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Mahmud Abbas büßt bei den Palästinensern immer mehr Rückhalt ein.

© via REUTERS/Pool

„Moralisch und politisch verwerflich“: Palästinenser protestieren gegen Abbas’ antisemitische Ausfälle

Schon mehrfach hat Mahmud Abbas mit judenfeindlichen Bemerkungen Empörung ausgelöst. Nun verbreitet er wieder antisemitische Vorurteile. Dieses Mal empören sich auch Palästinenser.

Er hat es wieder getan. In einer Rede im August, die erst jetzt öffentlich wurde, reihte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas antisemitische Klischees und historische Falschbehauptungen aneinander. Adolf Hitler habe die Juden nur deshalb gehasst, „weil sie sich in Gelddingen und Zinswucher betätigten“, behauptete er. „Seiner Meinung nach betrieben sie Sabotage.“

An keiner Stelle erwähnte er den Massenmord an den Juden, spricht lediglich davon, dass Hitler sie „bekämpft“ habe. Und: „Es ging nicht um Semitismus und Antisemitismus.“

Abbas hatte die Rede vor dem sogenannten Revolutionsrat in Ramallah gehalten, dem parlamentarischen Gremium seiner Fatah-Partei. Die Nichtregierungsorganisation Memri (Middle East Media Research Institute) mit Sitz in Washington hatte kürzlich ein Video mit Ausschnitten der Rede mit englischen Untertiteln veröffentlicht. Der Organisation wird von Kritikern eine pro-israelische Ausrichtung vorgeworfen; ihre Übersetzungen sind in der Regel aber korrekt, so auch in diesem Fall.

Zudem ist es nicht das erste Mal, dass Abbas mit antisemitischen Behauptungen für Aufsehen sorgt. Schon 2018 hatte er den Antisemitismus der Nazis auf die angebliche Wucherei der Juden zurückgeführt.

Bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin im vergangenen Jahr hatte er verkündet, die Israelis hätten „50 Holocausts“ an den Palästinensern begangen. Und erst im Mai hatte Israel vorgeworfen, zu lügen „wie Goebbels“.

Die Unterzeichner des offenen Briefs kommen aus Europa und den USA

Eines ist diesmal jedoch anders: Neben der üblichen Empörung von westlichen Staatschefs, Botschaftern und Antisemitismusbeauftragten kommt Kritik auch von Palästinensern. Mehr als hundert palästinensische Intellektuelle, Künstler und Aktivisten haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie Abbas’ Äußerungen über den Holocaust als „moralisch und politisch verwerflich“ bezeichnen.

Die Palästinenser hätten genügend unter der israelischen „Enteignung, Besatzung und Unterdrückung“ zu leiden, heißt es weiter, „auch ohne die negativen Effekte solcher ignoranten und grundlegend antisemitischen Narrative“.

18
Jahre ist Abbas Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Auch für den 87-jährigen Abbas selbst und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), der er seit 18 Jahren vorsitzt – obwohl sein demokratisch legitimiertes Mandat 2009 endete – finden die Verfasser harte Worte: Sie werfen der PA „zunehmend autoritäres und drakonisches Regieren“ vor und sprechen Abbas das Recht ab, die Palästinenser zu repräsentieren.

Bei den Unterzeichnern handelt es sich in erster Linie um Intellektuelle, die in Nordamerika, Europa oder innerhalb Israels leben, teils schon im Westen geboren sind, so wie Rashida Tlaib, Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus. Auch deshalb können die Verfasser sich die harschen Worte erlauben. Innerhalb jener Gebiete im Westjordanland, die die PA kontrolliert, werden Kritiker derselben oftmals verhaftet.

Der offene Brief entspricht dem zionistischen Narrativ.

Ein Sprecher von Abbas regierender Fatah-Partei

In diesem Fall blieben den dortigen Autoritäten nur verbale Mittel, um auf die Vorwürfe zu reagieren. Der Brief „entspricht dem zionistischen Narrativ, und seine Unterzeichner verleihen damit den Feinden des palästinensischen Volkes Glaubwürdigkeit“, verkündete ein Sprecher der Fatah-Partei. Andere Vertreter der Partei bezeichneten die Verfasser des Briefes als „Sprachrohre der Besatzung“.

Wie die Mehrheit der Menschen in den Palästinensergebieten über Abbas’ Äußerungen denkt, ist unklar. Es gibt zu dem Thema keine Umfragen, und der Holocaust komme in den Lehrplänen palästinensischer Schulen und Universitäten nicht vor, sagt die palästinensische Friedensforscherin Zeina Barakat, die ein arabisches Lehrbuch über den Holocaust verfasst hat.

Inzwischen lebt sie in Deutschland und leitet an der Europauniversität Flensburg die Wasatia Graduate School for Peace and Conflict Resolution, die Studenten aus Israel, den Palästinensergebieten und anderen Ländern zusammenbringt.

An dem offenen Brief vermisse sie eine „Betonung auf Antisemitismus-Prävention, vor allem die Bedeutung von Bildung zum Holocaust in Palästina“. Insgesamt sieht sie in dem Schreiben dennoch ein „positives Signal“ – auch wenn es an der Haltung des 87-jährigen Abbas’ wohl wenig ändern wird.

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