zum Hauptinhalt
Kornblum war als ehemaliger US-Botschafter in Deutschland gefragter Gast in Talk-Runden.

© imago/Jürgen Heinrich/Jürgen Heinrich

Update

Früherer US-Botschafter John Kornblum ist tot: Ein Transatlantiker mit vielen Facetten

Mit Blick auf Deutschland nahm der Diplomat kein Blatt vor den Mund. Dennoch blieb er dem Land verbunden. Ein ehemaliger Außenminister und weitere Weggefährten erinnern an ihn.

| Update:

Die Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat John Kornblum wie wohl kein anderer aus nächster Nähe erlebt. Das machte ihn in seinen letzten Jahren zu einem gefragten Analysten des transatlantischen Verhältnisses. Er starb am 21. Dezember 2023 in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee, wie der Tagesspiegel am Freitag aus dem Umfeld von Kornblums Familie erfuhr.

Wirken in Deutschland

Inspiriert vielleicht von seinen Großeltern, die Ende des 19. Jahrhunderts aus Ostpreußen in die USA ausgewandert waren, studierte Kornblum als junger Mann Deutsch, Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen.

Als er 1964 in den diplomatischen Dienst eintrat, war der Kalte Krieg in vollem Gange, die Berliner Mauer gerade mal drei Jahre alt. Im Westteil der Stadt hatten die Alliierten das Sagen, mit den Amerikanern auch Briten und Franzosen, die konfrontiert mit der sowjetischen Bedrohung durch die Luftbrücke von Besatzern zunächst zu Beschützern und dann zu Freunden wurden.

John Kornblum machte eine steile Karriere. Von 1964 bis 1966 war er als Vizekonsul in Hamburg tätig. Ab 1969 arbeitete er in Bonn in der Politischen Abteilung der Botschaft. An den Verhandlungen zum Viermächteabkommen war er von 1970 bis 1972 beteiligt.

John Kornblum (ganz links) 1997 mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (r.) bei der Einweihung 1997 des neuen Werks eines US-Unternehmens in Bitterfeld.
John Kornblum (ganz links) 1997 mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (r.) bei der Einweihung 1997 des neuen Werks eines US-Unternehmens in Bitterfeld.

© dpa

Nach Jahren in Washington hatte er seinen ersten Einsatz in West-Berlin als politischer Berater der US-Vertretung. Die Botschaft befand sich damals noch in Bonn. Sie sollte erst nach dem Fall der Mauer 2008 nach Berlin umziehen. 1985 wurde John Kornblum Gesandter und stellvertretender Stadtkommandant im amerikanischen Sektor von West-Berlin.

Geschichte erlebte er aus nächster Nähe

Als der damalige US-Präsident Ronald Reagan 1987 seine berühmte Rede am Brandenburger Tor hielt und Michail Gorbatschow aufforderte, das Tor zu öffnen und die Mauer niederzureißen, begleitete Kornblum ihn dorthin und stand ganz in nächster Nähe. Gern betonte er seinen Anteil an diesem historischen Ereignis.

Auch hinter den Kulissen wirkte er tatkräftig und zielgerichtet. Als ebenfalls 1985 der größte Agentenaustausch zwischen Ost und West auf der Glienicker Brücke stattfand, bei dem vier DDR-Spione gegen 25 CIA-Agenten ausgetauscht wurden, hatte er zuvor gemeinsam mit dem US-Botschafter die Verhandlungen geführt.

Es folgten ranghohe Stationen bei der Nato und der KSZE. Als Sonderbotschafter für Bosnien, zu dem Präsident Bill Clinton ihn ernannt hatte, trug er mit seinem geübten Verhandlungsgeschick viel zur Beendigung des Krieges und zum Abkommen von Dayton bei.

Im Sommer 1997 wurde John Kornblum schließlich zum Botschafter im wiedervereinigten Deutschland ernannt. Er war ein selbstbewusster Missionschef, der gerne Debatten führte, auch um Berlin als Hauptstadt, und Forderungen stellte. Kornblum war der letzte Karrierediplomat, der US-Botschafter in Deutschland wurde. Danach wurde der Posten stets politisch besetzt.

John Kornblum warnte früh vor dem erstarkenden Populismus in Deutschland.
John Kornblum warnte früh vor dem erstarkenden Populismus in Deutschland.

© Kai-Uwe Heinrich, Der Tagesspiegel.

Mahnungen an Deutschland

„John Kornblum war Deutschland zutiefst verbunden – biografisch, emotional und intellektuell“, sagt der frühere Außenminister Sigmar Gabriel dem Tagesspiegel. „Vielleicht war das der Grund, warum er auch immer wieder öffentlich kritisch mit Deutschland umging, vor allem in der Außenpolitik. Er sah ein Deutschland, das unter seinen Möglichkeiten handelte.“ Den Deutschen habe er sein Leben gewidmet, betont Gabriel, sein Typus sei rar geworden.

Trotz aller Kritik fühlte er sich in Deutschland so wohl, dass er nach dem Ende seiner Amtszeit 2001 blieb. In seiner neuen Funktion als Deutschland-Chef der Investmentbank Lazard mischte er sich weiterhin ein. Daneben war er unter anderem Aufsichtsratsmitglied der Bayer AG und von Motorola Europe.

Auch ehrenamtlich engagierte er sich in vielen Bereichen. So war er zum Beispiel Gründungsmitglied der American Academy und Gründungsvorsitzender des John F. Kennedy Atlantic Forum. Mit seinem Erfahrungsreichtum und seinen fundierten Kenntnissen der europäisch-amerikanischen Politik war er ein gefragter Talkshow-Gast und Autor, auch im Tagesspiegel.

„Einer der letzten echten Europäer“

Emily Haber, die ehemalige deutsche Botschafterin in Washington, erinnert sich an ihre erste Begegnung mit Kornblum: „1968 oder 1969 habe ich ihn zum ersten Mal getroffen, im Haus meines Vaters, der damals in Washington arbeitete.“ Kornblum war damals ein junger Beamter im State Department. „Ich habe eine schemenhafte Erinnerung an ein lebhaft geführtes Gespräch unter den Gästen, das ich als Kind verfolgte. Eingekapselt im Erinnerungsfetzen ist aber noch mein Eindruck von ihm: Meinungsstärke, Unbeirrbarkeit, Leidenschaft für das Thema, Ungeduld mit unzulänglichem Widerwort“, führt Haber aus.

Und so habe sie ihn auch Jahrzehnte später erlebt, betont Haber. „Kornblum war ein großer und politischer Diplomat, der undiplomatisch war. Ein leidenschaftlicher Transatlantiker, der kritische Maßstäbe anlegte. Ein Kenner Deutschlands, dem Land mit Widerspruch verbunden. Er ragte heraus.“

„John war eine wirklich bedeutende Persönlichkeit für die amerikanische Diplomatie – denn er war einer der letzten echten Europäer und einer der besten“, sagt Daniel Benjamin, Präsident der American Academy und selbst ein ehemaliger hochrangiger US-Diplomat. „Natürlich ist Europa nach wie vor von enormer Bedeutung für die USA, aber es gab einige Generationen amerikanischer Diplomaten, die sich in einer Weise auf europäische Angelegenheiten – und insbesondere Deutschland – konzentrierten, wie man es heute nur noch selten sieht.“

„Kornblum war eine Inspiration für alle, denen die deutsch-amerikanischen Beziehungen am Herzen liegen“, sagt Steve Sokol, Präsident des American Council on Germany (ACG), dem Tagesspiegel. „Er konnte kritisch sein und war hartnäckig. Aber er war ein richtiger Deutschlandexperte – und kannte das Land und das Volk manchmal besser als sie sich selbst.“

„Mit John verliert Deutschland einen kritischen Partner und intimen Deutschlandkenner“, bekräftigt auch der frühere deutsche Botschafter in Washington Wolfgang Ischinger. Mit seiner profunden Erfahrung und Expertise sei er „vor und nach der Wiedervereinigung manchmal unbequem, aber stets unverzichtbar“ gewesen, sagt Ischinger. „Deutschland trauert um einen guten Freund.“

Ein festes transatlantisches Fundament

Den Wahlsieg Donald Trumps betrachtete er als Zeitenwende und warnte schon früh vor wachsendem Populismus in Europa. Grundsätzlich war er aber überzeugt, wie er in einem Interview 2020 sagte, dass das transatlantische Fundament fest steht, und das schon seit 400 Jahren. Deutschlands künftige Rolle in der digitalisierten Welt sah er als Dolmetscher für Amerika in Eurasien.

Viele Ehrungen wurden dem Vater zweier Söhne zuteil. Bereits 1990 wurde er mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern ausgezeichnet, 1997 wurde er zum Ehrenbürger von Sarajewo ernannt, und im Jahr des Regierungsumzugs erhielt er 1999 den „Orden wider den tierischen Ernst“. Der große Diplomat und überragende Transatlantiker wurde 80 Jahre alt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false