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Ursula von der Leyen bei einer Plenarsitzung zu den Ergebnissen des EU-Gipfels im Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Brüssel, (09.11.2022)

© Foto: Dwi Anoraganingrum/Geisler-Fotopress

Korruptionsskandal und Ethikfragen: Der seltsame Vorschlag von Ursula von der Leyen

Die EU-Kommissionspräsidentin will ein Ethikgremium einrichten. Grundsätzlich immer gut, aber zum aktuellen Bestechungsfall passt das kaum.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

In einer Reaktion auf die aktuellen Korruptionsermittlungen im Europaparlament hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag die Einrichtung eines „Ethikgremiums“ angeregt. Das ist grundsätzlich eine gute Idee für die EU-Institutionen, aber aufgehängt am aktuellen Fall auch ein ziemliches Ding.

Aktuell geht es nämlich um den Verdacht, dass die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments sich von „einem Ölstaat“ – wie sich rausstellte: Katar - dafür bezahlen ließ, dessen Interessen zu bedienen. „Säcke voller Geld“ sollen in ihrer Wohnung gefunden worden sein.

Nun wird weiterermittelt, denn vielleicht war sie nicht die Einzige auf so einer Gehaltsliste. Die Strafrechtsvokabeln, die zu dem Fall kursieren, lauten: Bestechung, Bestechlichkeit, Bildung einer kriminellen Vereinigung. Alles eher nichts, für dessen Beurteilung man ein Ethikgremium brauchen sollte.

Insofern wirkt von der Leyens Vorschlag wie eine absichtliche Verharmlosung der Vorfälle. Oder sie denkt, die Parlamentarier könnten Bestechungsofferten nicht erkennen und beurteilen.

Oder sie selbst ist der Ansicht, es handele sich bei dem Skandal um ein ethisches Problem. Man weiß gar nicht, was man schlimmer finden soll.

Kommission und Parlament streiten um eine Europäische Ethikkommission

Von der Leyen konkretisierte ihren Vorschlag für ein Ethikgremium mit dem Zusatz: wie es die EU-Kommission bereits habe. Das ist insofern kurios, als es über eine Europäische Ethikkommission schon länger Streit zwischen Kommission und Parlament gibt. Wie der „Bulletin Quotidien Europe“ berichtet, ist es vor allem die Kommission, die deren Befugnisse beschränken möchte.

Und waren es nicht auch immer wieder EU-Kommissare, deren hochdotierte Wechsel in die Wirtschaft manchem Otto-Normal-Ethiker massiv aufgestoßen sind?

Der Mega-Apparat Brüssel kann ethischen Rat sicher brauchen

Ethikkommissionen sind eine gute Idee, und im Mega-Apparat Brüssel kann deren Mitsprache vielleicht das wilde Wuchern von realweltentrückten Insiderlogiken eindämmen. Aber zu viel sollte man sich auch nicht erhoffen.

Zumindest während der Corona-Pandemie in Deutschland konnte man das Liften politischer Debatten in ethische Sphären als missglückt beschreiben, wenn die Ethikkommission etwa zu Fragen von Lockdowns auch nicht mehr zum Besten gab als Inzidenzwerte.

Und nicht zuletzt hat die Aussage der Ethikratsvorsitzenden Alena Buyx zum ethisch korrekten Publikumsverhalten während der Fußball-WM in Katar klar gemacht, dass solche Gremien kein Weisheitsverkündungsinstanzen sind: Ihre Söhne, teilte sie mit, würden ausgewählte Spiele schauen und dann zum Ausgleich für Menschenrechtsorganisationen spenden.

In dieser Art Freikauf-Ethik dürfte sich auch die nun unter Korruptionsverdacht stehende Vizeparlamentspräsidentin noch für ethisch unbedenklich erklären können.

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