemeldet. Derzeit laufen Verhandlungen über einen Zusatz.

Der Widerstand war vorhersehbar

Namibia war von 1884 bis 1919 als „Deutsch-Südwestafrika“ eine Kolonie des Kaiserreichs. Die deutsche „Schutztruppe“ war für den Tod Tausender Herero und Nama verantwortlich. Sie wurden teils in die Wüste und somit in den sicheren Tod getrieben, Experten sprechen heute von Völkermord.

Berlin und Windhuk holt ein Problem ein, das eigentlich vorhersehbar war: Die Nachfahren der Herero und Nama fühlen sich ausgeschlossen. Sie spielten laut Namibia-Experte Henning Melber eine „eher symbolische Rolle“ in den Konsultationen. Das betont auch Ngondi Kamatuka, Herero-Nachfahre und Akademiker an der Universität Kansas.

Er spricht von der „Deutschen Erklärung“ statt einer „Gemeinsamen“: „Die deutsche Regierung allein entschied und diktierte den gleichgültigen Machthabern in Namibia, dass der Tod von 100.000 Ovaherero und Nama nur 1,3 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von 30 Jahren wert sei.“

Herero und Nama außerhalb Namibias ausgeschlossen

Kritik erntete die postkoloniale Vereinbarung vor allem von Herero und Nama, die außerhalb Namibias leben: „Wir müssen die Missstände wiedergutmachen, ganz egal, wo die Genozid-Hinterbliebenen sich aufhalten“, sagt Herero Jephta Nguherimo in Washington D.C. Das gelte vor allem für Nachfahren, deren Ahnen nach Südafrika und Botsuana flohen.

Wir müssen die Missstände wiedergutmachen, ganz egal, wo die Genozid-Hinterbliebenen sich aufhalten.

Jephta Nguherimo, Herero in Washington D.C.

Stephen Kazeire Raurau ist Anwalt, Kultur- und Menschenrechtsaktivist. Er setzt sich dafür ein, dass auch in Botsuana lebende Ovaherero, Ovambanderu und Nama Entschädigungen erhalten. Zur Klage sagt er: „Die Bedenken, die das Volk gegen die Regierung und ihre falsche Handhabung des Problems äußerte, wurden bisher ignoriert. Es ist höchste Zeit, dass Namibia das korrigiert.“

Auch die Nachfahren der deutschen Besatzer beobachten die Debatte angespannt. Obwohl sie immer noch zur deutschen Schule gehen, deutsches Radio hören und Karneval feiern, leben sie heute mit schwarzafrikanischen Namibiern als eine Nation zusammen.

„Die jüngeren Generationen sind weniger rückwärtsgewandt“, sagt Andreas Herrle, Vorsitzender der Namibisch-Deutschen Stiftung (NaDS). Bei der Stiftung werde die Aufarbeitung des Völkermords schon „seit Jahren diskutiert“. Ebenso wie in den Gemeinden der Evangelisch-Lutherischen Kirche Namibias, erzählt Bischof Burgert Brand.

1990 wurde Namibia unabhängig von Südafrika, wo damals noch die Apartheid herrschte. Seither wurde das Land zumindest teilweise zum Schmelztiegel für Schwarz und Weiß, Afrikanisch und Deutsch: „Freundschaften, Liebschaften, Ehen, Geschäftspartnerschaften“ orientierten sich nicht mehr anhand der Hautfarbe“, zeigt sich Bischof Brand erfreut.

„Gleichzeitig stelle ich mit großer Sorge fest, dass die Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia dazu geführt haben, dass tribalistische Argumente und Einstellungen wieder stark zugenommen haben und spalterisch wirken“, sagt Brand. Denn nicht zuletzt gehe es um Geld. Und um die Frage: Wer soll es bekommen?

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