zum Hauptinhalt
Ein Häftling hält seine Hand aus dem Fenster seiner Zelle im Nationalen Gefängnis.

© dpa/Odelyn Joseph

Update

Haiti im Ausnahmezustand: Gangs befreien Häftlinge gewaltsam und wollen die Regierung stürzen

Die Banden haben das Nationalgefängnis gestürmt und offenbar hunderten Inhaftierten zur Flucht verholfen. Die Regierung hat Ausgangssperren verhängt.

| Update:

Hunderte freigewordene Straftäter, mehrere Tote, ein dreitägiger Ausnahmezustand: Das ist die tragische Bilanz in Haiti nach diesem Wochenende. Bewaffnete Gangs hatten am Samstagabend das Nationalgefängnis in der Hauptstadt Port-au-Prince gestürmt und „einer Reihe von Insassen die Flucht“ ermöglicht, teilte die französische Botschaft am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP mit.

„Es wurden zahlreiche Leichen von Häftlingen gezählt“, sagte zudem Pierre Espérance, Direktor des Nationalen Netzwerks zur Verteidigung der Menschenrechte. Die haitianische Regierung selbst nannte bislang keine Opferzahl, sprach aber von Toten und Verletzten bei der Polizei und beim Gefängnispersonal.

Die Angaben in den Medien zu den Entflohenen variierten - von Hunderten bis nahezu allen knapp 3700 Inhaftierten war die Rede. Wie die Zeitung „Le Nouvelliste“ berichtete, sitzen im Nationalgefängnis auch bekannte Bandenmitglieder ein, denen die Ermordung von Haitis Präsident Jovenel Moïse im Jahr 2021 zur Last gelegt wird.

Nahe dem Nationalgefängnis wurde ein Feuer gelegt. Mindestens ein Dutzend Menschen starben in Folge des Ausbruch, sagte ein AFP-Reporter und eine NGO am 3. März.

© AFP/LUCKENSON JEAN

Die Kriminellen hatten ihren Angriff dem „Miami Herald“-Bericht zufolge mit Drohnen vorbereitet, um sich über die Bewegungen der Gefängniswärter zu informieren und den besten Zeitpunkt für den Angriff zu bestimmen. Es soll auch einen weiteren Angriff auf ein Gefängnis östlich der Hauptstadt in Croix-des-Bouquets gegeben haben. Ob Inhaftierte dort auch flüchten konnten, wurde nicht mitgeteilt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

In der Konsequenz rief die Regierung in der gesamten Département West, zu dem Port-au-Prince gehört, einen dreitägigen Ausnahmezustand aus, „um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen“. Zunächst bis Mittwoch, möglicherweise aber auch darüber hinaus. Zusätzlich gilt in der Zeit von 18 Uhr abends bis fünf Uhr morgens eine Ausgangssperre.

Der Angriff auf das Nationalgefängnis scheint Teil einer koordinierten Aktion eigentlich rivalisierender Banden zu sein, die sich unter dem Namen „Vivre Ensemble“ („Zusammen leben“) zusammengeschlossen haben. Bereits seit vergangenem Donnerstag gab es immer wieder Angriffe in der Hauptstadt Port-au-Prince. Der mächtige Bandenchef Jimmy „Barbecue“ Cherisier sagte in einem vor der Gefängniserstürmung in Online-Netzwerken veröffentlichten Video, sie wollten damit den Rücktritt von Regierungschef Ariel Henry erwirken.

Seit 2016 gab es in Haiti keine Wahlen mehr. Der Posten des Präsidenten ist seit der Ermordung Moïses vakant. Erst vor zwei Tagen hatte Haitis Regierungschef Henry mit Kenias Präsident William Ruto ein Abkommen über den Einsatz von kenianischen Polizeikräften in Haiti unterzeichnet. Kenia hatte sich bereit erklärt, eine multinationale und vom UN-Sicherheitsrat gebilligte Eingreiftruppe zu leiten, um die Lage in Haiti zu stabilisieren.

Denn der Karibikstaat steckt bereits seit Jahren in einer schweren Krise zwischen Gewalt, Hunger und Drogen. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der auf humanitäre Hilfe angewiesenen Menschen in dem Land UN-Angaben zufolge verdoppelt. Im Januar wurden nach UN-Angaben in Haiti mehr als 1100 Menschen getötet, verletzt oder entführt.

Die Krise, warnt Jean-Martin Bauer, sei mit der Gewalt am Wochenende „dramatisch eskaliert“. „Die Bereitstellung humanitärer Hilfe ist noch weiter behindert als zuvor“, sagt der Landesdirektor des Welternährungsprogramms (WFP) in Haiti dem Tagesspiegel. Die internationale Gemeinschaft müsse sofort handeln. „Andernfalls werden Millionen von Haitianern in eine katastrophale Lage abrutschen.“

Vielen bleibt schon jetzt nur noch die Flucht, meist in die benachbarte Dominikanische Republik. Dort will man das Grenzpersonal militärisch aufstocken, wie die Zeitung „Listín Diario“ den Generaldirektor der Cesfront zitierte, die für die Kontrolle und den Schutz der Landesgrenze zwischen den beiden Staaten zuständig ist.

In einer Aufforderung an die UN, die Hilfen für Haiti zu verstärken, sagte der dominikanische Präsident Luis Abinader bereits im Februar: Der bevorstehende „Zusammenbruch“ Haitis „wäre eine Bedrohung für uns und die Region“. (mit AFP, dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false