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Polizeikräfte stehen Jugendlichen während Ausschreitungen in Nanterre, außerhalb von Paris, gegenüber.

© dpa/Christophe Ena

Nach den Ausschreitungen in Frankreich: „Es gibt einen Hass auf alles, was den Staat repräsentiert“

Der Bürgermeister der Kleinstadt Saint-Pierre-des-Corps wird heute von Präsident Macron empfangen – zusammen mit 220 Amtskollegen. Mehr Geld für die Vorstädte reicht ihm nicht.

Herr François, hat Sie die Gewalt der vergangenen Nächte, die sich oft gegen Rathäuser, Schulen und andere staatliche Einrichtungen richtete, überrascht?
Ja. Ausschreitungen in den Städten richten sich in der Regel gegen Autos, die in Brand gesteckt werden. Diesmal wurden Symbole der französischen Republik angegriffen. Es gibt einen Hass auf alles, was den Staat repräsentiert. Sogar Kindergärten wurden zerstört. Das macht keinen Sinn.

Sie standen daneben, als Ihr eigenes Auto von Unbekannten demoliert wurde.
Die Täter haben niemals versucht, mich tätlich anzugreifen. Sie haben den Wagen zerstört, der das Amt repräsentiert.

Sie sind am Dienstagmittag zusammen mit etwa 220 anderen Bürgermeistern, in deren Städten und Kommunen es zu Ausschreitungen kam, zu einem Treffen mit Präsident Emmanuel Macron eingeladen. Was sind ihre Forderungen?
In den Problemvierteln muss es zuallererst um Erziehung und Bildung gehen. Dazu reicht es nicht, mehr Geld für Schulen auszugeben. Auch wenn wir das natürlich nötig haben. Das ganze Schulsystem muss reformiert werden: Wir brauchen endlich neue, innovative Konzepte!

Woran denken Sie da?
Es muss neue Fächer geben: Toleranz und Akzeptanz von Unterschieden muss gelebt und gelehrt werden. Mehr Sport und Bewegung, Ernährungskunde. Die Hausaufgaben sollten überdacht werden: Viele Kinder machen sie nicht und haben zu Hause keine Unterstützung – das hängt benachteiligte Jugendliche weiter ab und vertieft die Gräben.

Auch eine neue Urbanisierungspolitik?
Ja unbedingt, es muss Schluss sein mit der Konzentration sozial schwacher Familien in einigen Vierteln. Die riesigen Wohnblöcke müssen zerstört werden. Ich kenne Familien, die leben bereits in dritter Generation in der gleichen Wohnung in einem dieser Blöcke.

Und die Drogen?
Drogen sind der Fluch dieser Viertel und Vorstädte. Es muss endlich eine ernsthafte Debatte um die Drogenpolitik geben. Ich frage mich, ob man Cannabis vielleicht legalisieren muss, um kriminellen Strukturen und die Gewalt zu reduzieren.

Muss auch die Polizei reformiert werden?
Da bin ich der falsche Ansprechpartner. Ich bin nur für die Gemeindepolizei zuständig. Aber ich denke, es war ein großer Fehler, diese Polizei der Nähe so zu vernachlässigen. Wir sind die viertgrößte Stadt in unserem Départment, mit mehr als 15.000 Einwohnern, und haben genau einen Gemeindepolizisten. Aber wir werden aufstocken. Diese Polizisten sollen natürlich keine Kumpels sein. Aber sie haben doch einen anderen Zugang zu den Jugendlichen als die nationale Polizei und Gendarmerie. Allerdings überlegen wir auch, diese bisher unbewaffneten Gemeindepolizisten aufzurüsten – wahrscheinlich mit Tasern.

Was haben Sie in letzter Zeit getan, um die Lebensbedingungen der Menschen in sozial schwachen Vierteln zu verbessern?

Wir konnten seit unserer Amtsübernahme leider nichts investieren. Als ich 2020 als Bürgermeister angetreten bin, hatte die bis dahin 100 Jahre kommunistisch regierte Stadt ein Defizit von 159.000 Euro. Die Kosten für die Covid-Krise haben das Defizit auf 405.000 Euro erhöht. Wir haben die Steuern erhöht, aber alle Projekte haben große Verspätung.

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