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Präsident Wolodymyr Selenskyj entließ mehrere Politiker in den vordersten Reihen der Regierung.

© President Of Ukraine/APA Images via ZUMA Press Wire

Kampf gegen Korruption in der Ukraine: „Für Selenskyj ist es schwierig zu erkennen, wer kompetent ist“

Nach mehreren Skandalen in der Regierung hat der ukrainische Präsident eine Reihe von Amtsträgern entlassen. Wie das Land versucht, sich von der Korruption zu befreien.

Mehrere Fälle von Korruption in den vordersten Reihen der ukrainischen Regierung haben kürzlich zu einer Welle von Entlassungen und Rücktritten geführt. Vier Vize-Minister, zwei ranghohe Vertreter einer Regierungsbehörde, fünf Regionalgouverneure sowie der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung und der stellvertretende Generalstaatsanwalt mussten ihre Posten räumen.

„Der Staat wird nicht schwach sein“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj danach in einer seiner Ansprachen. Es war eine wichtige Botschaft – nicht nur in Richtung der ukrainischen Bevölkerung, sondern auch an die westlichen Verbündeten.

Korruption ist in der Ukraine schon lange ein Problem. Auf dem Korruptions-Index der Organisation Transparency International rangierte das Land vor Beginn des russischen Angriffskriegs auf Platz 122 von 180.

„Es gibt Dinge, die wir ansprechen müssen. Wir können Korruptionsskandale nicht ignorieren“, sagte Mark Savchuk, Leiter des Aufsichtsausschusses des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine (NABU), dem Tagesspiegel. Er äußerte die Vermutung, dass das das gesellschaftliche Tabu, das Team von Selenskyj zu kritisieren, nun offenbar aufgehoben sei.

So wurde zum Beispiel der stellvertretende Infrastrukturminister, Vasyl Lozynsky, festgenommen, weil er 400.000 Dollar Schmiergeld angenommen hatte. Er wird verdächtigt, Haushaltsmittel veruntreut zu haben, die für den Kauf von Generatoren für die Ukraine bestimmt waren und die jetzt, da Russland die ukrainische Infrastruktur vorsätzlich zerstört, dringend benötigt würden. 

Wjatscheslaw Schapowalow trat nach dem Skandal um überteuerte Lebensmittel für Soldaten als stellvertretender Verteidigungsminister zurück.
Wjatscheslaw Schapowalow trat nach dem Skandal um überteuerte Lebensmittel für Soldaten als stellvertretender Verteidigungsminister zurück.

© Uncredited/Ukrainian Defense Ministry Press Office/AP/dpa

Auch der stellvertretende Verteidigungsminister Wjatscheslaw Schapowalow trat nach dem angeblichen Kauf von überteuerten Lebensmitteln für die Streitkräfte zurück. Ausgelöst wurde die Debatte durch einen Bericht des ukrainischen Investigativjournalisten Yuriy Nikolov.

Er behauptete, dass das Verteidigungsministerium Lebensmittel für das Militär zu Preisen einkaufte, die zwei- bis dreimal höher waren als in Kiewer Einzelhandelsketten. Die Angelegenheit hat der Präsident selbst in die Hand genommen, die zuständigen Behörden wurden für die Ermittlungen eingeschaltet.

Wir lernen gerade, Europäer zu sein.

Yuriy Nikolov, ukrainischer Journalist

„Wir lernen gerade, Europäer zu sein. Wo Minister wegen Fehlern zurücktreten und Diebe ins Gefängnis kommen“, schrieb der Journalist auf Facebook. „Das ist unsere Erfolgsgeschichte. Wir wollen, dass Macron und Scholz sehen, dass wir keine Hilfen stehlen, sondern Diebe bekämpfen.“

Lange Liste von Korruptionsfällen

Die Liste von Korruptionsfällen wird länger: Dem stellvertretenden Leiter des Präsidialamts, Kyrylo Tymoschenko, wurde im Oktober vorgeworfen, einen Geländewagen genutzt zu haben, den der US-Konzern General Motors für die Ukraine gespendet hatte.

Der stellvertretende Generalstaatsanwalt Oleksij Simonenko geriet wegen eines Urlaubs in die Kritik: Er war nach Spanien gereist, obwohl Männern im wehrfähigen Alter wegen des Krieges Auslandsaufenthalte außer zu beruflichen Zwecken verboten sind.

Der Gouverneur der Region Dnipropetrowsk, Valentin Resnitschenko, trat ebenfalls zurück. Im November hatten Medien ihm vorgeworfen, Aufträge für Straßenreparaturen in Millionenhöhe an ein Unternehmen vergeben zu haben, das von seiner Freundin, einer Fitnesstrainerin, mitgegründet wurde. Gegen ihn wird Berichten zufolge strafrechtlich ermittelt.

Zudem wurden gegen die Gouverneure der Regionen Saporischschja, Sumy und Cherson Ermittlungen eingeleitet, schreiben ukrainische Medien. Sie wurden entlassen, ebenso der Gouverneur von Kiew und weitere Vize-Minister. Und auch Pawlo Galimon, der stellvertretende Vorsitzende der Präsidentenpartei Diener des Volkes, wurde wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit dem Kauf eines Anwesens in Kiew entlassen.

Programm zur Korruptionsbekämpfung gescheitert

Anfang 2023 scheiterte ein Regierungsausschuss bei der Verabschiedung des staatlichen Programms zur Korruptionsbekämpfung. Aber die allgemeine Antikorruptionspolitik des Landes ist laut Mark Savchuk viel wichtiger. „Es ist besser, die Reformen zur Korruptionsbekämpfung insgesamt zu betrachten“, sagte er dem Tagesspiegel.

„Eine der wichtigsten war die Ernennung von Oleksandr Klymenko zum Chefankläger der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft. In der Folge konnten wir zahlreiche Fälle vor Gericht bringen. Auch die Justizreform ist mit der Wahl des Obersten Gerichtshofes in vollem Gange“, so Savchuk. Dieses Gremium nimmt eine wichtige Rolle ein, weil es für Ernennung, Anklage, Absetzung und Entlassung von Richtern zuständig ist.

Entscheidend sei auch das System e-Case, mit dem der Dokumentenfluss in Strafverfahren digitalisiert werden soll. Es soll den Verwaltungsaufwand bei den Vorermittlungen und auch während des Gerichtsverfahrens minimieren. „Jeder große Fall ist eine Lkw-Ladung mit Papier. Und ich mache keine Witze“, sagt Savchuk. 

Dem Experten zufolge gibt es auch für das NABU Herausforderungen. Angesichts der Fallzahlen sei etwa mehr Personal und Budget nötig. „Finanzprüfungen dauern sehr lange, fünf bis sechs Jahre. Jeder Fall zieht sich über Jahre hin, nicht mitgerechnet, dass er dann vor Gericht landet. Auch dort verzögert sich der Fall, weil es keine klare Kontrolle gibt“, erklärt Mark Savchuk.

Die Ukraine profitiert davon, dass ein populärer und charismatischer Politiker wie Selenskyj an der Macht ist.

Mark Savchuk vom Nationalen Antikorruptionsbüro der Ukraine

Die beschuldigte Partei könne zum Beispiel das Verfahren ignorieren, die Anhörung verschieben oder den Anwalt wechseln. Dem Experten zufolge wäre es notwendig, die Fristen auf einige Jahre zu verkürzen.

Die Reformen und das Bild der Ukraine aus Sicht ihrer westlichen Partner wurde in den sozialen Medien heftig diskutiert, nachdem die Korruptionsskandale aufgekommen waren. Von Kiew wird nun einiges erwartet, nicht nur für die Entwicklung im eigenen Land, sondern auch, um die Verpflichtungen gegenüber den internationalen Partnern zu erfüllen.

Rücktritt nur bei „eklatanten Fehlern“

„Die Ukraine profitiert davon, dass während des Krieges ein populärer und charismatischer Politiker wie Selenskyj an der Macht ist, der es versteht, den Menschen zu gefallen. Aber alles hat seinen Preis“, sagt Savchuk. 

Ihm zufolge könnte das Problem darin liegen, dass es kein geeignetes System gibt, um geeignete Regierungsmitglieder auszuwählen. „Für Selenskyj ist es immer noch schwierig zu erkennen, wer kompetent ist und wer nicht. Er wählt oft Personen aus, die ihm gegenüber loyal sind. Und nur eklatante Fehler von Menschen aus seinem Umfeld führen zum Rücktritt.“

Natürlich gebe es Leute, die großes Vertrauen und Respekt genießen, so etwa der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Valeriy Zaluzhny, Verteidigungsminister Oleksiy Reznikov oder Finanzminister Sergiy Marchenko. „Das gibt uns Hoffnung“, sagt Savchuk. (mit AFP)

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