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Jack Teixeira hat Geheimdienst-Dokumente im Internet veröffentlicht.

© REUTERS/SOCIAL MEDIA WEBSITE

Größter Geheimnisverrat seit Edward Snowden: Wer ist Jack Teixeira?

Wie ein 21-Jähriger Zugang zu Tausenden Regierungs- und Geheimdienstdokumenten bekam – und sie in einer Chatgruppe im Internet teilte.

Jack Teixeira sieht aus wie ein Bürschchen. Schmal, blass, schlaksig. Seine dunkelblaue Marine-Uniform wirkt wie eine Verkleidung.

Der 21-Jährige ist Mitglied der Nationalgarde, verantwortlich für die „Verwaltung und Fehlerbehebung von Computern und Kommunikationssystemen“ in einer Geheimdiensteinheit der Luftwaffe. Was seine Kollegen nicht ahnen: Er verachtet die US-Regierung, ist eine tickende Zeitbombe. In seiner Funktion hat er Zugriff auf zahlreiche Top-Secret-Papiere.

Teixeira schreibt sie ab oder druckt sie aus, fotografiert sie auf der Arbeitsplatte seiner Küche – und stellt alles online. Die Empfänger: Eine geschlossene Chatgruppe namens „Thug Shaker Central“ in dem Gamer-Netzwerks „Discord“. Teixeira soll ihr Anführer gewesen sein, nannte sich OG in den Chats: Original Gangster. Die etwa 30 Mitglieder sind offenbar größtenteils Teenager, teilen ihre Begeisterung für Schusswaffen, Videospiele und rassistische Memes.

Die in der Gruppe geleakten Informationen sind Sprengstoff für die amerikanische Regierung, geben sie tiefe Einblicke in das, was die USA über andere Länder, Partner, Feinde wissen. Es sind Berichte über den Frontverlauf im Ukrainekrieg, über mögliche Machtkämpfe im Kreml und Hinweise darauf, dass die USA ihre Bündnispartner abhören. Sie gefährden Agenten und Informanten.

Ein Foto der Strafanzeige gegen Jack Teixeira: Er muss sich unter anderem wegen unbefugter Aufbewahrung und Weitergabe von nationalen Verteidigungsinformationen verantworten.

© dpa/Jon Elswick

Es ist der größte Geheimnisverrat seit Edward Snowden, ein diplomatisches Erdbeben – ausgelöst von Jack Teixeira aus Dighton. Die Kleinstadt mit 8000 Einwohnerin liegt nur knapp 80 Kilometer entfernt von der „Otis Air National Guard Base“, wo Teixeiras Karriere beginnt und nun enden soll.

Stolz ist seine Mutter Dawn Dufaul 2021, als er nach seinem Abschluss an einer Technischen Hochschule auf den Stützpunkt wechselt, auf dem schon sein Stiefvater diente. Die Basis auf der noblen Urlauber-Halbinsel Cape Cod war im Kalten Krieg zentral für die Verteidigung im Falle eines sowjetischen Luftangriffs. „Welcome home“ schreibt Dufaul auf der Facebook-Seite ihres Blumenfachhandels – alle ihre Kunden sollen wissen, dass ihr Sohn Jack nach Hause kommt.

Obwohl Teixeira „relativ unerfahren“ ist, bekommt er über ein Computernetzwerk des Verteidigungsministeriums, das als „Joint Worldwide Intelligence Communications System“ bekannt ist. Damit habe er Zugang zu streng geheimen militärischen Informationen bekommen, sagte ein US-Beamter der „Washington Post“.

Eine Gerichtszeichnung zeigt Jack Teixeira (r.) vor dem U.S. District Court in Boston.

© dpa/MARGARET SMALL

In seiner Chatgruppe prahlt Teixeira, er hätte Informationen, die die Regierung „normalen Menschen“ vorenthalte. Er gibt zu, dass die Dokumente „von seiner Arbeit in einer Militärbasis“ stammen und postet ein Video von sich, wie er rassistische und antisemitische Schimpfwörter von sich gibt und dann mehrere Gewehrsalven abfeuert. Das erfährt die „Washington Post“ von Mitgliedern der Gruppe noch vor Teixeiras Festnahme am Donnerstag

Er wollte „uns auf dem Laufenden halten“, sagt ein minderjähriges Mitglied der Gruppe der „Washington Post“. „Er ist ein kluger Mensch. Er wusste natürlich, was er tat, als er diese Dokumente veröffentlichte. Das waren keine zufälligen Leaks.“ Die meisten Leute auf dem Server seien klug genug, um zu erkennen, dass die Geheimpapiere nirgendwo anders gepostet werden sollten.

Es beschreibt Teixeira als „patriotisch, einen gläubigen Katholiken und einen Libertären mit Interesse an Waffen und Zweifeln an Amerikas Zukunft“. Verbunden habe sie ihr gemeinsames Interesse an Glock-Handfeuerwaffen und Katholizismus.

10
Jahre Haft drohen Jack Teixeira.

OG reagiert streng und verärgert, wenn er im Chat für seine Leaks zu wenig aufmerksam bekommt. Irgendwann wird ihm das Abschreiben wohl zu mühsam und er beginnt, Bilder von zuvor ausgedruckter Papiere zu posten. Bis Ende März geht das, bis offenbar US-Medien darauf aufmerksam werden. Kurz vor Ostern berichten sie erstmals über die Datenlecks, selbst US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erfährt so erst davon. Die Regierung rotiert, besänftigt internationale Bündnispartner und sucht vor allem eines: die undichte Stelle.

Das Justizministerium leitet Ermittlungen ein. Es kommt zur Festnahme. Am Ende soll unter anderem die Maserung der Arbeitsplatte der Küche von Jack Teixeiras Elternhaus zu seiner Überführung geführt haben. Diese und andere Details der Inneneinrichtung seiner Eltern waren auf Familienfotos in sozialen Medien zu sehen – und stimmten mit Details am Rand einiger Fotos der veröffentlichten Geheimdokumente überein. Die Maserung der Arbeitsplatte in der Küche hätte demnach unter anderem zu seiner Überführung geführt. 

Videaufnahmen zeigen, wie Spezialeinheiten des FBI den jungen Mann am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) aus dem Haus seiner Familie in North Dighton abführen. Er trägt eine kurze, rote Sporthose, ein olivgrünes T-Shirt. Die Ermittler werfen ihm „unbefugte Entfernung, Aufbewahrung und Übermittlung von Verschlusssachen“ vor, sagte US-Justizminister Merrick Garland in Washington.

Das FBI bestätigte, dass es sich um als vertraulich eingestufte Regierungs- und Geheimdienstdokumente handelt. Am Freitag erschien Jack Teixeira erstmals vor einem Gericht in Boston. Bei einer späteren Verurteilung könnte ihm eine lange Haftstrafe von bis zu zehn Jahren drohen.

Wie der Chatfreund der „Washington Post“ erzählt, sei Jack Teixeira kein klassischer Whistleblower und habe nicht gewollt, dass die Dokumente an die breite Öffentlichkeit gelangen. „Bestürzt“ sei er darüber sogar gewesen. Ex-Geheimdienstkoordinator James Clapper sagte dem Sender CNN, für ihn klinge es so, als habe dieser „OG“ ein gewisses „Maß an Narzissmus“ gemeinsam mit anderen Whisteblowern vor ihm. „Es gibt ein Ego-Element, sich selbst wichtig zu fühlen, dadurch, dass man Zugang zu solchem Material hat und es offenlegt.“

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