zum Hauptinhalt
Wie unabhängig ist die BBC? Darüber ist in Großbritannien ein heftiger Streit entbrannt.

© REUTERS/Henry Nicholls

Suspendierung von Gary Lineker: Ein Tweet stürzt den TV-Sender BBC in die Krise

Nach Kritik an der Asylpolitik der britischen Regierung darf Ex-Fußballstar Lineker seine Sportshow nicht mehr moderieren. Ganz Großbritannien streitet: Wie unabhängig ist die BBC?

Von Peter Nonnenmacher

Was vor wenigen Tagen mit einem kurzen Tweet des britischen Sport-Moderators Gary Lineker begann, hat sich zu einer der schwersten Krise der BBC seit Jahrzehnten ausgewachsen. Am Sonntag wurde vermehrt der Ruf nach einem Rücktritt des Intendanten und des Rundfunkrats-Vorsitzenden der öffentlich-rechtlichen Anstalt laut.

Den TV-Bossen wird gefährliche Nähe zur konservativen Regierung vorgeworfen. Gleichzeitig findet sich Tory-Premierminister Rishi Sunak schärfer denn je attackiert wegen seiner neuen Asylpolitik, über die das Unterhaus am Montagabend abstimmen soll.

Ausgelöst hatte die Krise ein Kommentar des prominenten TV-Moderators und Fußball-Stars Gary Lineker, in dem er die Wortwahl der Regierung zu Flüchtlingen mit Nazi-Rhetorik aus den 1930er-Jahren verglich.

Sunak und Innenministerin Suella Braverman hatten zuvor einen Gesetzesentwurf vorgestellt, der irregulär eingereisten Menschen das Recht auf Asyl verwehren soll. Das hatte Lineker auf Twitter kommentiert und sich auf eine frühere Bemerkung von Braverman bezogen, wonach die englische Südküste von einer regelrechten „Invasion“ bedroht wäre.

„Von einem gewaltigen Ansturm kann gar keine Rede sei“, meinte Lineker dazu. „Wir nehmen weniger Flüchtlinge auf als andere große europäische Nationen. Hier geht es um eine ungeheuer grausame Politik gegenüber den schutzlosesten Menschen, und das in einer Sprache, die gar nicht so viel anders ist als die Sprache, die man in den 30er Jahren in Deutschland verwendet hat“.

BBC suspendiert Lineker und löst Protestwelle aus

Braverman warf Lineker vor, den Holocaust zu verharmlosen. Ein Regierungssprecher nannte es „vollkommen inakzeptabel“, dass der Sport-Moderator sich so in die aktuelle Politik einmische. Mehrere konservative Abgeordnete forderten Konsequenzen für den Ex-Fußballer. Doch Lineker wollte sich nicht entschuldigen. Am Freitag suspendierte die BBC ihren bestbezahlten Moderator.

Auch Linekers Arbeitskollegen fanden den Nazi-Vergleich „unglücklich“ und „überzogen“, stellten sich aber in der Kritik an der Asylpolitik hinter ihn. Tagelang wurde bei der BBC bitter darüber gestritten, wie viel Recht zur freien Meinungsäußerung einem derart beliebten Sport-Moderator zukommt, ohne dass der auf ihre Ausgewogenheit so stolzen Anstalt „Schaden“ entsteht. Am Ende untersagte Intendant Tim Davie Lineker die Moderation seiner Show „Match of the Day“. Es ist die wichtigste Fußballsendung des Landes und erreicht am Wochenende Millionen Zuschauer.

Sogar Jürgen Klopp mischt sich ein

Die Folgen dieser Aktion hatte Davie freilich völlig falsch eingeschätzt. Erst erklärten Linekers Co-Moderatoren, dass sie „aus Solidarität“ die Show ebenfalls boykottieren würden. Dann reihten sich andere BBC-Leute in die Revolte ein und kündigten Protestaktionen an. Immer mehr Fußballer erklärten, sie würden der Anstalt Interviews verweigern. Jürgen Klopp, der deutsche Trainer des FC Liverpool, fand, dass es erlaubt sein müsse, „eine Meinung zu Menschenrechten“ zu haben und sie zu äußern.

20
Minuten dauerte die gekürzte Fußballsendung „Match of the Day“ am Wochenende.

Am Ende schrumpfte „Match of the Day“ auf ein 20-Minuten-Programm mit „Premier-League-Highlights“, wortlos abgespult, ohne allen Kommentar, ohne alle Erklärungen. Davie, ein früherer Tory-Politiker, wurde ebenso wie Rundfunkratschef Richard Sharp zunehmend verdächtigt, direktem Druck der konservativen Regierung nachgegeben zu haben.

Vor allem Sharp rückte erneut ins Kreuzfeuer der Kritik. Als langjähriger Gönner der Tories hat er der Partei Hunderttausende von Pfund gespendet. Jüngst war er beschuldigt worden, seinen Spitzen-Job bei der BBC nur deshalb bekommen zu haben, weil er angeblich dem konservativen Ex-Premier Boris Johnson durch Vermittlung von Kontakten aus einer finanziellen Klemme geholfen hatte.

Damals hatte es Sharp „versäumt“, seine Hilfe für Johnson transparent zu machen. Eine Untersuchung dieser Vorfälle läuft derzeit. Es sei doch „lächerlich“, dass Gary Lineker wegen eines Tweets suspendiert werde, während ein dermaßen „unausgewogener“ BBC-Boss wie Richard Sharp weiter im Amt bleibe, erklärten Oppositions-Politiker gestern.

Sir Ed Davey, der Vorsitzende der britischen Liberaldemokraten, forderte am Sonntag den unmittelbaren Rücktritt Sharps. Die BBC gebe den Tories tatsächlich in allem nach, erklärte auch Labour-Chef und Oppositionsführer Sir Keir Starmer: „Das ist das Gegenteil von Ausgewogenheit.“

Selbst im Sportteil der regierungsnahen Sunday Times hieß es: „Die Regierung will gar keine Ausgewogenheit. Sie will, dass sich die BBC ihr unterwirft. Sie gibt vor, freie Meinungsäußerung zu schätzen – solange niemand zu irgendetwas zu viel sagt.“

Heftige Kritik an der Asylpolitik der Regierung kam derweil am Wochenende auch von führenden Kirchenleuten, Unternehmer-Verbänden, Gewerkschaften und Wohlfahrts-Organisationen. In einem von 350 Organisationen unterzeichneten „Offenen Brief“ zeigten sich die Betreffenden „entsetzt über die geplante Gesetzgebung“, die den Eindruck erwecke, „dass das Vereinigte Königreich Menschenrechte mit Füssen tritt“.

Mehrere der führenden Bischöfe der Anglikanischen Staatskirche nannten das neue Asylgesetz „unmoralisch“, weil es „eine Kriminalisierung der schutzlosesten Menschen der Erde“ beinhalte. Und Sprecher der jüdischen Gemeinden Grossbritanniens appelierten an die Regierung, endlich etwas gegen das „feindselige Klima“ gegenüber Flüchtlingen und Fremden in Grossbritanien zu unternehmen. Wenn das Land, das in der Geschichte so vielen Hilfesuchenden Zuflucht bot, nun eine neue Generation von Flüchtlingen ihrem grausamen Schicksal überlassen wolle, „brechen darüber der Charakter des Vereinigten Königreichs und seine Einwanderungs-Geschichte für immer entzwei“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false