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Ein russischer Soldat.

© AFP/Alexander Nemenov

Mit Wikipedia-Anleitung an die Waffe: Weitere Belege für eine schlechte Ausbildung der russischen Soldaten

Recherchen der „New York Times“ zeigen, wie sich Russland auf sogenannte „Back-Up“-Truppen verlassen hat. Eine Strategie, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.

Ohne Training, schlecht ausgerüstet und mit einer Wikipedia-Anleitung zur Bedienung einer Waffe versuchen offenbar russische Soldaten, ein riesiges Territorium im Nordosten der Ukraine zu verteidigen. Das zeigt eine Recherche der „New York Times“.

Gegen Ende des Sommers seien die stärkeren russischen Truppen von dort in den Süden des Landes geschickt worden. In den zu Beginn des Krieges eroberten Gebieten blieben danach unerfahrene Soldaten in sogenannten „Back-Up“-Truppen zurück, heißt es.

Viele der Soldaten, die den Nordosten der Ukraine verteidigen, stammten wohl aus ukrainischen Separatistengruppen. Oft seien sie schon älter als 50 Jahre, teilweise hätten sie noch nie mit einem Gewehr geschossen. Ohnehin hätten sie fast keine Kugeln, geschweige denn Luftschutz oder Artillerie.

Im September habe sich ein Befehlshaber der Truppen auf Telegram beschwert, seit drei Wochen keine neue Munition mehr erhalten zu haben. In einem Interview, das die „NYT“ führte, erzählt ein anderer Soldat, nicht zu wissen, wie er seine Waffen zu verwenden habe. Es sei ihm geraten worden, mit Bedacht zu feuern, anstatt sein Gewehr unkontrolliert zu verwenden.

Gemeinsam mit Militärexperten hat die Zeitung zusätzlich Unterlagen ausgewertet, die gefallene russische Soldaten bei sich trugen. Darunter war unter anderem eine Anleitung für das Gewehr, das ein Soldat bei sich trug – und zwar von Wikipedia. Im Rucksack fand man einen Brief, darin stand: „Hallo, lieber Soldat! Du musst dein Leben riskieren, damit wir in Frieden leben können. Dank dir und deinen Kameraden bleibt unsere Armee so stark und mächtig und kann uns vor jedem Feind schützen.“

Russlands Truppen erleiden hohe Verluste

Die russische Taktik ist bisher nicht nur erfolglos, sie ist auch blutig: Ein Soldat erzählt gegenüber der „NYT“, dass er immer wieder an die gleiche Frontlinie geschickt worden sei und jedes Mal Kameraden habe sterben sehen. Erst nach dem fünften erfolglosen Versuch hätten er und seine Einheit sich geweigert, es erneut zu probieren.

Insgesamt seien dabei rund 70 Prozent der Soldaten umgekommen oder verletzt worden. „Niemand wird am Leben bleiben“, sagte er. „Auf die eine oder andere Weise wird dich die eine oder andere Waffe töten.“

Berichte über unerfahrene russische Einheiten sind in diesem Krieg nicht neu, immer wieder wurde über Missstände berichtet – veraltetes Gerät, kaum warme Kleidung und eine schlechte Moral. Aus diesem Grund wurden nach Angaben von amerikanischen Offiziellen russische Generäle an die Front versetzt.

Doch diese wiederum machten einen tödlichen Fehler: Sie positionierten ihre Stellungen in der Nähe von Antennen und Kommunikationseinrichtungen, sodass sie von den ukrainischen Truppen leicht entdeckt und getötet wurden. Die russische Militärführung reduzierte daraufhin die Besuche der Generäle an der Front.

Militärexperten hätten vor dieser Situation gewarnt: Russland habe nicht genug geschulte Soldaten, um so eine große Fläche zu verteidigen. In einigen Städten seien keine russischen Soldaten stationiert worden, sagt Oleh Zarjow, Separatistenführer der prorussischen Truppen, gegenüber der US-Zeitung. „Die Armee, die Generäle und die Soldaten waren nicht bereit.“

Der Militärexperte George Barros vom US-Thinktank „Institute for the Study of War“ kam bereits im September zu dieser Einschätzung. „Die Vorstellung, dass Russland über Reserven an einsatzbereiten Soldaten verfüge, hat mit der Realität nichts zu tun“, erklärte er gegenüber der „Deutschen Welle“. Viele Soldaten würden nur ein kurzes oder gar kein Training bekommen, bevor sie an die Front geschickt werden.

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