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Putin traf am 13. Juni zahlreiche Kriegskorrespondenten.

© action press/Григоров Гавриил

„Meiner Berechnung nach ...“: Putins große Lügenshow vor den Militärbloggern

Die ukrainische Offensive läuft durchaus erfolgreich, doch Kremlchef Putin verspricht: alles unter Kontrolle. Er redet über katastrophale Verluste Kiews und verneint eine weitere geplante Mobilmachung.

Russlands Präsident Wladimir Putin hat von katastrophalen Verlusten für die Ukraine bei deren Gegenoffensive gesprochen. „Meiner Berechnung nach hat die Ukraine 25 bis 30 Prozent der vom Ausland gelieferten Technik verloren“, sagte er am Dienstag bei einem Treffen mit rund 20 russischen Militärkorrespondenten.

Zudem seien die Verluste der Ukrainer zehnmal höher als auf russischer Seite. Er äußerte sich das erste Mal seit langem vor Medienvertretern ausführlich zum Ukraine-Krieg und dessen Folgen. Die zahlreichen Kriegsblogger, die am Tisch bei Putin saßen, hatten sich zuletzt immer wieder sehr kritisch über den Kriegsverlauf und die Militärführung in Moskau geäußert. Die Blogger haben teilweise mehrere hunderttausend Follower.

„Nicht an einem Frontabschnitt hat der Gegner Erfolg gehabt“, behauptete Putin. Kiew hatte zuvor die Rückeroberung mehrerer Siedlungen im Süden des Landes gemeldet. Die Eroberungen mehrerer Dörfer wurden außerdem durch geolokalisierte Fotos und Videos nachgewiesen. Demnach ist Russland vor allem in der Region Donezk unter Druck und musste zahlreiche Stellungen aufgeben. Auch um die kürzlich von Russland eroberte Stadt Bachmut macht die Ukraine Fortschritte.

Laut dem Kremlchef handelt es sich bei den ukrainischen Verlusten zur Hälfte um Gefallene und Schwerverletzte, die nicht wieder einsatzfähig gemacht werden könnten. Zahlen wollte er nicht nennen. Stattdessen verwies Putin auf das Verteidigungsministerium in Moskau.

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Putin spricht von 160 verlorenen Panzern auf ukrainischer Seite

Konkreter wurde er bei den Kampf- und Schützenpanzern. Während ihrer Offensive habe die Ukraine über 160 Panzer und mehr als 360 gepanzerte Fahrzeuge verloren, sagte er. Die eigenen Verluste bezifferte er auf 54 Panzer, wobei ein Teil davon wieder repariert werden könne. Auch für diese Behauptung gibt es keinerlei Nachweise.

Vielmehr deutet die Tatsache, dass russische Blogger und das Verteidigungsministerium seit Tagen die Verluste von vier Leopard-Panzern auf ukrainischer Seite feiern, daraufhin, dass Belege für neuere und weitere Verluste fehlen.

Kriegsblogger am Tisch mit Putin: Unter anderem dabei Semyon Pegov (l.), der den großen Telegram-Kanal Wargonzo leitet.

© action press/Григоров Гавриил

Bereits Anfang Juni hatte das russische Verteidigungsministerium berichtet, dass eigene Truppen einen Leopard-Panzer zerstört hätten. Ein angebliches Beweisvideo stellte sich schnell als falsch heraus, statt eines Panzers war das Ziel ein Landwirtschaftsgerät. Mehrere Videos zeigen zudem zerstörte Panzerattrappen, die die Ukraine nutzt, um die russische Verteidigung abzulenken.

Screenshot aus einem Video, das einen zerstörten Leopard-Panzer zeigen soll.

© Reuters/Russian Defence Ministry/Uncredited

Das russische Verteidigungsministerium hatte zuletzt ebenfalls von hohen Verlusten der Ukrainer gesprochen und die Abwehr aller Angriffe vermeldet. Allerdings haben sich die Angaben des Ministeriums in der Vergangenheit mehrfach als übertrieben und teilweise falsch herausgestellt.

Putin am großen Tisch mit den Kriegskorrespondenten.

© AFP/Gavriil Grigorov

Ein Grund: Kommandeure im Feld erhalten Gratifikationen, wenn Sie Erfolge nach Moskau melden. Überprüft werden die Angaben selten. Auch in Moskau hat man deshalb wohl keinen realistischen Blick auf das Frontgeschehen.

Putin hält neue Mobilmachung nicht für nötig

Zudem bezeichnete der Kremlchef eine Verhängung des Kriegsrechts in Russland als unnötig. „Im ganzen Land irgendein besonderes Regime wie das Kriegsrecht auszurufen, macht überhaupt keinen Sinn, es gibt heute keine Notwendigkeit dafür“, sagte Putin.

Die Frage war wegen des zunehmenden Beschusses der russischen Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine aufgekommen. Laut Putin dienten die Angriffe von ukrainischer Seite der Ablenkung, um Russland zu zwingen, Militär von der Front dorthin abzuziehen. Derzeit seien keine ukrainischen Soldaten mehr dort. In den vergangenen Wochen hatten es russische Partisanen mehrmals geschafft, die Grenze zu überwinden und Dörfer im Grenzgebiet zu besetzen.

Auch eine neue Welle der Mobilmachung ist in Russland nach Angaben Putins nicht notwendig. Er begründete dies mit der angeblich hohen Zahl an freiwilligen Armee-Bewerbern. Seit Januar hätten mehr als 150.000 Russen einen Vertrag als Zeitsoldat beim Militär unterzeichnet, sagte der Staatschef. Was er nicht sagte: In Russland läuft seit Monaten eine Schattenmobilisierung, um mehr Soldaten für den Krieg zu rekrutieren. Männer werden dabei zwangseingezogen.

Einmal mehr wies Putin der ukrainischen Seite die Schuld an der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden des Landes vor. Das ukrainische Militär habe mit Himars-Raketen gezielt auf den Damm geschossen. Russland habe kein Interesse an der Zerstörung gehabt, schließlich sei russisch kontrolliertes Gebiet überschwemmt worden.

Putin lobte außerdem die Evakuierungsarbeiten auf russischer Seite. Tatsächlich gibt es viele Hinweise darauf, dass die Evakuierungen alles andere als gut laufen.

Er bedauerte zudem, dass der Dammbruch eine ukrainische Offensive in der Gegend verhindert habe. Solch eine Offensive wäre für Russland gut gewesen, „weil es für sie ganz schlecht gewesen wäre, dort anzugreifen“, sagte Putin. An diesem Punkt widerspricht Putin sich selbst – denn warum sollte die Ukraine den Staudamm zerstören, wenn sie in der Gegend eine Offensive plant und der Staudammbruch den Vorstoß verhindert?

Die Ukraine und der Westen machen Russland für die Zerstörung des Damms und die Flutung großer Teile des südukrainischen Gebiets Cherson verantwortlich. Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass die Ukraine den Staudamm zerstört hat.

Vielmehr hatten russische Soldaten den Damm im Herbst schon vermint. Erdbebentechnik in Norwegen verzeichnete mehrere Explosionen in der Nacht des Dammbruchs. Ein abgehörtes Telefonat soll zudem beweisen, dass Russland den Damm zerstörte.

Der Kremlherrscher sprach auch davon, wie er denkt, den Krieg zu beenden. Die Ukraine produziere kaum mehr Kriegsgerät selbst, alles werde vom Westen geliefert, erklärte er. Folglich würde ein Ende der westlichen Waffenlieferungen auch die Demilitarisierung der Ukraine bedeuten; eines der erklärten Kriegsziele Putins.

Aus eigener Sicht muss es Putin also schaffen, den Krieg so lange am Laufen zu halten, bis der Westen den Willen verliert, die Ukraine zu unterstützen. Dann wäre die Ukraine wehrlos.

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Putin verspricht nach Angriffen auf russische Gebiete besseren Schutz

Putin stellte nach den Drohnenattacken gegen die Hauptstadt Moskau und anderen Großstädte aber auch einen besseren Schutz durch die Flugabwehr in Aussicht. Es handle sich um eine nicht einfache, aber lösbare Aufgabe, sagte er.

Die Flugabwehr sei bisher eher auf Raketen und Flugzeuge ausgerichtet gewesen, weniger auf die leichten kleinen Flugobjekte, sagte Putin. Die Drohnenattacken hatten teils schwere Schäden an Gebäuden hinterlassen.

Russland selbst greift das Nachbarland Ukraine fast täglich mit Drohnen an. Aus Kiew hieß es hinter vorgehaltener Hand, dass sich deshalb in Moskau niemand wundern müsse, wenn einige Drohnen wieder nach Hause wollten. Offiziell bestreitet die Ukraine aber, etwas mit den Angriffen zu tun zu haben.

Putin drohte dem Nachbarland auch mit noch schwereren Angriffen, sollte der Beschuss russischen Staats- und Grenzgebiets nicht aufhören. Russland könne eine so weit entfernte „Sanitärzone“ schaffen, dass sein Territorium von der Ukraine nicht mehr erreichbar sei.

Was genau er damit meinte, sagte Putin nicht. Frieden könne es nur geben, wenn der Westen die Lieferungen von Waffen an die Ukraine einstelle. (mit dpa)

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