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Putin in Sotchi - er hat Grund zu lächeln.

© dpa/SERGEI GUNEYEV

Ukraine-Invasion Tag 590: Geht Putins Kalkül am Ende doch auf? 

Hrosa als „weiterer düsterer Meilenstein“, Biden sucht nach Wegen für neue Ukraine-Hilfen, Russland plant offenbar Verlegung der Schwarzmeerflotte. Der Überblick am Abend.

Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin war es eine gute Woche. Da ist einmal das politische Chaos in den USA, das weitere wichtige Ukraine-Hilfen auf unbestimmte Zeit verzögert. Da ist die Wahl in der Slowakei, die ein russlandfreundlicher Linkspopulist gewonnen hat. Wahlsieger Robert Fico will die Militärhilfe an Kiew einstellen und Sanktionen gegen Russland aufheben. Ebenso sieht es in Ungarn aus. Der Populist Viktor Orbán erklärte am Freitag beim Europa-Treffen in Granada, weitere Milliardenhilfen für die Ukraine blockieren zu wollen. Zu all dem kommt das Nein von Kanzler Olaf Scholz zur Lieferung von dringend benötigten Marschflugkörpern Taurus an die Ukraine.

Putin hat immer wieder betont, dass er den längeren Atem haben wird im Krieg, der Westen irgendwann müde und so zerstritten sein werde, dass er die Ukraine fallen lässt. Soweit ist es noch nicht, könnte man einwenden. Präsident Joe Biden versichert, dass er die Ukraine-Hilfen notfalls über Umwege organisiert. London und Paris sind so entschlossen wie selten in ihrer Unterstützung für Kiew. Und auch die südeuropäischen und skandinavischen Ländern wackeln nicht. Ob das am Ende für Kiew reicht, um Russland aus dem Land zu drängen, ist aber unklar. 

Denn mit Blick auf das Geschehen an der Front wird deutlich: Dieser Krieg wird – höchstwahrscheinlich – nicht mehr durch größere Durchbrüche und überraschende Manöver entschieden. Kiews blitzschnelle, erfolgreiche Herbstoffensive in Charkiw vergangenes Jahr war eine Ausnahme. Darauf wies der Kriegsforscher Phillips O´Brien zuletzt hin.

Der Grund: Nie war das Schlachtfeld so detailliert in Echtzeit überwacht, vor allem durch Drohnen. Größere Truppenverbände zusammenzuziehen und in Bewegung zu setzen, ist damit unmöglich geworden, ebenso überraschende Angriffe. Zudem sind durch die Masse an Artillerie und Raketenwerfern vergleichsweise präzise Schläge auf weite Distanzen möglich, auch das erschwert schnelle Vorstöße größerer Truppenteile. Das Ergebnis ist ein brutaler, langsamer Abnutzungskrieg, wie er aktuell stattfindet. Und den gewinnt am Ende, wer mehr Material, mehr Soldaten und den größeren Durchhaltewillen hat. Vielleicht sieht sich Putin nach dieser Woche nicht ganz zu Unrecht im Vorteil. 

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • „Ein weiterer düsterer Meilenstein“: Bei dem Angriff auf das Dorf Hrosa am Donnerstag ist nach Angaben von Präsident Selenskyj ein Sechstel der Dorfbevölkerung ums Leben gekommen. UN und EU verurteilen den Angriff scharf. Mehr hier.
  • Ungarns Premier Orbán und sein polnischer Amtskollege Morawiecki sorgen für Ärger auf dem EU-Gipfel. Auch die Unterstützung für die Ukraine will Orbán blockieren. Ungarn hat dabei ein Vetorecht. Mehr hier.
  • Putin lobt Altkanzler: „Sie sollten daran denken, was er für das Land getan hat“. Der russische Präsident reagiert damit auf Diskussionen in Deutschland, wie mit dem 79 Jahre alten SPD-Politiker Schröder umzugehen ist. Schröder steht aufgrund seiner prorussischen Haltung in der Kritik. Mehr hier.
  • Wirtschaftsminister Robert Habeck will laut „Handelsblatt“ gegen die Umgehung von Russland-Sanktionen vorgehen. Es gelinge Russland, an militärisch nutzbare Bauteile aus dem Westen zu kommen, indem der Handel über Zwischenhändler in anderen Ländern umgelenkt werde, schreibt das Blatt. Habeck wolle die Umgehung schon im Inland verhindern, indem er bei den deutschen Exporteuren ansetze. Dazu sollten Zolldaten zur Aufdeckung genutzt werden. Zudem sollen Exporteure unterstützt werden, Geschäfte in russischem Auftrag zu erkennen. Mehr in unserem Newsblog.
  • US-Präsident Joe Biden hat der Ukraine am Tag des Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die weitere Unterstützung seines Landes zugesichert. „Zusammen werden wir weiter für die Werte einstehen, die uns vereinen: Freiheit und Souveränität“, erklärte Biden am Freitag anlässlich des Tags der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Das bedeute auch, „an der Seite der mutigen Menschen in der Ukraine zu stehen, während sie sich gegen Russlands brutalen Angriff verteidigen“.
  • Die US-Regierung prüft einem Insider zufolge offenbar im Moment, wie sie mithilfe eines Zuschussprogramms zusätzliche Militärhilfen in die Ukraine schicken kann. Demnach könnte das US-Außenministerium ausländische Regierungen beim Kauf von US-Verteidigungsgütern im Rahmen des sogenannten „Foreign Military Sales-Programms“ (FMF) unterstützen, indem es ausländische Militärfinanzierung anbietet. Dabei handelt es sich um ein Zuschuss- oder Darlehensprogramm, mit dem Verbündete und Partner ihre Kaufkapazität für Sicherheitsgüter erhöhen können.
  • Russland wird nach offiziellen Angaben einen Flottenstützpunkt im Schwarzen Meer in der von Georgien abtrünnigen Konfliktregion Abchasien aufbauen. Eine entsprechende Vereinbarung sei bereits unterzeichnet worden, sagte der Präsident Abchasiens, Aslan Bschanija, in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der kremlnahen Zeitung „Iswestija“. Demnach wird die Basis im Landkreis Otschamtschire südlich der Gebietshauptstadt Suchumi errichtet.
  • Die Ukraine und Russland haben am Freitag erneut getötete Soldaten ausgetauscht. Die sterblichen Überreste von 64 Soldaten seien in die Ukraine zurückgekehrt, teilte der zuständige Koordinierungsstab der ukrainischen Regierung in Kiew mit. Auch die Ukraine habe gemäß Völkerrecht getötete russische Soldaten an die andere Seite übergeben. Eine Zahl wurde nicht genannt.
  • Fast 4,2 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine halten sich mit zeitweiligem Schutzstatus in EU-Ländern auf. Das teilte das europäische Statistikamt Eurostat am Freitag mit Bezug auf den Datenstand vom 31. August mit. Die mit 1,18 Millionen Personen größte Gruppe fand in Deutschland Zuflucht. Im Vergleich zu Ende Juli waren dies fast 22.000 mehr, ein Plus von 1,9 Prozent. In der gesamten EU stieg die Zahl nach einem leichten Rückgang im Februar weiter an.
  • Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu hat eine erhöhte Produktion von Kampfjets zur Verstärkung von Moskaus Offensive in der Ukraine gefordert. Diese Kampfflugzeuge vom Typ Su-34 hätten „am meisten zu tun“ und führten „vier bis fünf Flüge pro Tag“ aus, erklärte Schoigu am Freitag beim Besuch einer Flugzeugfabrik im sibirischen Nowosibirsk laut einer Mitteilung der russischen Armee. Deshalb müsse deren Produktion „beschleunigt“ werden.
  • Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, hat deutlich gemacht, dass aus seiner Sicht ukrainische Angriffe auf die von Russland errichtete Krim-Brücke für „legitim und wichtig“ hält. Heusgen äußerte vor diesem Hintergrund am Donnerstagabend im ZDF Unverständnis über die Weigerung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der Ukraine deutsche Taurus-Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen. Diese gelten für solche Angriffe als gut geeignet.
  • Die Ukraine hat eigenen Angaben zufolge in der Nacht mehr als zwei Dutzend russische Angriffsdrohnen abgeschossen. In den Regionen Odessa, Mykolajiw, Charkiw, Dnipro, Tscherkassy und Schytomyr habe die Luftabwehr 25 Drohnen vom Typ Schahed aus iranischer Produktion zerstört, erklärte die ukrainische Armee am Freitag im Onlinedienst Telegram. Insgesamt habe Russland 33 Drohnen auf ukrainische Gebiete abgefeuert.
  • Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter hat das vorläufige Nein von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörper als einsame Entscheidung kritisiert. „Mit der Absage der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern und der Verzögerung jeglicher Planung seit Mai geht Deutschland erneut einen Sonderweg.

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