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Personenkult wie einst unter Mao: In einem Museum in Peking wird eine Rede Xi Jinpings auf großen Videoschirmen übertragen.

© AFP/Greg Baker

Kaiser von China auf Lebenszeit: Xi Jinping fehlt die Einsicht – der Westen darf sich freuen

Peking beendet die Amtszeitbegrenzung auf zehn Jahre. Das ist gleichbedeutend mit dem Abschied von Innovation, die Demokratien durch freie Wahlen erreichen.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Es ist der folgenreichste Akt des chinesischen Volkskongresses. Doch bei den beiden Hauptkonkurrenten um die ökonomische Vormacht auf der Erde, den USA und Europa, wird sie mit einem Achselzucken registriert.

Präsident Xi Jinping bekommt eine dritte Amtszeit. Er wird zum Kaiser von China auf Lebenszeit. Die bisher geltende Begrenzung der höchsten Macht auf zwei Amtszeiten, also zehn Jahre, ist Vergangenheit.

Darin liegt ein Systemwechsel mit potenziell weitreichenden Folgen. Er kann Chinas Aufstieg zur Weltmacht Nr. 1 verlangsamen oder gar stoppen. Denn im Kern geht es bei dieser Schlüsselfrage darum, ob und wie die Volksrepublik künftig Innovation und personelle Erneuerung ermöglichen will. Und zwar in einem Ausmaß, das China zum Wettbewerb mit westlichen Demokratien befähigt.

Diktaturen sind weniger innovativ als Demokratien

Man kann erklären, warum der Beschluss nur wenige Menschen im Ausland elektrisiert. Und doch wäre eine Geringschätzung des Vorgangs ein Fehler. Experten sagen, es gehe nur um den Vollzug einer Entscheidung, die sich seit Monaten angekündigt hatte.

Und für Menschen, die mit China weniger vertraut sind, erschließt sich die Brisanz nicht auf den ersten Blick. Nur wenige Demokratien haben eine Amtszeitbegrenzung. Zum Beispiel die USA: Zwei mal vier Jahre sind dort das Maximum für einen Präsidenten. In Deutschland haben Angel Merkel und Helmut Kohl jeweils 16 Jahre regiert, Konrad Adenauer 14 Jahre.

Warum also soll das im Fall China entscheidend sein? Weil China keine Demokratie und keine freie Marktwirtschaft ist. Und deshalb das Innovationspotenzial, das diese beiden Systeme strukturell mobilisieren, auf andere Weise erzeugen muss.

Vorbild Mao? Eine katastrophale Bilanz

Wenn einzelne Personen zu lange an der Macht bleiben, verlangsamt sich, erstens, die soziale und technische Modernisierung einer Gesellschaft. Und, zweitens, die personelle Verjüngung der politischen Klasse. In Deutschland lässt sich das am Reformstau nach Merkel, Kohl und Adenauer ablesen.

In China hat die Weigerung des „Großen Steuermanns“ Mao, rechtzeitig abzutreten, das Land in eine Katastrophe geführt. Er hielt sich mithilfe von Umerziehungskampagnen und Kulturrevolution an der Macht. Auch deshalb führte China die Amtszeitbegrenzung ein.

Der Systemvorteil von Demokratien gegenüber Autokratien und von Marktwirtschaften gegenüber staatlich gelenkten Wirtschaften liegt nicht darin, dass sie keine Fehler machen. Sondern darin, dass sie Fehlentwicklungen korrigieren. Auch das gelingt nicht automatisch und nicht immer zügig. Aber früher und energischer als in autoritären Systemen.

Angenommen, Xi Jinping müsste sich in einer freien Wahl in einer Demokratie behaupten, würden die Bürger ihn wiederwählen? Angesichts seiner Bilanz ist das unwahrscheinlich. Die Wachstumsraten sind seit seinem ersten Amtsjahr – 7,8 Prozent 2013 – kontinuierlich gesunken und im Coronajahr 2020 auf 2,2 Prozent abgestürzt.

Xis Null-Covid-Strategie hat sich als Desaster erwiesen. Die politische Repression in China hat zugenommen. Alternative Ideen, ob in der Gesellschaft oder der Partei, werden unterdrückt. Die dritte Amtszeit bekommt er, weil er Gegner und Konkurrenten aus den Machtpositionen im Parteiapparat verbannt hat.

Vor zehn Jahren hatten viele im Westen prognostiziert, es sei nur eine Frage weniger Jahre, bis China die USA als Wirtschaftsmacht Nr. 1 ablöst. Und diesen Moment um die Jahre 2017, 2018, 2019 vermutet.

China hat die USA noch immer nicht überholt

Die Realität 2023: Die USA sind immer noch vorn. Auch Europa hat die Coronakrise besser gemeistert als China. Es gibt Einzelfelder, in denen China bei der Innovation mithalten kann oder sogar besser ist, etwa bei Künstlicher Intelligenz und Telekommunikationstechnik. Generell gilt das jedoch nicht. Und nun nehmen Deutschland, Europa und die USA die Herausforderung durch China immer ernster.

Die Amtszeitbegrenzung war und ist für China ungleich wichtiger als für eine Demokratie. Sie garantiert, dass spätestens nach zehn Jahren eine neue Führung ins Amt kommt mit neuen Ideen und jüngeren Kräften. Für eine Ein-Partei-Diktatur ist das eine wichtige Triebkraft der Erneuerung, Verjüngung und Innovation.

Denn solange die alte Garde an der Macht bleibt, unterdrückt sie die Herausforderung des eigenen Denkens durch ideelle wie personelle Konkurrenz. Auch in der Planwirtschaft ist Innovation nur so weit möglich, wie das die staatliche Lenkung erlaubt.

Der Westen darf sich freuen. Die Aufhebung der Amtszeitbegrenzung wirkt wie ein zusätzlicher Nachteil für China in der Konkurrenz um die Machtverteilung auf dem Globus. Das gilt doppelt unter einer Führungsfigur wie Xi Jinping.

Ihm fehlt die Einsicht, dass Widerspruch und Opposition die Triebkräfte für Kreativität, Innovation und Modernisierung sind. Er sieht in ihnen in erster Linie eine Bedrohung seiner Macht. Für Chinesinnen und Chinesen eröffnet das keine guten Aussichten.

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